Gemeindecoaching

Immer in Kontakt

Das Gemeindecoaching fängt mit einer umfassenden Analyse an. Foto: ZRDJ

»Die tiefen Einblicke, die wir durch die zahlreichen Gespräche in den jüdischen Gemeinden erhalten haben, sind bewegend und berührend«, erzählt Anja Olejnik. Sie ist die Leiterin des Gemeindecoachings, eines Beratungsangebots des Zentralrats der Juden in Deutschland. Seit 2021 begleiten Olejnik und ihr dreiköpfiges Team jüdische Gemeinden beim Umbau ihrer Strukturen und der Umsetzung neuer Ideen. Das Projekt geht nun in sein drittes Jahr.

Es seien häufig ähnliche Veränderungswünsche, mit denen sich die Gemeinden an sie wenden würden, erzählt Olejnik: effizientere Arbeitsabläufe, bessere Mitgliederbindung, eine attraktivere Kinder- und Jugendarbeit. »Ein einheitliches Erfolgsrezept gibt es aber nicht.« Mehr als ein Dutzend Gemeinden, Landesverbände und Jugendzentren haben in den ersten beiden Jahren das Coaching-Angebot angenommen.

Plan Alle haben Olejnik und ihre Mitarbeiter besucht, ausführliche Interviews mit Leitung und Mitgliedern geführt, einen Aktionsplan erstellt und dessen Umsetzung eng begleitet. »Dafür offen zu sein, erfordert auch Mut«, findet Olejnik, schließlich gehe es um einen anderthalb bis zweijährigen Prozess, während dem viele Veränderungen anstehen. »Aber auch danach verschwinden wir nicht.«

Ein häufiger Wunsch ist eine bessere Kinder- und Jugendarbeit.

Wie wichtig der dauerhafte Draht zu den Gemeinden ist, zeigte sich, als im Frühjahr Tausende ukrainische Geflüchtete nach Deutschland kamen. »Viele Mitglieder haben sich sofort verpflichtet gefühlt zu helfen, einige hat das aber auch überfordert«, berichtet Olejnik. Sie und ihr Team waren in dieser Ausnahmesituation für die Gemeinden da – mit einem Beratungsangebot und finanzieller Unterstützung. Geholfen hat ihnen dabei die Erfahrung, die sie bereits zuvor sammeln konnten.

Auch der Kontakt zu Sabine Strackharn vom Wohlfahrtsverband der Jüdischen Kultusgemeinde Wuppertal ist nie abgerissen. Sie ist Mitglied der Geschäftsleitung und die Ansprechpartnerin für das Coachingprogramm, an dem ihre Gemeinde schon in der ersten Bewerbungsphase 2021 teilgenommen hat. Die Veränderung, die sich durch die intensiven Gespräche vor Ort für Strackharn sofort eingestellt hat, war ein Perspektivwechsel. »Mir wurde bewusst, wie viel Potenzial bei uns da ist«, erzählt sie begeistert.

Projekte Der einzigartige Wohlfahrtsverband der Gemeinde bietet schon allerhand: ein umfangreiches Beratungsangebot für alle Altersgruppen, eine Integrationsagentur, vielfältige Projekte und eine kleine Sprachenschule. Dennoch sollte noch einiges verbessert und erweitert werden: »Wir wollten unsere Kräfte bündeln und uns gezielter auf bestimmte Aufgaben konzentrieren«, beschreibt Strackharn die Zielsetzung. Außerdem war es ein Anliegen des Vorstandes der Jüdischen Kultusgemeinde, Jugendliche noch stärker für die Gemeinde zu begeistern.

Hier habe sich durch das Gemeindecoaching viel zum Guten gewendet: »Wir haben mehr Kinder, mehr Freiwillige sowie ein größeres und facettenreicheres Angebot als früher«, fasst Strackharn die Erfolge der letzten Jahre zusammen.

