Ein kleines Mädchen sitzt im Zug an den Tegernsee. Gekleidet ist sie in die Tracht dieser Region, und selbst die Puppe in ihren Armen trägt solch ein Gewand. Neben ihr eine Dame, die fasziniert ist von dem hübschen Kind. Bevor die müde kleine Münchnerin einschläft, hört sie noch, wie entsetzt und abweisend die Frau reagiert, als sie erfährt, dass es sich um ein jüdisches Kind handelt.
liebeserklärung Charlotte Stein-Pick wird diese Erfahrung ein Leben lang nicht vergessen. In ihrer 1992 erschienenen Autobiografie Meine verlorene Heimat hat sie darüber geschrieben. Diese Begebenheit ist nur eine von vielen, die im Begleitprogramm zur Ausstellung »Hast du meine Alpen gesehen?« den Ausschluss der jüdischen Bevölkerung selbst aus der Bergwelt unter den Nationalsozialisten dokumentiert. Eindrucksvoll wurden Erlebnisberichte, ja nahezu Liebeserklärungen jüdischer Bergwanderer an die Alpen den ideologie-verblendeten Erlassen und Verboten in Wort und Bild gegenübergestellt.
Unter dem Titel »Leidenschaft für die Berge – Geschichten und Bilder aus den Erinnerungen Münchner Juden« lasen die beiden Schauspieler Wolf Euba und Monika Manz aus den Erinnerungen von Otto Bernheimer, Martin Feuchtwanger, Charlotte Stein-Pick, Alfred Neumeyer, Grete Weil und Elisabeth Block. Die Fotos dazu stammten großenteils aus dem Münchner Stadtarchiv und aus der Ausstellung des Alpenvereins, die noch bis Februar 2011 auf der Münchner Praterinsel zu sehen ist.
tvischn berg Die Bilder zeigen, dass die jüdische Bevölkerung selbst in der Kleidung nicht von den anderen Bergsteigern und Alpenwanderern zu unterscheiden war – wie auch die eingangs zitierte Episode unterstreicht. Auch die Liebe zu den Bergen stellte die Leiterin des Kulturzentrums der IKG als Veranstalterin dieses Lesungsabends mit einem Auszug aus der Kurzgeschichte Tvischn berg / In den Bergen des jiddisch schreibenden Schriftstellers Hersh Dovid Nomberg (1876–1927) vor.
In der Sprache ihrer oberbayerischen Heimat Rosenheim hat Elisabeth Block »ihre« Berge in ihrem Tagebuch beschrieben – bis hin zu den auch für sie immer unverständlicher werdenden Verboten und Ausgrenzungen. Das junge Mädchen wurde 1942 deportiert und ermordet. Mit der Ausgrenzung wurden die Besucher der Lesung optisch und akustisch konfrontiert: So waren Juden unerwünscht und mussten, wie auf einer Bekanntmachung zu lesen war, »binnen 24 Stunden Rottach-Egern verlassen und aus den Bayerischen Bergen verschwinden« – und nicht nur aus diesem Ort.