Porträt der Woche

Im Scheinwerferlicht

Konstantin Frank ist Autor, Schauspieler und will sein Judentum nicht verschweigen

von Gerhard Haase-Hindenberg  22.09.2024 13:18 Uhr

»Nach außen hin hat meine Familie verschwiegen, dass wir jüdisch sind. Das kam später nicht mehr infrage«: Konstantin Frank (37) aus Berlin Foto: Mirjam Knickriem

Konstantin Frank ist Autor, Schauspieler und will sein Judentum nicht verschweigen

von Gerhard Haase-Hindenberg  22.09.2024 13:18 Uhr

Da ich immer schon geschrieben habe, verbinde ich inzwischen das Schreiben mit meinen Theaterprojekten, von denen das aktuelle There is only one solution (Call the Polizei) heißt. Es ist eine – wie ich es im Untertitel genannt habe – »postkoloniale Tragikomödie und eine Ode an den guten alten Judenhass«. Dieses Theaterprojekt habe ich entwickelt und gemeinsam mit einer Schauspielkollegin auf die Bühne gebracht.

Pauschal gesagt, geht es um linken Antisemitismus und, spezifischer formuliert, um die Strömung der postkolonialen Theorien. Es gibt ja Leute, die auf die Straße gehen und krasse menschenverachtende Dinge sagen. Zum Beispiel, dass Menschenrechte nicht mehr universell sind, sondern je nachdem so oder so zu bewerten seien. Grundsätzlich sind der Humanismus und die Menschenwürde in weiten Kreisen geradezu verpönt.

Literaturwissenschaften und Schauspielstudium

Ich habe ja durchaus selbst linke Erfahrungen gemacht. Vor meinem Schauspielstudium habe ich Literaturwissenschaften studiert, was ja postkoloniale Lasten in sich trägt. Und ich musste bei anderen erkennen, was es bedeutet, wenn man ganz abgeschnitten von jüdischer Sicht mit der Wahrnehmung groß wurde, dass der Staat Israel der böseste Staat der Welt sei.

So jedenfalls sah das damals mein ganzer linker Freundeskreis. Die koloniale Theorie war, zumindest für mich als Teenager, noch nicht sehr präsent, auch wenn das an den Hochschulen teils schon anders gewesen ist. Aber etwas später kam diese Art der »Israel-Kritik« immer mehr. Das führte mich nun zu dieser Theaterarbeit.

Wie bei anderen Projekten bin ich auch hier so vorgegangen: Ich nehme die Plots von bewährten alten Stücken und transportiere sie ins radikale Jetzt. So habe ich zum Beispiel 2022 eine Adaption von Anton Tschechows Kirschgarten gemacht, was eines meiner Lieblingsstücke ist. In meiner Fassung ging es dann um die rechte Reichsbürgerszene. Diesmal handelt es sich um eine sehr lose Adaption von Molières Tartuffe. Im Mittelpunkt steht ein Mensch, der sein Seelenheil sucht.

Dabei findet er eine Figur, die ihm das Gefühl vermittelt, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, um dann zunächst unfassbar dämliche, schließlich aber radikale und schlimme Sachen zu machen. Bei Tartuffe geht es um Religions- und Gesellschaftskritik. In meiner Adaption aber steht die Frage, wie man den Spagat schafft, dass jemand sagt: »Ich bin links, aber ich finde Terror gut!« Dabei werden vier Hauptpersonen und zwei Nebenpersonen von meiner Kollegin Maria Agni und mir gespielt.

In den 90er-Jahren war St. Petersburg kriminell und dreckig, und einige wurden schnell reich.

Der Titel des Stücks There is only one solution (Call the Polizei) basiert auch auf meiner ganz persönlichen Entwicklung. In meiner Jugend empfand ich den Staat grundsätzlich als repressiv, als ein Ins­trument von Gewalt und Unterdrückung. Mit zunehmendem Alter reifte bei mir die Erkenntnis, dass das staatliche Gewaltmonopol und die Rechtsstaatlichkeit sehr hohe Werte sind, die es zu verteidigen gilt. Nach wie vor aber gibt es Leute, die auf die Straße gehen und Stammeswesen und Blutrache als legitimen Gegenentwurf zur Rechtsstaatlichkeit verstehen. Vor diesem Hintergrund sehe ich mein Stück als ein Plädoyer für den Schutz des Lebens.

Mein russisches Ich

In Russland, wo ich aufgewachsen bin, gibt es zwar auch so etwas wie einen Staat, aber der Wert des Lebens gilt dort als viel geringer. Beispielsweise ist meine Großmutter 2020 an Corona gestorben. Als sie erkrankt war, hatte meine Mutter den Rettungsdienst gerufen. Doch als sie hörten, dass meine Großmutter 86 Jahre alt ist, sind sie gar nicht erst gekommen. Mir ist dabei bewusst geworden, dass ich einerseits schon so sehr europäisiert bin, um das entsetzlich zu finden. Andererseits fand mein russisches Ich, das noch tief in mir verborgen ist, deren Reaktion logisch.

