Sie schafft es, viele Worte in wenigen Minuten unterzubringen. Alexandra Melendez ist temperamentvoll, quirlig, in ihr schlummern viele Ideen, die sie so schnell wie möglich umsetzen möchte. Vor einem Jahr hat sie fast ihr ganzes Leben noch einmal auf den Kopf gestellt.
Sie kündigte ihren festen Job als Radaktionsassistentin bei einer großen Berliner Zeitung, trennte sich von dem Vater ihres Sohnes – und verwirklichte ihre Überlegungen: Die Hilfsorganisation »Nano Nation« hatte sie bereits kurz nach Ausbruch des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine gegründet, nun folgte das Projekt »Nanoʼs Kidsclub«, eine integrative Kinderbegegnungsstätte für ukrainische Flüchtlingskinder und deren Eltern. Das war aber noch nicht genug, auch einen Beauty Truck brachte sie ins Rollen.
krise Das alles stemmt sie gemeinsam mit ihrer Geschäftspartnerin Maria Köster. »Es macht mich glücklich und erfüllt mich, den ukrainischen Müttern und ihren Kindern zu helfen und auch zu sehen, wie sich krebskranke Patientinnen von unseren Stylisten mal schön machen lassen«, sagt die 32-Jährige. Eine Krise, die man ablehnt, bleibe eine Krise. Eine Krise, die man annehme, sei ein Abenteuer, meint sie. »Alle meine heutigen Herzensprojekte haben eines gemein: Sie entstanden aus Krisen heraus.«
Ihr Alltag ist geprägt von der Arbeit, oder besser gesagt, ihre Vormittage und ihre Nachtschichten. Denn wenn sie ihren dreijährigen Sohn morgens zur Kita bringt, dann beginnt für sie die Arbeit. Nachmittags möchte sie jede Sekunde mit ihm genießen, um dann nachts, wenn er schläft, weiter vorm häuslichen Computer zu sitzen und zu arbeiten. »Manche Mail-Empfänger wundern sich über die ungewöhnlichen Uhrzeiten«, sagt sie.
Doch bis die Projekte standen, mussten sie und Maria viel Geduld aufbringen. »Eigentlich wollten wir eine Kita für die ukrainischen Kids eröffnen, aber da sind wir an den Formalitäten gescheitert«, so Alexandra. Als sie angeben musste, bei welcher Temperatur die Mahlzeiten auf den Tisch kommen, wurde es ihr zu viel. Sie überlegten gemeinsam und entschieden sich für ein anderes Konzept. So kamen sie auf die Begegnungsstätte.
sponsor In der Bundesallee fanden sie in einem ehemaligen Matratzenladen die passenden Räume, und sie hatten Glück, dass die Hasso Plattner Foundation die Kosten für die Gehälter der Mitarbeiter für drei Jahre übernimmt. Noch ein weiterer Sponsor ist dazugekommen: Seit Kurzem finanziert die Hilfsorganisation »Ein Herz für Kinder« die psychologische Betreuung der Mütter und Kinder. Psychologin Sabina Bairamova erwähnt immer wieder, dass sie schon lange nicht mehr so schwer betroffene Menschen erlebt hat.
In einem ehemaligen Matratzenladen fand sie passende Räume.
Für ein paar Stunden können die Kinder und ihre Mütter in die Begegnungsstätte kommen. Während die Kleinen spielen, können die Mütter einen Kaffee trinken, sich ausruhen und unterhalten oder netzwerken. Auch Formalitäten werden geklärt. Warme Mahlzeiten werden von dem russischen Restaurant »Grüne Lampe« geliefert. »Dafür sind wir teils angegriffen worden, so nach dem Motto: Wie könnt ihr nur! Aber die Ukraine und Russland haben doch das gleiche Essen«, sagt Alexandra. Und sie muss es wissen. »Mein Vater Juri hat Wurzeln in Weißrussland, sein Vater kommt aus Minsk. Meine Mutter Marianna ist in Russland geboren, in Rostov am Don.«
Alexandra hingegen kam in Czernowitz in der Ukraine auf die Welt. Als sie fünf Jahre alt war, zog sie mit ihrer Mutter nach Deutschland. »Ich spreche kein Ukrainisch, nur Russisch. Ich bin aber der Ukraine, meiner Heimat, mehr als verbunden. Ich trage ein Tattoo des ukrainischen Wappens. Ich liebe die ukrainische Küche, die zugleich die russische ist.« Als Ukrainerin wollte sie nicht mehr in der Schockstarre der Hilflosigkeit verharren, sondern handeln. So entstand die Hilfsorganisation Nano Nation im Frühjahr 2022, erst mit einer Annahmestelle für Dinge, die in die Ukraine gebracht wurden. Noch heute organisiert sie Transporte mit Medikamenten in das Land.
