Sie hatten es gleich am ersten Tag in Frankfurt eingefordert und nutzten ihre Chance bis zum letzten Tag: »Partizipation« wünschten sich die 28 Teilnehmer der diesjährigen Sommerakademie der Zentralrats der Juden in Deutschland, als sie beim Eröffnungsgespräch um Anregungen gebeten wurden. Von ihrem Recht auf Fragen, Stellungnahmen und Einmischungen machten sie während der ganzen Woche lebhaft Gebrauch.
Was die Organisatoren dieser Veranstaltung, Diplom-Pädagogin Sabena Donath und Doron Kiesel, Professor für Interkulturelle Pädagogik an der Universität Erfurt, einerseits freute, andererseits aber in arge Bedrängnis brachte. Denn wegen der vielen lebhaften Diskussionen, die die Teilnehmer der Akademie in Gang setzten, war es ihnen fast unmöglich, ihr wohlüberlegtes Ablauf- und Zeitschema einzuhalten.
Identität Dabei hatten sie sich viel vorgenommen: »Alles koscher?« lautete der Titel der Sommerakademie 2014. Jüdische Identität und deren facettenreiche Beleuchtung stand dabei im Mittelpunkt. »Ich bin hier, weil ich religiöse Fragen habe«, hatte einer der Teilnehmer erklärt. »Ich denke und fühle anders als der Großteil meiner Familie und Freunde«, begründete ein anderer seine Anwesenheit. »Ich habe zuvor noch nie so viele Rabbiner auf einmal angetroffen«, wurde ebenfalls als Argument genannt.
Was tatsächlich stimmte: Sogar eine Art »Speed Dating« mit vier Rabbinern, denen man in zehn Minuten alle drängenden Fragen stellen konnte, stand auf dem Programm. Denn diese waren vor allem gekommen, um praktische wie spirituelle Lebenshilfe zu leisten. Was er, der in ganz verschiedenen Gemeinden, von New York bis Palma de Mallorca, über die Realität jüdischer Lebenswelten erfahren hatte, erzählte beispielsweise Rabbiner Shaul Friberg. Er lehrt und arbeitet an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg.
Sein Kollege Avichai Apel aus Dortmund ging indessen der Frage nach, ob es ein Judentum ohne Glauben geben kann, während Julian-Chaim Soussan, Rabbiner der Frankfurter Gemeinde, eine Art Aufklärungsunterricht erteilte, wie ihn sonst der Rabbi einem Bräutigam und dessen Frau der Braut kurz vor der Hochzeit mit auf den Weg geben. Bei diesem Schiur wurde endlich auch einmal gelacht, was vor allem auch an der lockeren und witzigen Art lag, in der sich Soussan seinem heiklen Thema näherte.
Nahost Über allem aber lag die politische Situation im Nahen Osten: »Wir sind in dieser Woche auch Zeitzeugen eines militärischen Konflikts, dessen Ende wir noch nicht absehen können«, hatte Doron Kiesel bereits in seiner Begrüßungsrede angemerkt.
So entschloss man sich spontan, den für Dienstag angesetzten Filmabend abzusetzen und stattdessen über den aktuellen Konflikt und den in Europa neu aufkeimenden Antisemitismus zu reden: ein emotionsgeladenes, aufwühlendes Gespräch, wie alle Beteiligten anschließend versicherten, aber auch ein notwendiger Diskurs. »Wir brauchen argumentative Hilfe, weil wir uns ständig für Israel rechtfertigen müssen«, hatten mehrere Teilnehmer zuvor erklärt.