An Pessach gedenken wir des Auszugs der Juden aus Ägypten – des Auszugs aus der Sklaverei in die Freiheit. Die schönen Bräuche dieser Feiertage verknüpfen sich für jeden Einzelnen von uns auch mit persönlichen Gedanken und Erinnerungen.
Einige von uns, die nach 1990 aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland gekommen sind, werden dabei auch an ihre Emigration denken. Man verließ die Heimat und ging ausgerechnet nach Deutschland, um Freiheit zu gewinnen. Denn in der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten war man häufig Diskriminierungen ausgesetzt. Eine uneingeschränkte Religionsausübung war kaum möglich. Daneben suchten viele auch wirtschaftliche Sicherheit für sich und ihre Kinder. Eine solide wirtschaftliche Basis ist eine der Voraussetzungen, um frei leben zu können.
Eine solide wirtschaftliche Basis ist eine der Voraussetzungen, um frei leben zu können.
einwanderung Gerade erst hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zur Eröffnung der »Woche der Brüderlichkeit« die jüdische Einwanderung nach Deutschland gewürdigt. Er sagte: »Ich empfinde tiefe Dankbarkeit, dass jüdisches Leben wieder aufgeblüht ist in Deutschland. Viele der jüdischen Gemeinden sind gewachsen, auch junge Rabbiner werden wieder in Deutschland ausgebildet und ordiniert. (…) Ich betrachte es als großes Geschenk, dass wir uns über den Abgrund der Geschichte hinweg die Hand reichen können.«
Und der Historiker Saul Friedländer hat in seiner Rede zum Holocaust-Gedenktag im Bundestag in diesem Jahr dargestellt, warum Deutschland wieder ein Zuhause für Juden werden konnte: »Dank seiner langjährigen Wandlung seit dem Krieg ist Deutschland eines der starken Bollwerke gegen die Gefahren geworden (…). Wir alle hoffen, dass Sie die moralische Standfestigkeit besitzen, weiterhin für Toleranz und Inklusivität, Menschlichkeit und Freiheit, kurzum, für die wahre Demokratie zu kämpfen.«
Mit jedem neuen Gemeindehaus, jeder Synagoge, jedem Kindergarten, jeder Schule und jedem Elternheim kommt genau dies zum Ausdruck: Wir sind in Deutschland zu Hause. Unter dieses Leitmotiv stellen wir auch den Gemeindetag 2019.
herausforderungen Wenn wir zurückblicken auf die Jahrzehnte seit 1945 und dann noch einmal mit neuem Blick seit 1990, dann können wir festhalten: Gemeinsam haben wir einen weiten Weg zurückgelegt und viele Herausforderungen erfolgreich gemeistert. Unsere Gemeinden sind nicht nur, wie es der Bundespräsident zu Recht betont hat, gewachsen, sondern auch stärker und vielfältiger geworden. Zu Hause sprechen wir unterschiedliche Sprachen und pflegen unterschiedliche Erinnerungen, doch uns einen unser Glaube und unsere jüdischen Werte.
Über all diese Themen wollen wir beim Gemeindetag diskutieren.
Dies ist die Basis für unser heutiges Engagement in der Gesellschaft. Wir kämpfen für die Belange unserer Gemeinschaft und auch für die Rechte anderer Gruppen. Respekt vor und der Schutz von Minderheiten sind Kennzeichen der wehrhaften Demokratie und unser Anliegen. Wenn wir uns für die Belange der jüdischen Gemeinschaft einsetzen, dann ist dies zugleich ein Dienst an unserer Demokratie.
Daher sehen wir nicht schweigend zu, wie sich Rechtspopulisten in den Parlamenten etablieren. Wir werden weiterhin gegen die spalterische Hetze der AfD unsere Stimme erheben.
Daher nehmen wir Antisemitismus als Normalzustand in einem Teil der Gesellschaft nicht hin. Hier gilt: null Toleranz! Und zwar für alle Formen des Antisemitismus und unabhängig davon, wer ihn artikuliert oder auslebt.
ethik Daher setzen wir uns für eine jüdische Militärseelsorge ein. Militärrabbiner sollen dazu beitragen, durch die Vermittlung jüdischer Ethik Antisemitismus in der Bundeswehr vorzubeugen und ihn zu bekämpfen.
Daher nehmen wir weiterhin die Schulen in den Blick. Auf verschiedenen Ebenen arbeiten wir daran, dass Schulen zu Orten eines breiten Wissens über das Judentum werden, wo Antisemitismus keinen Platz hat.
Unser Deutschland kann nur ein Deutschland sein, das mit Israel in inniger Freundschaft verbunden ist.
Daher akzeptieren wir auch nicht die wachsende Ablehnung Israels. Israel ist unsere emotionale Heimat und unser sicherer Hafen. Unser Deutschland kann nur ein Deutschland sein, das mit Israel in inniger Freundschaft verbunden ist. Das Deutschland, in dem wir uns zu Hause fühlen, ist ein Deutschland, in dem die Menschenwürde unantastbar ist.
begegnung Über all diese Themen wollen wir beim Gemeindetag 2019 diskutieren. Es sollen wieder vier Tage der Begegnung werden, mit einem anspruchsvollen religiösen und kulturellen Programm. Vor allem aber soll der Gemeindetag eine Veranstaltung werden, bei der wir eine Standortbestimmung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland vornehmen, im Austausch mit der Gesellschaft. Ich freue mich schon sehr auf die Debatten und hoffe, viele, viele Gemeindemitglieder vom 19. bis 22. Dezember in Berlin begrüßen zu können.
Nun aber wünsche ich Ihnen und Ihren Familien sowie allen Juden weltweit ein frohes und friedliches Pessachfest. Pessach Kascher we-Sameach!
Der Autor ist Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.