Zudem habe man es geschafft, Geflüchtete aus der Ukraine in die Arbeit des Wohlfahrtsverbandes zu integrieren. So sei zum Beispiel mittlerweile eine ukrainische Künstlerin an der Projektgestaltung beteiligt, so Strackharn. Sie ist überzeugt: »Der Fundus, den die Menschen mitbringen, ist enorm.« Dabei war die Ankunft der Geflüchteten im vergangenen Frühjahr zunächst einmal vor allem eins: eine gewaltige Aufgabe. »Es war anfangs sehr unstrukturiert«, beschreibt Strackharn die Situation in Wuppertal.

Sofort habe man die eigenen Mitarbeiter für die Arbeit in der stadtweit koordinierten Geflüchtetenhilfe freigestellt und sich intensiv an der Bereitstellung von Versorgung, Unterkunft, Sprachkursen und Pflegeleistungen beteiligt. Bis heute betreue man etwa 130 ukrainische Familien, rund 50 Personen seien neue Gemeindemitglieder geworden. »In dieser Zeit waren wir immer im Gespräch mit dem Team des Gemeindecoachings«, erinnert sich Strackharn. Man habe ihr »das Gefühl gegeben, nicht allein zu sein«. Sie hält die professionelle Beratung für Gemeinden für ein außerordentlich wichtiges und notwendiges Angebot. Das Resümee ihrer Erfahrung mit dem Programm: »Ich bin total überzeugt.«

Mut Das empfindet der Präsident des Zentralrats ähnlich. »Das Gemeindecoaching ist ein äußerst erfolgreiches Projekt«, meint Josef Schuster. »Angefangen vom Gemeindebarometer bis hin zur aktiven Arbeit mit bisher 14 Gemeinden und Landesverbänden wird hier sinnvolle und sinnstiftende Arbeit für die jüdische Gemeinschaft und das jüdische Leben in Deutschland geleistet.« Er sei froh, »dass wir vor zwei Jahren den Mut hatten, diesen Schritt zu gehen«.

Zu den Mittelgebern des Programms zählen auch das Bundesinnenministerium, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben. Schuster glaubt, dass sich an der umfangreichen Hilfe, die die jüdischen Gemeinden den ukrainischen Geflüchteten zur Verfügung gestellt haben, zeige, »wie wichtig die Investition in eine stabile Gemeindestruktur ist«.

»Das Gemeindecoaching ist ein äußerst erfolgreiches Projekt.«

Zentralratspräsident Josef Schuster

Auch Anja Olejnik ist erstaunt über die Hilfsbereitschaft, die sie im Zuge des Krieges in der Ukraine beobachtet hat. »Wir können stolz auf das sein, was unsere Gemeinden geleistet haben.« Zwei Umfragen hat ihr Team zu diesem Thema durchgeführt. Das Ergebnis: 25.000 Geflüchtete haben von den jüdischen Gemeinden Hilfe erhalten, etwa 8000 stünden in einer dauerhaften Beziehung mit ihnen.

ausnahmesituationen Die Gemeinden hätten gezeigt, »wie werteorientiert sie sind und wie schnell sie sich auf Ausnahmesituationen einstellen können«. Doch die Geflüchtetenhilfe sei auch eine finanzielle Belastung, so Olejnik. Zusammen mit der jüdischen Wohltätigkeitsorganisation »JDC« wurde daher ein Fonds eingerichtet, der unkompliziert Entlastung schafft.

Olejnik beschreibt ihre Tätigkeit als »Privileg«. Sie sehe, dass in den Gemeinden viele Schritte in die richtige Richtung gegangen werden. »Das macht uns als Coaching-Team optimistisch.« In diesem Jahr können sich Interessierte zum dritten Mal für das Programm bewerben. Sechs bis acht neue Gemeinden sollen betreut werden, mehrere Umfragen sind geplant, Hunderte Interviews sollen geführt werden. So viel ist sicher: Olejnik und ihrem Team wird die Arbeit vorerst nicht ausgehen.

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