MODEL Die Gründung von Nanoʼs Kidsclub sieht sie als eine daraus resultierende logische Konsequenz an, um den flüchtenden ukrainischen Familien in »meiner Heimatstadt Berlin« die Unterstützung bieten zu können, die sie für einen bestmöglichen Start brauchen. Auch sie kam ohne Sprachkenntnisse nach Deutschland, lernte aber rasch. Mit sechs Jahren wurde sie in der Heinz-Galinski-Schule eingeschult. »Leider besuchte ich sie nur drei Jahre, denn die Anfahrt dauerte zu lange. Aber diese Zeit hat mich sehr geprägt, denn ich lernte Hebräisch und das Judentum besser kennen«, sagt sie.
Dann folgten die Jahre, in denen sie viel im Jugendzentrum Olam war. Nach dem Abitur arbeitete sie anderthalb Jahre als Model und Hostess. Da sie mit einem damaligen ukrainischen Pass nur Absagen von den Universitäten erhalten hatte, fing sie eine Ausbildung als Kauffrau für Bürokommunikation bei einem großen Verlagshaus an, ist in den sozialen Medien sehr aktiv und schrieb ein Buch über Burger, die Burger-Bibel.
Für ein paar Stunden können die Kinder und ihre Mütter in die Begegnungsstätte kommen.
Doch dann wurde sie schwanger. Nach ein paar glücklichen Monaten kam ihr Sohn 14 Wochen zu früh mit einem Gewicht von unter 800 Gramm auf die Welt. Aber mit einem starken Lebenswillen. »Heute wickelt er alle mit seinem unwiderstehlichen Charme ein«, sagt sie. Doch es war eine lange Zeit, die sie als Begleitperson auf der Neonatologie der Charité abgeschirmt verbringen musste.
Die Corona-Pandemie machte allen das Leben schwer. In die Frühchen -Stationen wurden nur die nächsten Angehörigen hereingelassen. »Ich war sieben Monate allein bei ihm«, sagt sie. Und sie war so verzweifelt und traurig über das abrupte Ende der Schwangerschaft und die Sorge um ihren Sohn, dass sie keinen Menschen mehr an sich heranlassen wollte. Außer ihren damaligen Mann und ihre Eltern. Es sei Dauerstress für sie gewesen, sie hätte nur noch funktioniert. Gleichzeitig sei ihr vor Langeweile die Decke auf den Kopf gefallen.
AUSZEIT Einmal sah sie einen Food Truck vor der Klinik – und nutzte die Möglichkeit, etwas anderes als Klinikkost zu essen. Sie merkte, wie gut ihr das tat. »Da kam mir die Idee eines Beauty Truck«, sagt sie. Mobilen Patienten wieder ein Stück Wohlgefühl und eine kleine Auszeit in Form von etwas Farbe und Frische fürs Gesicht wiederzugeben: »Dadurch fühlt man sich besser«, ist sie überzeugt.
Mittlerweile beschäftigt sie gemeinsam mit ihrer Partnerin Maria Köster mehrere Stylisten, die in drei Trucks zu Festen und anderen Veranstaltungen rollen. Jüngst stoppte der Truck auch beim Einweihungsfest des Pears Jüdischer Campus an der Westfälischen Straße. Aber für die Patienten seien sie ehrenamtlich im Einsatz.
»Ich freue mich heute jeden Tag daran, mit meiner Arbeit die Welt großer und kleiner Menschen ein bisschen schöner gestalten zu dürfen.« Und dass sie etwas Gutes »für meine Ukraine« schafft. Dass sie vor einem Jahr alles neu überdacht hat, bereue sie nicht. »Ich finde immer meinen Weg.«