Die Situation ist ernst. Das war Noah Adler spätestens ab dem Zeitpunkt klar, als in seiner Heimatstadt Berlin die Schulen wegen der sich immer weiter ausbreitenden Corona-Epidemie geschlossen wurden. »In den Nachrichten habe ich gesehen, was das Virus in China und in Italien angerichtet hat«, sagt der 16-jährige Zehlendorfer aus dem Südwesten der Bundeshauptstadt.
»Ich wusste, dass die Menschen – und insbesondere die sogenannten Risikogruppen, also Ältere und Kranke – auch hierzulande Hilfe benötigen werden.« Anstatt sich in der zwangsverordneten Unterrichtspause auf die bevorstehenden Abiturprüfungen vorzubereiten oder einfach einmal zu Hause zu chillen, machte sich der computeraffine Gymnasiast kurz entschlossen daran, eine Website für Hilfsangebote in der Nachbarschaft einzurichten.
Programmierarbeit Nach nur einem Tag Programmierarbeit war www.coronaport.net dann auch schon online. Auf der Seite können sich Helfer anmelden und angeben, in welchem Berliner Bezirk sie welche Art von Unterstützung anbieten können und wie sie für Hilfsbedürftige am besten zu erreichen sind.
Als Hilfsmöglichkeiten stehen zum Beispiel Einkaufen, Gassi gehen mit dem Hund, Kinderbetreuung und allgemeine körperliche Arbeit zur Auswahl. Wenn jemand in seinem Wohnumfeld eine bestimmte Unterstützung sucht, kann er auf Adlers Website ganz einfach und gezielt nach der entsprechenden Hilfe suchen.
»Mein Ansatz hinter der Website ist, Menschen in Berlin trotz des derzeit wichtigen sozialen Distanzgebots zusammenzubringen«, sagt Adler, der momentan in die 11. Klasse geht und sich in seiner Freizeit ehrenamtlich als Rettungsschwimmer engagiert. »Die Berlinerinnen und Berliner müssen in der Krise zusammenstehen, damit wir das Virus gemeinsam besiegen können«, ist der Jugendliche überzeugt.
Auch er hätte seinen Geburtstag lieber mit einer Party gefeiert – doch dafür ist jetzt nicht die Zeit.
Auf Facebook gab es zwar schon vor seiner Website selbst organisierte Hilfsgruppen für einzelne Berliner Kieze, wie er herausfand. »Eine einheitliche berlinweite Koordination fehlte bislang aber«, sagt Adler.
Coronaport.net hat diese Lücke geschlossen. Tatsächlich wird das Angebot rege wahrgenommen, zumindest von der Helferseite. Bis Redaktionsschluss hatten sich bereits mehr als 2000 potenzielle Helfer auf der Seite des jungen Hobby-Programmierers registriert, die per E-Mail oder Telefon kontaktiert werden können.
FEEDBACK Da ist zum Beispiel Sariffa El-Sayed, die in Marienfelde sowohl für Einkaufshilfe als auch für körperliche Arbeit und Kinderbetreuung zur Verfügung steht. Oder auch Emma Grabow, die gleich in den drei Berliner Bezirken Mitte, Pankow und Friedrichshain-Kreuzberg anbietet, beim Einkauf anzupacken. »Ich freue mich wirklich sehr, dass meine Website gut angenommen wird und bereits so viele Menschen ihre Hilfe anbieten«, sagt Adler. Er habe schon sehr viel positives Feedback von den Nutzern erhalten.
Allerdings übersteige die Anzahl der Menschen, die helfen wollen, bei Weitem die Nachfrage von denjenigen, die nach Unterstützung suchen, sagt der engagierte Website-Gründer. »Es kostet natürlich schon ein bisschen Überwindung, fremde Menschen um Hilfe zu bitten«, erklärt der Jugendliche die Diskrepanz. »Aber eine Krisensituation wie diese Virus-Epidemie erfordert, dass wir füreinander da sind und auch Menschen helfen, die eben nicht auf Freunde und Familienangehörige zurückgreifen können.«
Dass sich bis dato noch nicht so viele Hilfsbedürftige gemeldet haben, führt Adler auch auf das Medium Internet zurück. Gerade ältere Menschen würden das Netz oftmals kaum nutzen. »Deshalb ist es wichtig, dass der Berliner Senat gemeinsam mit gemeinnützigen Organisationen auch ein Hilfs-telefon einrichten will«, sagt Adler.
EXPERTISE Erst vor Kurzem habe ihn ein Mitarbeiter des Senats angerufen, ob er mit seiner gesammelten Expertise das Telefonprojekt unterstützen könne. »Ich werde selbstverständlich helfen, wo ich nur kann«, sagt der junge Berliner, der später einmal Arzt werden möchte. Da sich die Viruslage stetig verändere, sei es wichtig, auf unterschiedlichen Wegen Hilfsangebote zu organisieren, damit sich möglichst viele Bevölkerungsgruppen angesprochen fühlen.
»Die Virologen sagen, dass wir noch lange nicht die Spitze des Eisbergs der Virusausbreitung in Deutschland erlebt haben, und dass es jetzt auf jeden Tag und das Verhalten des Einzelnen ankommt«, sagt Adler. Es habe ihn anfangs geärgert, dass gerade viele Menschen aus seiner Altersgruppe den Ernst der Lage in den ersten Tagen noch immer nicht begriffen hatten, auch einige seiner Kumpels aus Klasse.
Gerade ältere Menschen nutzen das Netz oftmals kaum. Daher ist auch ein Hilfstelefon geplant.
»Es gab einige Vernünftige, die in der Situation sofort weitgehend zu Hause blieben und damit den Anweisungen der Politik und der Wissenschaft folgten, und es gab andere, die sich in Parks trafen und so taten, als hätten sie vorgezogene Ferien«, sagt der Jugendliche und schüttelt den Kopf.
Diese sogenannten Corona-Partys waren nicht nur dem Berliner Jugendlichen in seinem privaten Umfeld negativ aufgefallen. Die Landespolitiker der verschiedenen Bundesländer haben sich inzwischen auf weitreichende Ausgangsbeschränkungen geeinigt. Mehr als zwei Personen dürfen sich auch in Berlin mittlerweile ohnehin nicht mehr treffen – und auch das nur, um einkaufen, zum Arzt, zur Arbeit oder an die frische Luft zu gehen.
EINSCHNITTE Adler appelliert zudem an die Solidarität seiner Altersgenossen. »Als die Jugend zu den Fridays-for-Future-Demonstrationen aufgerufen hat, hat sie zu Recht die Solidarität der Gesamtgesellschaft eingefordert«, sagt er. »Jetzt, in der Virus-Krise, muss die Jugend zeigen, dass auch sie solidarisch mit den Schwächsten und am meisten Gefährdeten in der Gesellschaft sein kann.«
Auch ihm gefallen die tiefen Einschnitte im öffentlichen Leben nicht, die erlassen wurden, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. »Na klar, ich hätte gerne meinen 16. Geburtstag am vergangenen Donnerstag mit einer großen Party gefeiert«, sagt Adler. »Aber es ist jetzt einfach nicht die Zeit, um zu feiern, sondern die Zeit, um Solidarität zu zeigen.«