Düsseldorf

»Ich wundere mich, dass ich noch lebe«

Es war einmal: Leja Nemtsova mit ihrem vor 30 Jahren verstorbenen Mann. Foto: Alexandra Umbach

Es ist kein einfaches Leben, auf das Leja Nemtsova zurückblickt. Am Freitag vollendet sie ein Jahrhundert und feiert im Kreis ihrer Familie und mit Nachbarn aus der AWO-Seniorenwohnanlage in Düsseldorf-Gerresheim, wo sie mit ihrer Tochter Margarita in einer kleinen Wohnung lebt. Ruhig und bescheiden wirkt die zierliche Frau in ihrem Rollstuhl. Ihre Töchter Emiliya und Margarita erzählen von Stationen aus dem Leben ihrer Mutter. Diese schaltet sich immer wieder mit Details ein, ihre Erinnerungen – bis zurück in die Kindheit – sind sehr lebendig.

Neuanfänge Am 18. Februar 1911 im weißrussischen Polozk geboren, erlebt Leja Nemtsova Krieg, Revolution, abermals Krieg und Flucht. Und immer wieder Neuanfänge, den letzten vor zwölf Jahren, als sie gemeinsam mit ihren drei Töchtern aus dem ukrainischen Lwow nach Deutschland kam.

Aufgewachsen auf einem Bauernhof machte sie eine Buchhalterausbildung, heiratet einen Künstler. Gleich zu Kriegsbeginn gerät das Elternhaus unter Beschuss. »Sie haben durch das Dach geschossen, meinen Vater gefangen genommen«, erzählt Leja Nemtsova. 1941 flieht sie mit ihrem Mann und den damals zwei- und siebenjährigen Töchtern gen Osten. »Auf einem offenen Wagen, mit Rauch und Staub ging es durch das ganze große Land, wenn Bomben kamen, sind wir unter den Zug gekrochen«, erinnert sich ihre Tochter Margarita.

Kälte Prägende Erlebnisse in Viehtransportern quer durch die Sowjetunion nach Sibirien, wo eine Tante lebte. »Minus 53 Grad waren es dort«, erinnert sich Leja Nemtsova und die Töchter zeigen ihre roten Fingerkuppen, Folgen der Erfrierungen. Hier wird 1945 die jüngste Tochter Ninel geboren. In früher Kindheit erkrankt diese an Diphtherie und Scharlach. »Drei Tage und drei Nächte habe ich sie getragen und versucht nicht zu schlafen, weil ich Angst hatte, dass sie sonst stirbt.«

»Für uns ist sie eine Heldin«, sagt Margarita Nemtsova. Nicht nur deswegen. Die Mutter sei immer fleißig gewesen, hilfsbereit und tapfer, trotz einer Behinderung. Die Tochter erinnert an ein Unglück aus den Kindertagen ihrer Mutter, als diese wegen der strengen Lehrerin nachts bei Petroleumlicht noch lernte, das Haar Feuer fing und die damals zehnjährige Leja schwere Verbrennungen davontrug.

Stärke Seitdem ist der linke Arm gelähmt, sechsmal wurde sie im Laufe des Lebens operiert, bekam Hauttransplantationen. Schmerzen und Einschränkungen haben sie begleitet, auch heute noch kommt regelmäßig eine Krankenschwester vorbei und wechselt den Verband. »Aber Mutter weint nicht«, fasst Tochter Margarita eine Aussage ihrer Mutter, die zwar Deutsch versteht, aber lieber Russisch spricht, zusammen.

Leja Nemtsova ist zart und stark zugleich, das wird im kurzen Rückblick auf ein langes Leben deutlich. Sie zeigt ein Foto von ihrem vor 30 Jahren verstorbenen Mann. Dass sie selbst einmal 100 werden würde, hätte sie nicht erwartet. In der Familie habe es das noch nicht gegeben, erzählt sie. Ob es ein besonderer Geburtstag für sie sei? Sie zuckt mit den Schultern, lächelt, ihre hellbraunen Augen sind hellwach. »Manchmal wundere ich mich, dass ich bei all den Mühen meines Lebens, immer noch lebe.«

Porträt der Woche

Austausch mit Gleichen

Maria Schubert ist Gemeindesekretärin in Magdeburg und tanzt gern

von Alicia Rust  18.04.2025

Feiertage

Hymne auf die Freiheit

Der Alexander-Moksel-Kindergarten führte im Gemeindezentrum ein Pessach-Musical auf

von Vivian Rosen  17.04.2025

Berlin

Mazze als Mizwa

Das Projekt »Mitzvah Day« unterstützt die Berliner Tafel mit einer Lebensmittel-Spende

von Katrin Richter  17.04.2025

Berlin

Berlin: Gericht bestätigt fristlose Kündigung von Rabbiner

Das Berliner Arbeitsgericht hat die fristlose Kündigung eines Rabbiners wegen sexueller Belästigung eines weiblichen Gemeindemitglieds bestätigt

 16.04.2025

Jewrovision

»Schmetterlinge im Bauch«

Nur stilles Wasser trinken, noch einmal gut essen, dann geht es auf die Bühne. Die Moderatoren Masha und Gregor verraten, wie sie sich vorbereiten und mit dem Lampenfieber umgehen

von Christine Schmitt  16.04.2025

München

Hand in Hand

Ein generationsübergreifendes Social-Media-Projekt erinnert an das Schicksal von Schoa-Überlebenden – Bayern-Torwart Daniel Peretz und Charlotte Knobloch beteiligen sich

von Luis Gruhler  15.04.2025

Literatur

Die Zukunft Israels hat längst begonnen

Der Schriftsteller Assaf Gavron stellte im Jüdischen Gemeindezentrum seinen aktuellen Erzählband vor

von Nora Niemann  14.04.2025

Porträt der Woche

Eigene Choreografie

Galyna Kapitanova ist IT-Expertin, Madricha und leitet eine Tanzgruppe

von Alicia Rust  14.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025