Herr Brenner, Sie haben drei Jahre an dem Projekt »Zerheilt« gearbeitet. Wie zufrieden sind Sie mit der Präsentation im Jüdischen Museum Berlin?
Es könnte nicht besser sein. Es ist eine bewegende Erfahrung, wie das Team den Raum einbezogen hat, wie dessen Verwinkelungen die Bilder zur Geltung bringen. Die Vielstimmigkeit, die ich in meinen Arbeiten zeige, hat auch dieses Projekt hervorgebracht – gemeinsam mit vielen Beteiligten.
Welche Worte beschreiben sein Zustandekommen am ehesten?
Glücklicher Zufall. Die Art und Weise, wie eins zum anderen führte, eine Begegnung die nächste mit sich brachte, war einfach unglaublich. Die Dinge kamen zu mir, mühelos.
Sie haben das Projekt nicht geplant?
Nicht wirklich. Sicher, ich war auch im Jahr 2000 schon in Berlin für mein Langzeitwerk »Diaspora: Homelands in Exile«. Doch damals ging es eher um Spuren, Abwesenheit, Schoa – nicht dieses neu blühende jüdische Leben. Ich wuchs auf mit der strikten elterlichen Vorgabe: Wir fahren niemals nach Deutschland, kaufen keine deutschen Produkte, sprechen kein Deutsch. Dann kam diese Einladung vom Wissenschaftskolleg, ein Jahr hier als Fellow zu verbringen. Ich wollte das nicht. Aber der amerikanische Literaturwissenschaftler Stephen Greenblatt hat mich überzeugt. Ebenso wie ein Satz auf einem Teebeutel, den ich kurz darauf las: »Lass die Dinge zu dir kommen.«
Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?
Indem ich meine eigenen Abgründe, die Fremdheit, den Fremden in mir annahm. Das ist das Schwerste. Nur dann, wenn man sich mit sich selbst auseinandersetzt, öffnen sich die Türen für Intimität. Es gibt keine Nähe ohne Fremdheit. Jemand meinte nach der Eröffnung, die Ausstellung sei ungewohnt, verstörend. Aber sie weckt etwas in einem.
Wünschen Sie sich Reaktionen wie diese?
Ja, das ist das schönste Kompliment. Denn es bedeutet, dass man die Ungewissheit akzeptiert. Als ich mich vor 40 Jahren auf diese Reise begab, jüdisches Leben weltweit zu erkunden, wurde mir klar, dass ich Teile eines Puzzles zusammensetze, das mein eigenes Puzzle ist.
Was wollen Sie mit Ihrer Arbeit zeigen?
Dass jeder von uns viele Seiten hat. Anfangs war meine Arbeit im Großen und Ganzen eine ethnografische Studie jüdischer Gruppen, die am Rand der Geschichte, der Erinnerung lebten – ob Bergjuden in Dagestan oder Gemeinden in Indien, Jemen und Zentralasien. Es war ein Versuch, diese Fragmente unserer pluralen Geschichte dem Vergessen zu entreißen. Als meine Reise Formen annahm, berührte mich diese Vielstimmigkeit auch insofern, als sie mich dazu brachte, meiner inneren Polyphonie zuzuhören. So ist meine Arbeit auch ein Ringen mit meiner eigenen Geschichte, ihren Gespenstern, mit dem, was verschwiegen wurde, mit dem, was sich verbarg. Meine Familie hat den Krieg in Paris überlebt, manche in der Résistance, im Widerstand, andere versteckt. Es ist ein Wunder, dass wir am Leben sind. Aber um mich lebendig zu fühlen, muss ich diese Reise der Selbsterforschung antreten.
Zu der Sie auch die Betrachter einladen.
Die Ausstellung ist eine Einladung, das Wagnis des Nichtverstehens einzugehen, eigene Erwartungen loszulassen, uns dem Vertrauten zu entfremden und uns das Fremde vertraut zu machen. Daher haben die Bilder auch keine Label. Sie stehen für etwas Größeres als die Person, die sie zeigen, sind eine Einladung, Narrative zu durchbrechen, auch unsere eigenen. Denn Identität ist eine Fiktion.
Ein sehr jüdischer Ansatz.
Absolut. Wir haben unsere Texte territorialisiert. Dabei leben wir seit 2000 Jahren mit einer portablen Identität. Die Leute sollen ihre eigene Reise der Selbsterforschung starten. In dem Moment, wo ich den Porträtierten Namen gebe, halte ich die Betrachter davon ab, diese Reise zu unternehmen. Menschen wollen sich an etwas festhalten, was sie kennen. Während ich ihnen nahelegen möchte: Lasst euch auf die Leerstelle ein!
Mit dem Fotografen sprach Katharina Schmidt-Hirschfelder.