Die Mitarbeiterin eines Berliner Bürgeramts soll ihn scharf abgewiesen haben: »Wie wollen Sie eine deutsche Staatsbürgerschaft bekommen, wenn Sie gar kein Deutsch sprechen?«, erinnert sich Eliyahu Raful an seinen ersten Versuch, sich sein Recht zu verschaffen. Jedes Mal stieß er bei den Behörden auf Unverständnis. Dabei kann er nachweisen, dass seine jüdischen Vorfahren bereits im 18. Jahrhundert in Deutschland gelebt haben, dass seine Urgroßeltern vor den Nazis fliehen mussten. Der deutsche Pass steht ihm eigentlich zu.
»Die Behörden in Deutschland sind mit solchen Anträgen überfordert«, sagt Nathalia Schomerus. Die 27-jährige Juristin begleitet beratend Personen wie Raful, die als Nachfahren von Verfolgten des Nationalsozialismus ihr Recht auf die deutsche Staatsbürgerschaft geltend machen wollen. Sie hilft den Berechtigten beim Zusammentragen historischer Dokumente, beim Ausfüllen von Formularen und bei Behördengängen. Dabei zeigt sich für sie immer wieder: »Der Ausgang eines Verfahrens hängt leider vom Engagement und dem Wissen der einzelnen Mitarbeiter ab.« Doch die nötige Kompetenz und Flexibilität, um mit Fällen dieser Art umzugehen, gebe es in der lokalen Verwaltung nur in Ausnahmefällen.
Anspruch »Dabei sind die meisten Berechtigten automatisch deutsche Staatsbürger, sobald sie nach Deutschland ziehen und dem nicht widersprechen«, sagt Schomerus. Ihr Status müsse also eigentlich nur behördlich festgestellt werden. Nach Artikel 116 des Grundgesetzes und Paragraf 15 des Staatsangehörigengesetzes haben die Nachkommen von NS-Verfolgten, denen zwischen dem 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt wurde, einen Anspruch auf Wiedereinbürgerung. Das Gesetz wurde mehrmals angepasst und umfasst heute auch die Nachkommen von sogenannten Ostjuden, die teilweise zwar in Deutschland gelebt haben, wegen rassistischer NS-Gesetze aber nie Staatsbürger werden konnten.
Dass sich Schomerus heute ehrenamtlich mit Staatsangehörigkeitsrecht beschäftigt, hat auch mit ihrer eigenen Familiengeschichte zu tun. Ihre Mutter stammt aus einer sefardisch-chilenischen Unternehmerfamilie und kam Ende der 80er-Jahre als Studentin nach Deutschland. In Chile herrschte damals noch Diktatur. »Sie hatte den Wunsch, frei und selbstbestimmt zu leben«, so Schomerus. Sie sei durch die Sorgen, die ihre Mutter als Einwanderin in diesem Land hatte, für die Situation von Ausländern sensibilisiert worden.
Ihr Vater stammt dagegen aus einer traditionsreichen deutschen Juristen-Familie. Ihr Eindruck war, »mit dem Beruf kann man viel machen und vielleicht auch die Welt verbessern«. Die Kitajahre verbrachte Schomerus in Chile, vor ihrer Einschulung zog die Familie aber wieder zurück in ihre Geburtsstadt Hamburg. In den ersten Schuljahren war sie auffällig, störte den Unterricht und war sozial isoliert. »Meine Klassenlehrerin nannte mich ein Problemkind und wollte mir keine Gymnasialempfehlung geben«, erinnert sie sich.
Abitur Doch zwei Psychologen stellten eine Hochbegabung fest. Nachdem Schomerus eine Klasse übersprungen hatte, verbesserten sich ihre Noten. Das Abitur machte sie mit nur 14 Jahren, zwei weitere Klassen ließ sie dabei aus. Ihre erste Studienwahl fiel dann auf Jura, ganz in der Familientradition. Doch studierte sie auch Theologie und Geschichte – in Deutschland, Italien und England. Am Ende kehrte sie zum Recht zurück.
