Ein 20-jähriges Jubiläum zu feiern, sei möglicherweise nicht sehr erwähnenswert. Für die Existenz einer jüdischen Schule in Deutschland nach dem Holocaust seien 20 Jahre jedoch keine Selbstverständlichkeit, betonte Barbara Witting, Schulleiterin des Jüdischen Gymasiums Moses Mendelssohn in Berlin, am Sonntag in ihrer Festrede. Dass diese Schule auch noch ihre Lernenden durchgehend bis zum Abitur begleite, sei hierzulande sogar einzigartig.
Wie besonders diese Tatsache ist, unterstrichen die zahlreichen Gäste aus Politik und Gesellschaft, die sich am Sonntagmittag in der Aula der Schule in der Großen Hamburger Straße versammelt hatten. Allen voran Kulturstaatssekretär André Schmitz, die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Petra Pau, der Vertreter der israelischen Botschaft in Deutschland, Tal Gat, der Bezirksbürgermeister von Mitte, Christian Hanke, sowie die drei Rabbiner Yitshak Ehrenberg, Yehuda Teichtal und Gesa Ederberg, ehemalige, gegenwärtige und künftige Schüler sowie die Gründungsmütter und -väter der jetzigen Schule.
ehemalige Ganz besonders aber freute sich die Schulleiterin über den Besuch der hochbetagten Ehemaligen, die die Schule vor ihrer Schließung durch die Nazis 1942 besuchten. Witting skizzierte die Entwicklung der 1778 als jüdische Freischule gegründeten Lehranstalt, betonte ihren Toleranz- und Aufklärungsgedanken, der nach wie vor Leitbild des Gymnasiums sei. Ihr sei wichtig, die interkulturellen Kompetenzen der Lernenden zu entwickeln, betonte Witting. Ihr liege auch die Ausbildung in Sprache, Judentum sowie die Förderung ehrenamtlichen Engagements am Herzen.
»Wir haben allen Grund ›Mazel Tov‹ zu sagen«, betonte Gideon Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, und unterstrich damit den Erfolg der Schule. »Der Geist, der in dieser Schule herrscht, ist phänomenal.« Dies sei in erster Linie auch der Leiterin Barbara Witting und ihrem Lehrer- und Organisationsteam zu verdanken. Um die bisherigen jüdischen Institutionen herum habe sich eine wichtige jüdische Infrastruktur gebildet, die es nun zu stabilisieren gelte, möglicherweise mit einer weiteren Schule. »Bedarf ist vorhanden«, sagte Joffe.
Vielfalt Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Petra Pau, erinnerte an die vielen Schautafeln, die derzeit im Stadtgebiet zu sehen sind, um an die »zerstörte Vielfalt« zu erinnern. Eine kulturelle Zerstörung, die in Bücherverbrennung und Novemberpogrom ihre ersten traurigen Höhepunkte fand. In Vorbereitung auf den Festakt habe sie in dem Lehrbuch für jüdische Kinder von 1779 gelesen und viel gelernt. Ein Faksimile dieses Büchleins überreichte Pau als Jubiläumsgeschenk.
Staatssekretär André Schmitz ließ das Redemanuskript auf seinem Sitzplatz liegen. »Ich könnte nur wiederholen, was ohnehin schon gesagt wurde«, sagte er. Doch sein herzlicher, ehrlich gemeinter Dank ging an die Schulleitung und die Lehrerschaft. In Abwandlung des Spruchs »Hinter einem erfolgreichen Mann steht stets eine starke Frau« sagte Schmitz: »Hinter dieser Schule steht Barbara Witting«. Sie sei die »wunderbare Seele« des Gymnasiums. Gemeinsam mit Witting enthüllte er eine Büste des Namenspatrons. »Er wird Barbara nun jeden Morgen grüßen, wenn sie in ihr Büro kommt«, sagte Schmitz.
mendelssohn Christian Hanke erinnerte an die Umstände, unter denen der damals 19-jährige Moses Mendelssohn 1748 in die Stadt gekommen sei. Durch ein einziges Stadttor, das Juden vorbehalten war. Der Mann, der wie kaum ein anderer für Aufklärung, Pragmatismus, Humanismus und Toleranz stand. »Wir sind stolz darauf, in unserer Mitte die jüdische Oberschule zu haben«, sagte der Bezirksbürgermeister und wünschte der Schule weiterhin guten Erfolg.
In den 3500 Jahren Diasporageschichte der Juden seien 20 Jahre wahrlich keine lange Zeit, betonte auch Rabbiner Yitshak Ehrenberg. »Wir sind immer noch da, was ist das Geheimnis?« fragte Ehrenberg. Seine Antwort: eine jüdische Identität, Kontinutität und Atmosphäre schaffen. »Der ist Jude, dessen Kinder und Enkelkinder Juden sind.«
So bedeute, eine Schule zu gründen, eine jüdische Zukunft zu schaffen. »Wir hoffen, dass die Kinder, die diese Schule besuchen und jüdisch sind, wenn sie später ein Haus bauen, so soll es ein jüdisches Haus sein. Und die Enkelkinder sollen ein jüdisches Haus bauen. Erst wenn das geschehen ist, erst dann haben wir Erfolg gehabt«, antwortete Ehrenberg auf die Forderung Joffes nach einer weiteren jüdischen Schule in Berlin.
Optimismus Er habe diese Einrichtung nur eineinhalb Jahre lang besuchen können, sagte Rudi Leavor, doch in der damaligen Zeit, in der sie noch eine reine »Knabenschule« war, habe sie ihm ein Gefühl von Sicherheit gegeben, betonte der Ehemalige. »Diese 18 Monate waren so eindrucksvoll, weil das Verhältnis von Lehrern und Schülern so besonders gut war.«
Jeder Abschlussjahrgang habe damals eine Abschiedszeitung verfasst, doch sie habe nichts über die politischen Umstände verraten. Man wollte mit Optimismus in die Zukunft schauen. Leavor bedankte sich im Namen der Ehemaligen, die gekommen waren, für die eindrucksvolle Veranstaltung.
Beeindruckend war sie nicht nur wegen des Vortrags von Schülersprecher Serphim Kirjuchin, der in der Fiktion Moses Mendelssohn befragte, wie er wohl die Schule und die Umsetzung seiner Leitmotive heute bewerten würde. Kammerorchester, Band sowie der Violinvortrag von David Malaev und das Klaviersolo seines älteren Bruders Marlen Malaev, allesamt Schüler der jüdischen Oberschule und des jetzigen Moses-Mendelssohn-Gymnasiums, stellten auch ihre musikalische Ausbildung unter Beweis. »Sie sind große Musiker«, lobte Rudi Leavor, der – als er so alt war wie sie – noch Lipowitz hieß.