Schließlich habe ich das als Kind so in Russland erlebt. Wenn dort jemand auf der Straße stirbt, dann ist es eben so. Pech gehabt! Als Gegenerfahrung dazu war ich hier in Berlin Zeuge eines entsetzlichen Autounfalls, bei dem ein Mann mehrere Meter durch die Luft gewirbelt wurde. Und obgleich es sich bei dem Verletzten um einen Obdachlosen handelte, kamen alle Menschen rundherum angelaufen und haben ihre Hilfe angeboten. Da wurde mir mal wieder klar, dass hierzulande ein Menschenleben sehr viel mehr gilt als in Russland, wo ich bis zum Alter von 14 Jahren gelebt habe.

Ich kann mich noch sehr gut an die 90er-Jahre in St. Petersburg erinnern. Die Stadt war damals wahnsinnig kriminell und dreckig, und einige Leute wurden ziemlich schnell sehr reich. Andererseits existierte auch eine große Freiheit, nicht zuletzt unter den Künstlern. Mein Vater war seit Mitte der 90er-Jahre als Opernsänger im Ensemble des Mariinski-Theaters und konnte schon sehr viel reisen.

Als ich ein kleines Kind war, hatten meine Eltern zwar nur wenig Geld, das Mariinski-Theater aber wurde vom Staat gefördert, und die Künstler dort haben sehr viel mehr verdient als die normalen Leute – auch meine Mutter, die ursprünglich Mathematik-Lehrerin war, ehe sie sich als Opern-Agentin selbstständig gemacht hat.

In dieser Zeit habe ich sehr krass die Diskrepanz gespürt zwischen meiner Familie und der unglaublichen Armut auf den Straßen. Ein Privileg war es zum Beispiel, dass ich eine sehr gute französische Schule besuchen durfte. Meine Familie hat im Gegensatz zu vielen Juden in der postsowjetischen Ära durchaus kulturell jüdisch gelebt. Retrospektiv betrachtet, waren wir eine jüdisch-intellektuelle Familie.

Es gab bei uns immer das Bewusstsein, dass wir als eine Minderheit in einer russischen Mehrheitsgesellschaft lebten.

Es gab bei uns immer das Bewusstsein, dass wir als eine Minderheit in einer russischen Mehrheitsgesellschaft lebten. Die Russen waren anders als wir, und das zeigte sich auch in einem virulenten Antisemitismus. Selbst auf meinem französischen Gymnasium gab es Klischees wie das vom raffgierigen Juden.

2002 sind wir nach Österreich ausgewandert

Im Jahr 2002 sind meine Eltern mit meinem älteren Bruder und mir nach Österreich ausgewandert. Wir sind nicht auf dem jüdischen Ticket gereist, vielmehr hatte mein Vater einen Vertrag beim Innsbrucker Theater unterschrieben. Ich konnte zwar noch kein Wort Deutsch, aber in Innsbruck gab es das Akademische Gymnasium, das Französisch als einen Schwerpunkt hatte. Ansonsten habe ich anderthalb Jahre vorwiegend zugehört, habe auf diese Weise Deutsch gelernt und konnte schließlich meine Matura machen.

Mein Vater entdeckte eines Tages die Innsbrucker Synagoge und schlug vor, dass wir dort einmal hingehen. So lernten wir die kleine Gemeinde und deren Vorsitzende Esther Fritsch kennen, eine sehr beeindruckende Persönlichkeit. Bisher kannte ich das Judentum nur aus Büchern, die meine Familie besaß – nun aber lernte ich es ganz real kennen. In dieser Gemeinde fand ich in dem leider kürzlich verstorbenen Thomas Lipschütz einen geistigen Mentor. Er war ein kluger, charismatischer Mensch, der nichts unhinterfragt hingenommen hat. Er hat mir das jüdische Denken beigebracht.

Nach außen aber haben wir unser Jüdischsein weitgehend verschwiegen. Das hat meine Familie schon in Russland so gehalten, und mein Vater hat es uns auch in Österreich empfohlen: »Sagt es lieber nicht, dass wir Juden sind!« Als dann aber mein Vater gestorben war, kam meine gesamte Schulklasse zum Begräbnis auf den jüdischen Friedhof. Nun stand ich da mit Kippa und sprach Kaddisch. Das wurde unfreiwillig zum Outing, und ich habe in diesem Moment beschlossen, mein Jüdischsein fortan offen zu kommunizieren.

Konstanz, Berlin, Wien und Wuppertal

Meine Schauspielausbildung habe ich am renommierten Max Reinhardt Seminar in Wien bekommen, und ich bin Österreich sehr dankbar, dass man mir dafür ein Stipendium gewährt hat. Danach habe ich als freier Schauspieler am Stadttheater in Konstanz, an der Schaubühne in Berlin und an einem Sommertheater in Wien gearbeitet und war Ensemblemitglied in Wuppertal.

Schließlich habe ich mit meiner Freundin eine Familie gegründet und mich deshalb vorwiegend um Jobs beim Fernsehen gekümmert. Seither lebe ich in Berlin, wo ich das Stück There is only one solution (Call the Polizei) geschrieben habe, das wir jetzt im Rahmen des Projektes Impuls am 22. September im Centrum Judaicum aufführen. Danach wird es hoffentlich an anderen Orten in Deutschland weitere Aufführungen geben.

Aufgezeichnet von Gerhard Haase-Hindenberg

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