Frau Adler, vor 20 Jahren haben Sie AVIVA-Berlin gegründet. Wie kam es dazu?
Mir fiel auf, dass in den regionalen und überregionalen Medien, die ich damals las, Frauen und ihre Arbeit nur unzureichend vertreten waren. In feministischen Medien hingegen spielten jüdische Frauen kaum eine Rolle. Das wollte ich ändern – und habe 1999, als alleinerziehende Mutter mit einer zweieinhalbjährigen Tochter, angefangen, AVIVA aufzubauen, mithilfe eines ExistenzgründerInnendarlehens der Investitionsbank Berlin.
Warum fiel Ihre Wahl auf das Internet?
Dass AVIVA keine Print-Zeitschrift wurde, lag auch daran, dass ich die »Neuen Medien« aktiv mitgestalten wollte, auch wenn es damals noch wesentlich schwieriger und teurer als heute war, eine Website zu programmieren und zu betreiben. Gleichzeitig war auffällig, dass auch im Internet Frauen unterirdisch wenig sichtbar und aktiv waren. Letzteres kannte ich schon aus meinem Ausbildungsberuf, der Fotografie: Technisches wurde – und wird ja heute immer noch – sehr stark mit Männern in Verbindung gebracht. Am 1. Februar 2000 ging die Seite AVIVA-Berlin dann online.
Was hat sich seitdem verändert?
Die feministische Grundhaltung ist geblieben. Denn die ist heute genauso notwendig wie vor 20 Jahren. In der Kunst, Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen sind Frauen – im Vergleich zu den Männern – nach wie vor unterrepräsentiert und unterbezahlt. AVIVA ist in den vergangenen 20 Jahren gewachsen, und heute kann ich auf ein kleines feines Netzwerk von freien Schreibenden zurückgreifen. Ich bin jedoch nach wie vor die einzige feste Redakteurin.
Ein AVIVA-Fokus liegt auf der Literatur.
Allerdings, wobei wir auch viel zum Thema Film oder Veranstaltungshinweise in Berlin publizieren. Wir veröffentlichen auch deshalb so viele Buchrezensionen, weil Werke von Frauen in anderen Medien viel zu wenig besprochen werden – mit der Folge, dass Frauen weniger häufig Literaturpreise gewinnen und ihnen dadurch tendenziell weniger Geld für die weitere literarische Arbeit zur Verfügung steht. Im Rahmen des AVIVA-Jubiläums widmet sich eine ganze Veranstaltungsreihe der Unsichtbarkeit von Frauen in der Literatur.
Was genau planen Sie?
Mit Autorinnen und Fachfrauen diskutieren wir die Produktionsbedingungen und inhaltlichen Herausforderungen für Frauen im Literaturbetrieb. Die Themen reichen vom journalistischen Umgang mit Rechtspopulismus über die Situation von feministischen Verlagen in Deutschland bis hin zu Exilliteratur, wo wir der Frage nachgehen werden, was es für Frauen früher wie heute bedeutet, ihre Sprachheimat zu verlassen und im Exil zu schreiben. Wir möchten mit unserer Veranstaltungsreihe auch junge Leute und Fachkräfte wie Pädagoginnen für unsere Themen und Diskussionen sensibilisieren.
Wie schätzen Sie die Inklusion und Repräsentation von Jüdinnen im deutschen Feminismus ein?
Lange Zeit war die Inklusion von Jüdinnen im deutschen Feminismus kein Thema. Die 68er-Frauenbewegung etwa hat kaum Interesse gezeigt an der jüdischen Identität ihrer Mitstreiterinnen, und auch zur israelischen Frauenbewegung gab es kaum Kontakte. Inzwischen beobachte ich aber eine langsame Öffnung. Mich irritiert und brüskiert allerdings, dass viele nichtjüdische Frauen unsere jüdischen Identitäten sehr häufig auf die Schoa reduzieren. Zudem gibt es gleichzeitig auch seitens der Feministinnen sehr wenig Interesse daran, sich mit der eigenen Familienbiografie während des Nationalsozialismus zu beschäftigen. Dabei sollte nicht bei den Vätern und Großvätern haltgemacht werden, denn auch Frauen waren beteiligt. Ich wünsche mir also mehr Sensibilität, aber auch mehr Normalität. Es gab und gibt genügend Jüdinnen, etwa im deutschen Kulturbetrieb, über deren Arbeit es sich zu berichten und zu diskutieren lohnt.
Mit der AVIVA-Chefin sprach Till Schmidt.