Seit Juni 2020 lebt sie in Berlin, wo sie in der Großkanzlei CMS im Bereich »Legal Tech« an der Automatisierung von formalen juristischen Prozessen arbeitet. In der Stadt fing sie auch an, sich in der jüdischen Gemeinschaft zu engagieren. Freunde, die sie so kennenlernte, baten sie ab und zu um ihren rechtlichen Rat. Dass sich Schomerus heute ehrenamtlich mit Staatsangehörigkeitsrecht beschäftigt, kam eher zufällig, sagt sie. Ab und zu hätten auch andere Freunde sie um rechtlichen Rat gebeten.
Schon acht Gründungsmitglieder sind dabei.
»Dann kam einmal jemand mit einem Visum-Problem auf mich zu«, so die Juristin. Es stellte sich heraus, dass die Person eine deutsche Großmutter hatte, die nach 1933 vor den Nazis geflohen war. »Daher habe ich ihr empfohlen, einen Antrag auf Einbürgerung zu stellen.« Was sie da noch nicht wusste: Zwar existiert für die Wiedereinbürgerung eine klare rechtliche Grundlage, in der Praxis sind die Hürden für die Berechtigten, ihren Anspruch durchzusetzen, jedoch enorm.
Auch Raful musste diese Erfahrung machen. Seit Oktober 2020 lebt der heute 33-Jährige in Berlin. »Ich wusste, dass Deutschland Juden willkommen heißt«, sagt Raful, der in Bnei Brak bei Tel Aviv aufgewachsen ist. Als er sich an das Bürgeramt mit dem Wunsch, eingebürgert zu werden, wandte, herrschte dort aber Ratlosigkeit. Mehrere E-Mails, Anrufe und Amtstermine brachten kein Ergebnis.
Ein Problem dabei ist die Sprache. Rafuls Deutsch ist noch nicht gut genug, um sich ohne Übersetzungshilfe durch den Behördendschungel zu schlagen. Für Nachfahren von NS-Verfolgten sind Sprachkenntnisse jedoch keine Voraussetzung. »Ich habe gesagt, dass meine Vorfahren vor den Nazis fliehen mussten«, erzählt Raful, einen Unterschied habe es allerdings nicht gemacht.
Dokumente Das Paradoxe: Hätte er den Antrag von Israel aus gestellt, wäre dieser sehr wahrscheinlich ohne Probleme durchgekommen. Während man sich im Ausland die nötigen Dokumente in der jeweiligen Landessprache aushändigen lassen kann und diese dann von dort aus direkt an das Bundesverwaltungsamt geschickt werden, läuft es in Deutschland anders. Ansprechpartner sind hier die lokalen Bürgerämter, Formulare gibt es nur auf Deutsch. Schomerus findet daher: »Alle Anträge sollten über eine zentrale Anlaufstelle laufen, das würde den Prozess enorm beschleunigen.«
Um Forderungen dieser Art mehr Gehör zu verschaffen, will sie nun einen Verein gründen. »Zikhronam« lautet sein vorläufiger Name, was aus dem Hebräischen übersetzt in etwa »In Erinnerung an sie« bedeutet. »Mit dem Verein will ich diese wichtige Arbeit auch unabhängiger von mir als Einzelperson machen«, sagt Schomerus, die sich neben ihrem Vollzeit-Job in ihrer Freizeit engagiert. Acht Gründungsmitglieder hat sie schon zusammen, sie alle sind jüdisch. Das sei ihr wichtig gewesen. »Ich will mit dem Verein nicht das deutsche Gewissen beruhigen.« Außerdem solle ihr Angebot »nicht gegen Israel ausgespielt werden«.
Doch für sie steht fest: Die Nachkommen von verfolgten deutschen Juden sollten ohne Schikane ihr Recht auf Wiedereinbürgerung durchsetzen können. Eliyahu Raful ist diesem Ziel deutlich nähergekommen. Bewegung kam in seinen Fall aber erst durch einen Umzug nach Dresden. »Hier sind die Mitarbeiter im Bürgeramt alle sehr zuvorkommend.« Dennoch haben ihn seine Erlebnisse frustriert: »Wenn Deutschland die Juden wirklich zurückhaben will, sollte man es ihnen einfacher machen.« Er ist eines der Gründungsmitglieder des Vereins.
Für Ratsuchende: schomerus@zikhronam.de