Nur wenige Stunden nach seinem letzten Spiel sieht man Eitan Ratson die Anstrengung kaum mehr an. An diesem Sonntagnachmittag traten er und seine Mannschaftskollegen vom SV Wehen Wiesbaden gegen den Frankfurter Stadtteilverein Sporting Eckenheim an. Am Ende stand es 2:1. Ein Freundschaftsspiel, das mit einem Pflichtsieg für die Jugendauswahl der Wiesbadener endete. Ratson stand wieder im Kader, als zentraler Verteidiger. Seine Lieblingsposition – die Position, auf der er sich in die U17-Auswahl Israels gespielt hat.
Einige Stunden später sitzt Ratson in einem Café im Frankfurter Westend. Die Frisur, ein großer dunkler Schopf über kurz rasierten Schläfen, ist wieder in Form. Und auch sonst macht der 16-Jährige einen fitten Eindruck, obwohl der Tag wieder einmal lang war. »Wir haben gewonnen«, erklärt er unaufgeregt, aber nicht ohne Stolz. Er ist angekommen in seinem neuen Team – in einem Verein, dessen Namen er vor wenigen Monaten noch nicht einmal kannte.
Als Ratson am 16. Juli am Rhein-Main-Flughafen aus dem Flugzeug stieg, war es für ihn ein wenig so, als hätte man ihn in eine andere Welt katapultiert – fußballerisch zumindest. Bis dahin war er für Beitar Nes Tubruk aus Netanja aufgelaufen, dessen erste Mannschaft in der untersten israelischen Liga spielt. Gleichzeitig jedoch zählen Tubruks Jugendabteilungen zu den renommiertesten des Landes und liefern regelmäßig Nachwuchs für größere Vereine wie Maccabi Haifa.
Talentschmiede Der israelische Klubfußball rangiert im europäischen Vergleich irgendwo im Mittelfeld. Die Infrastruktur kann kaum mit dem mithalten, was höherklassige Vereine in Westeuropa zu bieten haben. »Der Platz, auf dem wir spielten«, erklärt Ratson, »wurde von insgesamt sieben Teams genutzt.« Solche Zustände kennt man beim SV Wehen nicht.
Seit der Verein vor einigen Jahren in die Zweite Liga stürmte, verfügt er über ein kleines, aber modernes Stadion nahe der Wiesbadener Innenstadt. Inzwischen haben sich die Wehener zu einem etablierten Drittligisten entwickelt, der jedoch immer noch im Schatten der größeren Vereine der Region steht. Doch ähnlich wie Beitar Tubruk hat sich Wehen in den vergangenen Jahren den Ruf einer Talentschmiede erworben. Mindestens ein Jahr lang soll nun auch Eitan hier geformt werden. »Man versucht, das Beste aus mir herauszuholen«, ist er sich sicher.
Daran, dass in dem Jungnationalspieler ein besonderes Talent schlummert, das entsprechend gefördert werden muss, glaubt auch Marc Schermann. »Eitan hat einen starken Charakter, seine technischen Fähigkeiten sind überdurchschnittlich, er ist seinem Alter weit voraus. Ein Abwehrspieler mit Auge.« Es klingt ein wenig nach Schwärmerei, doch der hauptberufliche Spielerberater hat ein Auge für Talente. Auch für das, was ihnen noch fehlt: »Im koordinativen und im athletischen Bereich muss er sich noch verbessern.«
Schermann ist der Mann im Hintergrund, der die Kooperation zwischen der deutschen und der israelischen Talentschmiede angeleiert hat. Nicht aus geschäftlichem Interesse, wie er betont, sondern um israelischen Talenten den Weg in die europäischen Ligen zu ebnen. Die eine Seite liefert die Talente, die andere optimale Bedingungen für ihre Förderung. »Das klingt alles so einfach, ist es aber gar nicht«, sagt Schermann. Fünf Jahre lang hat er zusammen mit den Verantwortlichen von Tobruk nach Partnern gesucht, um dieses Projekt zu verwirklichen.
Anpassung Schermann hat beobachtet, dass viele israelische Kicker ein Problem mit der Anpassung an das deutsche Fußballspiel haben. »In Deutschland liegt der Schlüssel zum Erfolg für einen Spieler im Charakter«, erklärt Schermann. »Wenn der Trainer sagt, du sollst einfach spielen, machst du das und diskutierst nicht lange mit ihm.«
»Play it simple!« Diesen Satz hat Eitan Ratson in den vergangenen Wochen schon häufiger gehört. Er versucht, sich an die Anweisung seines Trainers zu halten. Noch läuft die Kommunikation vorwiegend auf Englisch. Doch den Grundkurs Deutsch hat Eitan bereits hinter sich gebracht. Demnächst will er sich an einem Frankfurter Gymnasium anmelden.
Der SV Wehen übernimmt die fußballerische Ausbildung. Dafür, dass sich Eitan auch abseits des Platzes wohlfühlt, sorgt indes die Gemeinde. Bei Huberta und Rafael Herlich hat er ein vorübergehendes Zuhause gefunden. Inzwischen hat er sich eingelebt. Auch wenn sein »Stundenplan ziemlich voll ist«, wie er sagt. Aufstehen um acht, Schule bis halb eins, danach kurz nach Hause, essen, ausruhen, dann nachmittags zum Training.
Freunde Für Hobbys ist da nicht viel Platz. Die ersten Freunde, die Eitan in Frankfurt gewonnen hat, sind seine Mannschaftskollegen. »Ich bin von allen sehr herzlich aufgenommen worden.« Es ist eine echte Multikulti-Truppe, die beim SV Wehen Wiesbaden aufläuft. Jungs mit Wurzeln in afrikanischen Ländern, in Osteuropa oder im Maghreb. Eitan sagt, man habe ihn gleich als Teil des Teams akzeptiert. Vor allem auch die muslimischen Mitspieler. Und das, obwohl er gut sichtbar einen silbernen Magen David um den Hals trägt und ein weiterer sein Bein als Tattoo schmückt.
»Es verlangt mir Respekt ab, was Eitan leistet. In diesem Alter von zu Hause wegzugehen, meine ich«, sagt Marc Schermann. Er setzt große Hoffnungen in den israelischen Nachwuchskicker. Eitan könnte ein Türöffner sein. Setzt er sich durch, stehen bei Tubruk bereits weitere Talente in den Startlöchern. »Und wenn er so weitermacht, wie in den ersten Wochen«, ist Schermann sicher, »glaube ich nicht, dass er nur ein Jahr hierbleiben wird.«