Porträt der Woche

»Ich zeige Gesichter«

»In meinen Bildern setze ich mich intensiv mit mir selbst auseinander«: Roey Heifetz Foto: Benyamin Reich

Porträt der Woche

»Ich zeige Gesichter«

Roey Heifetz ist Maler, kommt aus Israel und lebt heute in Berlin-Kreuzberg

von Benyamin Reich  27.05.2014 10:19 Uhr

Die meisten Künstler verkaufen in ihren Werken ein Abbild von sich. Bei mir ist das anders. Ich empfinde meine Zeichnungen auch nach ihrer Fertigstellung als einen Teil von mir selbst. Umso schwerer fällt es mir, sie zu verkaufen. Meine Arbeiten sind mit meiner aufgeladenen Gefühlswelt aufs Engste verbunden. Und die stammt aus meiner Jugend.

Ich wurde in eine normale israelische Kleinfamilie geboren, lebte so vor mich hin und schöpfte wenig aus meinen künstlerischen Adern. Zu Beginn wohnten wir in Jerusalem, später in Tel Aviv. Einschneidendes widerfuhr mir, als ich mit 16 und 17 mehrmals sexuell missbraucht wurde. Das hat mich ordentlich durcheinandergebracht und sowohl stark abgestoßen als auch gereizt und angezogen. Genau erklären kann ich das heute nicht mehr, rechtfertigen ebenfalls nicht. Ich weiß nur, wie sich in der Folge dieser Vorfälle bei mir starke Schuldgefühle ausprägten und mich Selbstbezichtigungen plagten.

Widerstände Ich sehnte mich danach, meine ganze emotionale Kraft in die Kunst zu stecken. Schnell entwickelte ich meine eigenen Stile, stieß jedoch auf Widerstand. An der Bezalel-Kunsthochschule in Jerusalem nahm man meinen Weg ungern auf. Ebenso erging es mir auch in Amerika. Schließlich hat es mich dann nach Berlin verschlagen.

In dieser neuen Umgebung bin ich aber nicht allein. Ich kam zusammen mit meinem Freund und meinem Hund nach Berlin. Ich liebe beide, das bekenne ich gerne. Mein Hund stammt aus einem israelischen Tierheim und sollte eigentlich eingeschläfert werden, bis ich mich dann seiner annahm. Jetzt ist er ein glückliches Tier, schläft bei mir im Bett und geht jeden Tag mit mir spazieren. Ich finde es aufregend, ein Lebewesen bei mir zu haben, von dem ich weiß, dass es auf mich angewiesen ist. Das fördert mein Verantwortungsbewusstsein.

Ich wohne in Kreuzberg und arbeite im Wedding. In beiden Bezirken fühle ich mich wohl, wie auch insgesamt in Berlin. Ich habe ein Atelier in einem Hinterhof, da verbringe ich etwa die Hälfte des Tages. Die andere Hälfte gehe ich handfesteren Arbeiten nach, etwa als Touristenführer. Ich könnte mich nicht den ganzen Tag kreativ betätigen. Die Beschäftigung mit meinen Bildern macht mir viel Spaß, aber sie bedeutet auch eine intensive Auseinandersetzung mit mir selbst. Damit tue ich mich noch immer schwer.

Romantisch Berlin war für mich immer ein Ideal. Schon seit Langem befasse ich mich mit dem verlorenen Exiljudentum Berlins des späten 18., 19. und frühen 20. Jahrhunderts. In diesen Reihen habe ich auch meine großen Helden gefunden, wie etwa die Frauen aus der Familie Mendelssohn oder den Sexualaufklärer Magnus Hirschfeld.

Meine Bindung an Berlin beruht eher auf verschiedenen romantischen Vorstellungen. Mit der heutigen jüdischen Gemeinde in Berlin hatte ich bisher nur wenig zu tun. Aber auch bei den Israelis in Berlin fühle ich mich nicht so wohl. Den meisten Israelis sowie vielen anderen Berliner Juden geht es um eine Implantierung israelischer Kultur in das Berliner Judentum. Ich dagegen träume von verlorenen Zeiten. Vielleicht sollte man einen Mittelweg finden.

Ich mag Berlin. Hier fühle ich mich richtig gut. Die Stadt ist der richtige Hafen für gestrandete Künstler. Natürlich habe ich auch Kritik an der Berliner Kunstlandschaft zu üben. Die deutsche Kunst ist momentan in einer Phase des Minimalismus und der Konzeptkunst. Mich kann man eher als einen modernen Zweig des Expressionismus ansehen.

