Anlässlich des internationalen Roma Day lud am Freitag ein Bündnis von mehr als 20 Organisationen aus Politik, Zivilgesellschaft und Kultur vor dem Berliner Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma im Tiergarten zu einer Kundgebung gegen Antiziganismus ein. Es ist zugleich ein Tag, an dem des Porajmos (»das Verschlingen«), des Völkermordes an den europäischen Sinti und Roma während des Nationalsozialismus, gedacht wird.
Dem Bündnis gehören unter anderem Amnesty International, das Berliner Maxim Gorki Theater, die Diakonie Deutschland, der Zentralrat der Juden und die Arne Friedrich Stiftung an. Es will europaweit auf die Diskriminierung von Sinti und Roma aufmerksam machen und ein Zeichen gegen Antiziganismus setzen.
Zu den Gästen gehörten neben Überlebenden und ihren Familien auch Bundespräsident Joachim Gauck sowie die Bundestagsvizepräsidentinnen Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) und Petra Pau (Die Linke) sowie der SPD-Politiker Wolfgang Thierse.
zeichen Die Anwesenheit des Bundespräsidenten freue ihn ganz besonders, so Uwe Neumärker, Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, zu Beginn der Veranstaltung. Es gebe »in Europa nicht viele Staatsoberhäupter, die ein sichtbares Zeichen gegen Antiziganismus zeigen«.
Aydan Özoguz, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (SPD), verwies in ihrem Grußwort darauf, dass Sinti und Roma erst 67 Jahre nach Kriegsende einen zentralen Ort des Gedenkens bekommen hätten. »Die Gesellschaft tat sich schwer, den NS-Völkermord an den Sinti und Roma aufzuarbeiten«, betonte Özoguz. Wann immer Sinti und Roma diskriminiert, diffamiert oder angegriffen würden, müssten Politiker deutlich machen, so die SPD-Politikerin, »dass es in unserer Gesellschaft keinen Zentimeter Platz für Antiziganismus geben« dürfe.
Am Internationalen Roma-Tag werde nicht nur an die Opfer der NS-Zeit erinnert, sondern auch der Blick darauf gerichtet, dass es eine jahrhundertealte Tradition der Sinti und Roma in Deutschland gibt. »Die meisten Menschen wissen außer ein paar Stereotypen so gut wie nichts über die Sinti und Roma unter uns. Unwissen ist der beste Nährboden für Vorurteile und Diskriminierung«, sagte Özoguz.
gleichberechtigung Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Mark Dainow, erinnerte in seinem Grußwort daran, wie weit verbreitet Klischees noch immer seien. Er empfinde Trauer und Wut darüber, dass gegenüber der größten europäischen Minderheit noch immer eine »erschreckende Ablehnung« bestehe, so Dainow.
Umso wichtiger sei es, Sinti und Roma endlich als gleichberechtigte Bürger anzuerkennen und ihnen gleiche Rechte und Chancen bei Bildung, Karriere, sozialen Leistungen und Gesundheitsversorgung zu geben. »Sinti und Roma brauchen unsere Unterstützung«, so sein Appell. Für den Zentralrat der Juden sei es daher eine Selbstverständlichkeit gewesen, das Bündnis für Solidarität mit den Sinti und Roma Europas mitzugründen.
»Wir sind einander nicht nur als Opfer verbunden«, betonte Dainow. »Wir sind füreinander da und treten füreinander ein. Wir stehen an eurer Seite – ihr seid nicht allein.« Denn über die gemeinsame leidvolle Erfahrung des Holocaust hinaus verbinde Juden mit Sinti und Roma eine jahrhundertelange Tradition der Freundschaft in vielen Ländern Europas. Er verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass der israelische Künstler Dani Karavan das Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma gestaltet hatte.
Zudem forderte Dainow Politik und Zivilgesellschaft auf, aktiv gegen Rechtspopulismus vorzugehen. »Die Werte, die wir anderen vermitteln wollen, müssen wir auch selbst mit Leben erfüllen«, sagte der Zentralrats-Vize.
zukunft Die Hauptrede hielt der holländische Holocaust-Überlebende und Sinto Zoni Weisz. Er überlebte als Einziger seiner Familie den Völkermord an den Sinti und Roma. Weisz bezeichnete ihn als »vergessenen Holocaust«. Wer die Augen vor der Vergangenheit verschließe, verliere den Blick für die Zukunft, sagte er. Zugleich forderte er jedoch Politik und Gesellschaft dazu auf, den Blick auf die Zukunft zu richten – und jungen Generationen von Sinti und Roma die Möglichkeit zu geben, als »vollwertige Mitglieder der Gesellschaft zu leben und zu wirken«.
Zum Abschluss der Kundgebung verlasen der Regisseur Rosa von Praunheim, MTV-Moderatorin Wana Limar und der ehemalige Fußballnationalspieler Arne Friedrich den Aufruf gegen roma- und sintifeindliches Denken und Handeln. Darin heißt es: »Antiziganismus ist Alltag in Europa. Das ist nicht hinnehmbar!«.
petition Gefordert wird eine klare öffentliche Verurteilung von Antiziganismus durch die Politik, die Anerkennung von Sinti und Roma als gleichberechtigte Bürger, die Gewährung von Schutz für verfolgte Roma, die Bekämpfung romafeindlicher Denkmuster und Verhaltensweisen in der europäischen Gesellschaft und die Würdigung des Beitrags der Sinti und Roma an den Kulturen Europas. Eine entsprechende Petition hatte das Bündnis bereits im Februar gestartet.
Etwa 500.000 Roma und Sinti waren während der NS-Zeit aufgrund rassistischer Verfolgungspolitik ermordet worden. Doch dieser Völkermord ist heute noch immer weitgehend unbekannt. Die Überlebenden wurden jahrzehntelang nicht als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung anerkannt und erhielten nur geringe oder überhaupt keine Entschädigungszahlungen für ihren verlorenen Besitz.
Der Roma-Tag findet weltweit zum 45. Mal statt. Er erinnert an den ersten Internationalen Roma-Kongress, der 1971 in London tagte.