Aus Anlass des 75. Jahrestages der Novemberpogrome hat Anfang November eine Delegation der liberalen »Central Conference of American Rabbis (CCAR)« Berlin und Potsdam besucht. Begleitet wurde sie von Rabbinerin Ellen W. Dreyfus, die von 2009 bis 2011 die CCAR als Präsidentin leitete, und ihrem Ehemann James Nathaniel Dreyfus, einem Urenkel von Rabbiner Leo Baeck. Mit rund 2000 Mitgliedern gilt die CCAR als der größte Rabbinerverband weltweit.
Anliegen der 30 Rabbinerinnen und Rabbiner war es, sich mit der Geschichte und der Erneuerung jüdischen Lebens in Deutschland vertraut zu machen. So ehrte die Gruppe gemeinsam mit dem Parlamentarischen Staatssekretär Christian Schmidt (CSU) deutsche Widerstandskämpfer an der Gedenkstätte für den deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus. »Es waren zu wenige und es war schon zu spät«, sagte Ellen W. Dreyfus – dennoch seien sie ein »Funken in der Dunkelheit« gewesen. Bei einem Besuch im Paul-Löbe-Haus traf die Gruppe mit der Religionsbeauftragten der CDU/CSU-Fraktion Maria Flachsbarth zusammen.
Berlin war für die Reformrabbiner aus den USA ein wichtiges Reiseziel, weil hier die jüdische Aufklärung ihren Anfang nahm und es vor allem jüdische Gelehrte aus Berlin waren, die bis in die 30er-Jahre der jüdischen Reformbewegung in Amerika Impulse gaben. Großen Anteil daran hatte die »Hochschule für die Wissenschaft des Judentums«, die 1872 von Abraham Geiger und seinen Weggefährten gegründet wurde.
Bildungseinrichtung Seit 2001 knüpft nun das Abraham Geiger Kolleg als Rabbinerseminar an dieses Vorgängerinstitut an. Mit dem Wintersemester 2013/14 übernimmt an der Universität Potsdam die School of Jewish Theology die Verantwortung für das wissenschaftliche Studium künftiger liberaler und konservativer Rabbiner und Kantoren. Das Rabbinerseminar kann sich fortan auf die praktische und seelsorgerliche Ausbildung beschränken. Ohne die Unterstützung aus den Vereinigten Staaten wäre es aber kaum zur Verankerung der jüdischen Theologie an einer deutschen Universität gekommen.
Die Begegnung mit Rabbiner- und Kantorenstudenten stand deshalb im Zentrum des Besuchs. Beim gemeinsamen Morgengottesdienst stellten sich Studierende aus Deutschland, Polen, Ungarn, Schweden, Norwegen, Israel und den USA den Gästen vor. Die zeigten sich beeindruckt von den Lebenswegen und der Qualität ihrer künftigen Kollegen. Das Judentum in Deutschland werde wieder eine Zukunft haben, freute sich Rabbinerin Dreyfus.
Auf einen Landsmann stießen die Reformrabbiner im Gespräch mit dem geschäftsführenden Vizepräsidenten der orthodoxen Lauder-Foundation, Rabbiner Joshua Spinner. Er stellte das Bildungsprogramm der Stiftung in Deutschland vor und skizzierte dabei auch das traditionelle Studium am 2009 wieder eröffneten Hildesheimerschen Rabbinerseminar.
Einheitsgemeinde Mit Rabbiner Spinner diskutierten sie unter anderem das in Deutschland historisch gewachsene System der Einheitsgemeinden, das Juden aller Richtungen unter einem Dach vereine. Die Debatte über diesen, aus amerikanischer Sicht besonderen Gemeindetyp, setzte ich beim Treffen mit Vertretern der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK) fort. Niedersachsens Landesrabbiner Jonah Sievers, Vorstandsmitglied der ARK, verteidigte die Einheitsgemeinde als ein Erfolgsmodell, das die jüdische Gemeinschaft trotz ihrer inneren Vielfalt zusammenhalte und ihr erlaube, nach außen mit einer Stimme zu sprechen.
Dass auch abseits der offiziellen Gemeindestrukturen jüdisches Leben in Deutschland existiert, davon zeugte ein Abend mit verschiedenen Initiativen und Vereinigungen, darunter dem feministischen Projekt Bet Debora und der Bewegung für jüdisches Lernen Limmud. Jüdischer Pluralismus sei wichtig, betonte Rabbinerin Dreyfus, denn es gebe viele Wege, jüdisch zu sein. Je mehr Perspektiven eröffnet würden, desto mehr Türen dazu öffneten sich.
Das Programm führte die Delegation unter anderem in die Ausstellung Topographie des Terrors und die Wannsee-Villa, in der die Nazis die sogenannte Endlösung der Judenfrage beschlossen. Sie besuchten darüber hinaus das alte jüdische Viertel Berlins, die Neue Synagoge Oranienburger Straße, das Centrum Judaicum, das Jüdische Museum Berlin und die Universität Potsdam. Den Abschluss bildete die Gedenkfeier der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.