Doch im Ganzen spürt man hier noch den Stand des Künstlers als den eines nützlichen, schaffenden Menschen. Das kommt mir sehr entgegen. Ich hatte auch schon das Glück, meine Bilder auszustellen. Sie stoßen nicht immer auf Verständnis. Manchmal erschrecken sie die Betrachter oder jagen ihnen Angst ein. Zuweilen kommt es auch zu Zwischenfällen. Kürzlich hat eine Gruppe aufgebrachter Christen meine in einer Kirche ausgestellten Bilder mit schwarzen Vorhängen bedeckt. Das hat mich sehr getroffen.

Falten In meinen Zeichnungen zeige ich vor allem Gesichter. Sie sind für mich der innigste Punkt menschlicher Persönlichkeiten. Ich zeichne Mimik, Gesichtskonturen, Falten, Lippen, Nasen und alles, was dazu gehört, in einer übersteigerten Präzision. So möchte ich die Gefühlswelt, die hinter dem Gesicht steckt, aus ihm herausholen. Meine Gesichter sind stets in grau gehalten. Dramatische Farbflächen in Schwarz, Feuerrot und Gelb heben meine Zeichnungen hervor und betonen die abgebildete Emotionswelt. Trauer, Schock, Angst, Unglück, Gleichgültigkeit, das sind die Stichworte meiner Arbeiten. Ich möchte den Betrachter mit mir und auch mit sich selbst konfrontieren.

Zur Inspiration spreche ich gern mit den Menschen und höre mir ihre Geschichten an: ihre schlechten und guten Erfahrungen. Ich zeichne sie sogar auf, um sie mir später erneut anzuhören. Das alles nehme ich in mir auf und mache mich dann ans Werk. Manchmal werde ich auch von meiner alltäglichen Umwelt inspiriert: Kürzlich sah ich in einer Sauna mehrere nebeneinander sitzende, schwitzende Frauen, deren Gesamterscheinung mir sogleich einen künstlerischen Anreiz gab.

In meinen Arbeiten dreht sich fast alles um Schuld und ihre Gegenbewegung, die Reue oder Buße: Teschuwa, wie wir im Hebräischen sagen. In meinen Ausstellungen bemühe ich mich, meine großen, mehrere Meter hohen Bilder in einem Kreis aufzustellen, der nur von einer Seite betreten werden kann. Der Betrachter kann sich somit an einen Fleck der Schuld und der Buße begeben, in seine eigene Privatkapelle. Wenn er die Gesamtinstallation auf sich wirken lässt, kann ihn das in Bewegung bringen.

Ich glaube an den ersten Moment. Im ersten Moment des Betrachtens passiert das meiste in den Menschen. Schnell beziehen sie Position, empfinden Abscheu oder Freude. Es gibt mir ein gutes Gefühl, zu wissen, dass meine Werke polarisieren.

Meine Bilder haben immer auch eine religiöse Komponente. Die Verantwortung vor dem Göttlichen und der Welt spielt eine große Rolle. Ich thematisiere Moral und Sünde, menschliche Niedrigkeit gegenüber Gott sowie die innerliche Rückkehr zu seinen Geboten. Dennoch sind mir die abgewandten Kehrseiten, die man egoistischen Götzendienst oder psychologische Selbstbefreiung nennen könnte, noch wichtiger.

Gebete Ich bete viel – normalerweise unter der Dusche. Das ist bei mir fast schon zu einem festen Ritual geworden. Ich finde warmes Wasser äußerst anregend, es fördert meine Kreativität.

Ich verstehe gut, dass manche Menschen meine Werke als zu negativ empfinden oder gar als grausam. Ich erwarte nicht, dass sie jedem gefallen. Ich freue mich, wenn sie eine Reaktion beim Betrachter auslösen. Damit nimmt er schon an einem sehr innigen Dialog mit mir teil.

Was mir sehr wichtig ist, ist Lebensfreude. Lange habe ich das Tanzen geliebt. Aber ich habe damit wohl zu spät angefangen. Heute genieße ich das Leben auf andere Weise und erfreue mich an Fröhlichkeit und fröhlichen Menschen. Alkohol mag ich nicht sonderlich, aber ich habe eine Neigung für Berliner Weiße entwickelt. Für Vergnügungen ist Berlin sehr geeignet – es bietet so viele Möglichkeiten, da kann ich nicht immer nein sagen. Aber ich gehe sogar noch weiter: Wäre ich kein Künstler, würde ich bestimmt mit den Affen im Dschungel leben.

Aufgezeichnet von Benyamin Reich

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