Frau Maimon Levi, die 14th European Conference of the International Council of Jewish Women wird sich am kommenden Wochenende mit den Auswirkungen des politischen und sozialen Umbruchs nach 1990 auf das jüdische Leben in Europa befassen. Das ist doch ein urdeutsches Thema, oder?
Die Zuwanderung ist sicherlich das Top-Thema der jüdischen Gemeinden in Deutschland. Wenn wir in unserem Programm jedoch von Umbruch sprechen, meinen wir natürlich, dass es auch in Osteuropa einen Wiederaufbau der Gemeinden gab. Und wenn wir nach Westeuropa schauen, gibt es dort viele Veränderungen. Berlin, Deutschland, ist sozusagen ein Abbild von Europa. Hier trifft Osten und Westen aufeinander, mit allen Veränderungen. Und es stimmt: Für den jüdischen Frauenbund sind ebenfalls neue Aufgaben entstanden.
Wie sehen diese neuen Aufgaben aus?
Die jüdischen Frauen kamen aus der ehemaligen Sowjetunion als Juden nach Deutschland, konnten aber diese Identität nicht mit Inhalt füllen. Wir mussten ihnen helfen, diese Identität zu finden und zu definieren. Auch feministische Ziele sind für die Zuwandererinnen noch kein Thema. Wir versuchen sie ihnen bekannt zu machen.
In welcher Form können Sie das tun?
Wir unterstützen die Frauenvereine, indem wir Seminare anbieten, in denen jüdische Themen besprochen werden. Wir haben jährlich eine Tagung besonders für die Leiterinnen der Gruppen. Zwei weitere Seminare wenden sich speziell an Senioren, denen wir Feiertage erklären und über Israel und den Zionismus sprechen. Wir haben einen Ausflug nach Israel gemacht, um das Land aus der Nähe kennenzulernen. Wir unterstützen auch selbstständige Projekte in einzelnen Frauenvereinen. Sie suchen sich Themen und entsprechende Referenten, versuchen, pädagogische Angebote für Mütter und Kinder zu machen. Außerdem wollen wir – da die Frauenvereine gewachsen sind – ihre Vernetzung erreichen. Die Treffen helfen ja auch den Frauen, miteinander Kontakt aufzunehmen und sich gegenseitig neue Ideen und Inspiration zu geben.
Sie haben davon gesprochen, dass die Vereine gewachsen sind. Haben Sie keine Nachwuchsprobleme?
Doch, das wäre ja ein Wunder. Wir haben Frauen, die, als sie vor 20 Jahren herkamen, sofort aktiv wurden. Bei den jungen Frauen hat das Ehrenamt nicht mehr den Stellenwert. Wir wünschen uns natürlich, dass viel mehr Jüngere zu uns kommen. In dieser Richtung werden wir künftig aktiver sein.
Welche Konzepte haben Sie, diese Frauen anzusprechen und ihnen eine Mitarbeit schmackhaft zu machen?
Daran arbeiten wir noch. Das ist ein wichtiges Zukunftsprojekt, das wir so schnell wie möglich aufgreifen müssen. Wir werden versuchen, dass die jungen Frauen etwas für sich selbst leisten und initiativ werden.
Erwarten Sie sich von der Konferenz diesbezüglich Ideen von internationaler Seite?
Soweit mir bekannt ist, gibt es das Problem europa-, ja sogar weltweit. Es wird überall über Nachwuchssorgen geklagt. Auch die Teilnehmer der Konferenz sind im Durchschnitt älter als 60 Jahre alt.
Sie haben eine Webseite, geben eine Broschüre heraus, wie wollen Sie sich in der Öffentlichkeit noch mehr präsentieren?
Ich denke, die Vernetzung ist wichtig. Wir versuchen, uns auch an anderen Frauenorganisationen wie etwa Beth Deborah, Women’s Division oder auch der WIZO zu nähern. Wir wollen gern auch mit den anderen zusammenarbeiten. So könnten wir mehr voneinander lernen, uns gegenseitig inspirieren und vielleicht neue Themen finden, die attraktiv sind und mehr Dynamik erreichen. Selbstverständlich wollen wir in unserer Internetpräsenz noch attraktiver werden und einen Informationsaustausch ermöglichen. Ich denke, Frauen wollen auch informiert werden. Und vielleicht ist es bequemer, wenn es über das Internet geschieht.
Ihre Angebote von Seminaren und Reisen kosten Geld. Wie finanzieren Sie das?
Wir sind sehr dankbar, dass wir vom Zentralrat der Juden in Deutschland unterstützt werden. Und wir versuchen, diese Gelder sinnvoll einzusetzen. Bisher ist das unsere einzige Finanzquelle. Wir merken, dass wir mehr Geld brauchen. Wir haben uns vor Kurzem als gemeinnütziger Verein organisiert. Der Gemeinnützigkeitsstatus ist anerkannt. So werden wir versuchen, Zuschüsse und Spenden zu erhalten. Für die Konferenz werden wir möglicherweise auch vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützt. Die Teilnahmekosten sind unter anderem wegen der koscheren Verpflegung sehr hoch. Wir müssen die Frauen unterstützen, sonst könnten sie nicht kommen. Die meisten sind Sozialhilfeempfängerinnen.
Wie viele Frauen werden von deutscher Seite aus teilnehmen?
32 Frauen. Bei 150 Teilnehmern insgesamt stellen wir damit eine starke Gruppe. Die nächstgrößere Gruppe kommt aus England mit 20 Frauen. Ich denke, dass es wichtig ist, auch den Teilnehmerinnen aus dem Ausland zu zeigen: Wir sind hier, wir sind aktiv. Ich habe noch nie einen solchen Andrang auf eine Konferenz erlebt. Jüdische Frauen aus der ganzen Welt sind neugierig, nach Berlin zu kommen. Es gab auch Ausnahmen in Israel. Da gab es einige, die sagten, sie würden nie nach Deutschland kommen.
Entspricht der hohe deutsche Teilnehmeranteil auch der Rolle, die deutschen Frauenvereine international spielen?
Nein. Wir haben nicht genügend Personen, die hier aktiv werden können. Die Sprache in dieser Organisation ist Englisch, und wir haben nicht genügend Leute, die hier kommunizieren können. Die Arbeit im International Council ist aufwendig, und zwar in zeitlicher und finanzieller Hinsicht. Man muss ja zu verschiedenen Konferenzen und Treffen. Das lässt sich nicht immer machen. Einmal im Jahr versuchen meine Stellvertreterin Aviva Goldschmidt und ich, an einer Konferenz teilzunehmen. Bislang konnten wir keinen großen Beitrag leisten. Ich denke, das wir das mit der Organisation der Konferenz in Berlin etwas wettmachen.
Mit der Vorsitzenden des Jüdischen Frauenbundes in Deutschland sprach Heide Sobotka.