Die Deutschlehrerin ist schuld. »Sie war so begeistert von der Sprache, dass sie mich ansteckte und prompt meine Zukunftspläne änderte«, sagt Zinaida Baskina. Eigentlich wollte sie nämlich Kinderärztin werden – wie ihre Mutter. Doch bereits als Schülerin wurde sie ein »Bücherwurm« und verschlang so ziemlich alles an Literatur, was ihr in die Hände fiel. Sie wuchs in einer kleineren Stadt in Weißrussland auf, in deren Schulen Deutsch anstelle von Englisch als erste Fremdsprache unterrichtet wurde. Ihr Berufswunsch ging in Erfüllung – sie wurde Deutschlehrerin.
Die Liebe zur Sprache möchte die 64-Jährige heute auch anderen Gemeindemitgliedern vermitteln, weshalb sie seit März Deutschunterricht im Seniorenzentrum und in den Räumen des Familienzentrums »Zion« in der Oranienburger Straße gibt. Sie ist eine von 44 Menschen, die derzeit über den Bundesfreiwilligendienst die Gemeinde unterstützen.
Im vergangenen Herbst seien 50 Stellen beim Ministerium beantragt worden, von denen mittlerweile fast alle besetzt seien, sagt Cornelia Höring-Schmidt, Leiterin der Sozialabteilung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, die sich auch über noch mehr »Bufdis« freuen würde, denn Hilfe würde an vielen Stellen dringend benötigt.
Seit zwei Jahren gibt es den Bundesfreiwilligendienst, der mit dem Wegfall der Wehrpflicht und des Zivildienstes von der Bundesregierung eingeführt wurde. Damit sollten mögliche Engpässe bei der Versorgung älterer Menschen oder dem Fortbestand sozialer Projekte gefüllt werden. Um diesen Dienst möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen, gibt es keine Altersbeschränkung. Also können auch Frauen und Männer im Rentenalter aktiv werden. Die Bedingungen allerdings sind für jeden »Bufdi«, egal ob 18 oder 80, gleich.
Entlastung Jeder müsse 22 Stunden wöchentlich »tätig sein« und erhalte als Aufwandsentschädigung 175 Euro im Monat. Ab August sollen es 200 Euro werden, die das Bundesfamilienministerium finanziert. Einige »Bufdis« machen Krankenbesuche, begleiten Gemeindemitglieder aufs Amt oder zum Arzt, gehen mit Senioren spazieren oder entlasten Familien, indem sie sich um die Kinder kümmern.
Der älteste Bundesfreiwillige, der in der Jüdischen Gemeinde tätig ist, zählt 88 Jahre und organisiert leidenschaftlich gerne Feste. »Fast alle sind im Rentenalter und suchen nach einer sinnvollen Beschäftigung«, sagt Höring-Schmidt. Mittlerweile gebe es schon eine Warteliste, so viele wollen mitmachen. Und in der Gemeinde warteten viele Menschen, die die Hilfe anderer dringend benötigten. Die Mitarbeiter der Sozialabteilung kennen ihre Sorgen und können sich dementsprechend darum kümmern. Auch Zinaida Baskina umsorgte vor ihrem Sprachkurs-Projekt andere Gemeindemitglieder.
So dolmetschte sie bei Amtsbesuchen und betreute Hilfsbedürftige. Im Frühjahr hatte sie dann die Idee: Warum sollten nicht auch Senioren die Möglichkeit haben, ihr Deutsch aufzubessern? Baskina bot der Sozialabteilung das Projekt an, und es gefiel. »Auch mein Deutsch verbessere ich dadurch«, sagt die bescheidene Dame mit einem kleinen Lächeln. Baskina nimmt ihre Arbeit sehr ernst. Mehrere Lehrbücher hat sie sich gekauft, um sich perfekt informieren zu können. Die Titel lauten alle sehr ähnlich Mein Anfang in Deutschland. Einigen sieht man an, dass sie oft benutzt wurden.
Arztbesuch Zinaida Baskina bereitet sich immer genau auf die Stunden vor und überlegt, was sie durchnehmen möchte. Auf einem Zettel notiert sie sich die Seitenzahlen, geht dann zur Sozialarbeiterin des Seniorenzentrums und bittet sie, die Unterlagen zu kopieren. »Zuletzt haben wir die Innere Medizin, einen Arztbesuch, das Leben in Deutschland und ein Termin beim Arbeitsamt durchgenommen«, sagt sie.
In anderen Stunden will sie über Sehenswürdigkeiten, die Sitten, Bräuche und Feiertage sprechen. »Man lernt eine Sprache über das Hören«, sagt Baskina. Die fünf Teilnehmer im Seniorenzentrum und acht in den Räumen der Sozialabteilung in Mitte würden ihr sehr aufmerksam zuhören. Ihr ältester Schüler ist über 80 Jahre alt. »Die Teilnehmer sind total begeistert und dankbar für das Projekt«, sagt Cornelia Höring-Schmidt.
Neben der Literatur mag Zinaida Baskina auch gerne klassische Musik. Zu ihren Lieblingskomponisten zählen Mozart, Chopin, Bach und Beethoven. Zinaida Baskina hat jahrelange Erfahrungen im Unterrichten, denn sie lehrte bereits an der Hochschule für Fremdsprachen in ihrer ehemaligen Heimat. Vor 16 Jahren kam sie als sogenannter Kontingentflüchtling nach Berlin. Der Anfang war für sie schwer. »Es herrscht hier eine andere Atmosphäre, und auch die Luft ist anders.«
Doch heute lebte sie sehr gerne in Berlin. »Ich habe mich allmählich daran gewöhnt.« Da sie zwei Pässe habe, kann sie auch in ihre alte Heimat ohne große Probleme reisen. Dreimal war sie bereits da, um Freunde und Verwandte zu besuchen. Mit dabei hat Zinaida Baskina immer ein paar Bücher. Um Liebesgeschichten macht sie einen weiten Bogen, so etwas interessiert sie gar nicht. Sie liest am liebsten Biografien. Derzeit die des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki.