Mehr als fünf Jahre nach ihrem Tod darf eine nichtjüdische Frau auf dem Friedhof der Jüdischen Kultusgemeinde in Essen neben ihrem 1996 verstorbenen Ehemann beerdigt werden. Das hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster am Dienstag entschieden.
Die Kultusgemeinde verstoße mit ihrer Ablehnung der Bestattung einer Nichtjüdin an der Seite ihres Mannes »offensichtlich gegen die Totenwürde beider Eheleute, in der sich ihre Menschenwürde als oberstes Verfassungsprinzip nach dem Tod« fortsetze, hieß es zur Begründung.
Der Einzelfall habe »Vorrang vor dem ebenfalls besonders hoch zu gewichtenden Schutz des Selbstverwaltungsrechts der Kultusgemeinde«.
Grundsatzfrage Der Anwalt der Gemeinde, Nikolaus Steiner, sagte der Jüdischen Allgemeinen am Mittwoch, es sei eine grundsätzliche Frage, ob dem Bestattungsrecht Vorrang vor der Religionsfreiheit und dem Selbstbestimmungsrecht der Gemeinde eingeräumt werde.
Das Paar, ein Jude und eine Ex-Katholikin, hatte das Doppelgrab auf dem jüdischen Friedhof in Essen-Huttrop bereits 1971 erworben. Die Gemeinde, so das OVG, habe dem Ehemann die Reservierung mit dem Zusatz »trotzdem Ihre Gattin Nichtjüdin ist« schriftlich bestätigt. 1993 sei diese Bestätigung erneuert worden.
Der Mann starb 1996 und wurde auf dem jüdischen Friedhof beerdigt. Unter Berufung auf ihre inzwischen geänderte Satzung verweigerte die Essener Gemeinde jedoch 2011 die Bestattung der nichtjüdischen Ehefrau, weil dies aus religiösen Gründen nicht zulässig sei.
Verfassungsbeschwerde Die Kinder des Mannes ließen ihre Stiefmutter daher auf einem städtischen Friedhof begraben und klagten zunächst vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen gegen die Jüdische Kultusgemeinde Essen. Nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts kann diese nun innerhalb eines Monats beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde einlegen.
Ob die Gemeinde von diesem Recht Gebrauch machen wird, steht derzeit noch nicht fest. Der Gemeindevorsitzende Jewgenij Budnizkij sagte der Jüdischen Allgemeinen am Mittwoch, die Auseinandersetzung betreffe nicht nur die Essener Gemeinde. Daher habe er vor einer Entscheidung, wie man weiter vorgehen wolle, den Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und den Zentralrat der Juden in Deutschland um eine Stellungnahme und um Zusammenarbeit gebeten.
Budnizkij räumte ein, dass auf dem Friedhof in Essen-Huttrop auch ehemalige Vorsitzende der Gemeinde neben ihren nichtjüdischen Frauen bestattet worden seien: »Wir verstecken diese Informationen nicht.« Es handele sich aber um Frauen, die ihre jüdischen Männer während der NS-Zeit versteckt hätten. Daher hätten Rabbiner in früheren Jahren der Bestattung dieser nichtjüdischen Ehefrauen auf dem jüdischen Friedhof zugestimmt.