Bilder einer glücklichen Familie und von todgeweihten Menschen wurden am Abend des 27. Januar an die Wand des Foyers im Jüdischen Museum projiziert. Sie illustrierten das Podiumsgespräch mit dem Zeitzeugen Karl Rom anlässlich des Internationalen Holocaust-Gedenktags. Eingeladen hatten die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Kooperation mit dem Museum und dem Kulturreferat der Stadt München.
Museumsdirektor Bernhard Purin begrüßte die zahlreich erschienenen Gäste. Für die Gesellschaft betonte deren jüdischer Vorsitzender Abi Pitum den Stellenwert eines Zeitzeugenberichts. Für ihn persönlich kam noch ein weiterer Aspekt hinzu: »Mein gottseliger Vater war ein Kamerad von Karl Rom in der Verfolgung – deshalb sind Sie auch für mich persönlich der ideale Zeitzeuge.«
Jiddisch Mit einem jiddischen Gedicht führte Karl Rom die Zuhörer mitten in die Qualen der Ghettohäftlinge. Neben Jiddisch war er mit Polnisch aufgewachsen, Litauisch hatte er dann von seinen Spielkameraden auf der Straße gelernt. Anders als seine Schwester, die eine Jüdische Volksschule und ein Jüdisches Gymnasium besuchte, war Rom, geboren im Februar 1926, in einer litauischen Schule.
Schule, Spiel und Sport – da verstand sich Karl Rom gut mit den gleichaltrigen Kindern aus den christlichen Familien der Stadt. Als aktives Mitglied eines Kinderchors war er sogar an den katholischen Feiertagen mit dabei, wenn die Kinder in der Kirche sangen – auch wenn daheim ein koscherer Haushalt geführt wurde.
Nichts ließ erkennen, dass sich dieses Miteinander ins unmenschlichste Gegenteil verwandeln sollte. Doch die Deutschen waren in Polen eingefallen, hatten im Sommer 1941 die Sowjetunion angegriffen. Die russische Armee besetzte zunächst Litauen, bis sie den Deutschen dort weichen musste. Karl Rom hat das nun folgende Schicksal der Juden auf den Punkt gebracht: »Als die Russen kamen, da waren die Juden Kapitalisten. Als die Deutschen kamen, da waren die Juden Kommunisten. Die Deutschen haben uns auseinandergebracht.« Bereits unter der russischen Besetzung Litauens waren Juden deportiert worden – nach Sibirien.
Fluchtversuch Die Familie Rom entschloss sich beim Abzug der russischen Truppen wie viele andere, sich dem Flüchtlingsstrom Richtung Osten anzuschließen. Doch weit kam sie nicht; sie kehrte zurück nach Kaunas. Dieser Fluchtversuch hatte der Familie ein erstes Mal das Leben gerettet. Denn mit dem Einmarsch der deutschen Truppen waren in Kaunas Tausende Juden ermordet worden.
Die Großzahl der christlichen Einwohner von Kaunas hatte sich von den jüdischen Bürgern abgewendet. Verletzend und unverständlich war, was aus dem einstigen Miteinander geworden war: Das Ghettoleben hatte für die Roms am 15. August 1941 begonnen. Bilder der Menschen auf dem Umzug dorthin unterstrichen die Ohnmacht der Opfer. Anfang Oktober wurde alles nochmal schlimmer – die nächste Mordwelle war gekommen.
Eine Chance zum Weiterleben hatte nur, wer arbeiten konnte. Karl Rom konnte dies zunächst beim Transport von Brennstoffen. Später dann wurde er für die Arbeit in der Kleiderkammer abgestellt: So erlebte er indirekt, wie viele Menschen aus ganz Europa nach Kaunas deportiert wurden. Ihr geraubter Besitz wurde sortiert, die besten Sachen wieder zurückgeschickt nach Deutschland. Schnell hatte er begriffen, wie sehr sich die Nazis an den Juden auch hier noch bereicherten.
Auschwitz Mit der Niederlage in Stalingrad begann der Rückzug der Deutschen. Im Frühjahr 1944 gab es weitere Selektionen unter den Juden. Ein erster Transport nach Auschwitz folgte. Am 15. Juni 1944 ging es auch für die Familie Rom Richtung Westen. Vater und Sohn kamen dann ins KZ Kaufering. Am 29. April 1945 wurden sie von den Amerikanern in München-Allach befreit.
Karl Rom berichtet heute immer wieder von dieser unbegreiflichen Zeit. Das erste Mal erzählte er in Alabama von seinen Erfahrungen, wo sein Enkel Daniel Silber ihn als Zeitzeugen mit in den Schule genommen hatte. Heute ist aus dem Schuljungen ein junger Mann geworden, der seinen Großvater in der Zeitzeugenarbeit mit großem Engagement unterstützt – und wie Rom hofft, einmal fortsetzen wird.
Für den Münchner Stadtrat Josef Schmid ist das ein Zeichen der Hoffnung. Er habe sich während des Gesprächs überlegt, wie die Erinnerung an die Holocaust-Opfer bestehen könne, wenn es einmal keine Zeitzeugen mehr gebe. Nun habe er gesehen, dass es dafür die Generation der Enkel gibt. Dafür dankte er Karl Rom und Daniel Silber – auch im Namen der Stadt München.