Großes Hallo in den Räumen der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) in der Berliner Friedrichstraße. Pünktlich um 10 Uhr treffen fünf von insgesamt zehn Israelis ein, die derzeit Freiwilligendienst in Deutschland leisten – im Rahmen eines deutsch-israelischen Programms, das im Mai 2015 aufgelegt wurde.
Laura Cazes, die das Projekt seit über einem Jahr managt, ist schon ein paar Minuten früher erschienen. Die Stimmung ist entspannt. Rasch kommen die fünf Israelis ins Gespräch, während Laura noch Unterlagen sortiert und mit einem ehemaligen Freiwilligen, der an diesem Tag zu der aktuellen Gruppe stoßen will, Nachrichten austauscht.
Johanniter Am Tag zuvor war die 26-Jährige nach Hamburg gereist, um Details bei zukünftigen Einsatzstellen mit dem Geschäftsführer des Regionalverbandes Johanniter-Unfallhilfe zu klären. Denn die Psychologin ist nicht nur für die israelischen Freiwilligen in Deutschland zuständig – sie kümmert sich auch um deren Stellen. In den vergangenen Monaten hat sie fast 70 Bewerbungen erhalten und möchte dementsprechend viele Plätze finden.
Allerdings: »So schnell wie ich anfangs dachte, funktioniert es dann doch nicht«, sagt sie. Zumal die Arbeitgeber neben Kost und Logis auch Versicherungen bezahlen müssen. Wichtig sei es, sowohl Einsatzstellen in jüdischen als auch in nichtjüdischen Einrichtungen anbieten zu können, berichtet Laura Cazes. Schon seit Jahrzehnten sind Freiwillige aus Deutschland in Israel im Einsatz, umgekehrt war das bisher nur selten der Fall.
Das neue Programm beruht auf einer Kooperation des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und des israelischen Ministeriums für Wohlfahrt und Soziales. Die ZWST übernimmt die Koordination. Günter Jek, Leiter des ZWST-Büros in Berlin, begrüßt die Freiwilligen und stellt seine Arbeit vor. Dann sagt er: »Nachher gehen wir zum Familienministerium rüber. Bitte vergesst mich nicht und holt mich aus meinem Büro ab.« Dann haben die fünf Freiwilligen das Wort.
Eyal Noyman (25) ist seit drei Monaten dabei und arbeitet in einem katholischen Gymnasium in Mainz. Wenn er davon erzählt, spürt man seine Begeisterung: »Der erste Tag war beeindruckend«, sagt der 25-Jährige, der aus Jerusalem stammt. Die Schule sei mit mehr als 1000 Schülern riesig. Da er Englisch schon in seiner Heimat unterrichtet hatte, soll er in Mainz nun schwächeren Schülern helfen. Der junge Mann spricht fließend Deutsch, er hat die Sprache bereits in Jerusalem gelernt. »Ich habe gedacht, dass es interessant ist, in Deutschland zu leben, und da kam das Angebot des Freiwilligendienstes gerade im richtigen Moment«, berichtet er. Eyals Mutter, deren Familie aus Polen stammt und die Schoa überlebt hat, fand den Einsatz ihres Sohnes in Deutschland anfangs sehr befremdlich. Doch nun haben seine Eltern ihn besucht und ein »junges und interessantes Deutschland« kennengelernt. Eyal wiederum möchte israelisches Flair nach Deutschland bringen. Derzeit lebt er in einem Wohnheim der Schule, hatte sich vorab über Facebook mit Freunden kurzgeschlossen und fühlte sich bisher keine Sekunde allein. 250 Euro bekommt er als Taschengeld, dazu noch 150 Euro für Verpflegung. »Damit komme ich bestens aus, denn ich gebe kaum Geld aus, nur für Bier – ach nee, ich meine Apfelsaftschorle«, sagt er grinsend.
Oron Haim (21) »In Israel lachen, weinen, feiern, lernen und leben wir«, sagt Oron Haim. Er sieht es als seine aktuelle Aufgabe an, zu zeigen, »wie wir sind«. Der 21-Jährige möchte in Israel Pädagogik studieren, davor aber noch viele Erfahrungen in Deutschland sammeln, diese mitnehmen und das Schulsystem in seinem Land von innen heraus erneuern. An der jüdischen Grundschule in Stuttgart könne er viel lernen, glaubt er. »Ich bleibe insgesamt ein Jahr und weiß schon jetzt, dass ich es wieder tun würde«, lautet Orons Fazit. Ab September wird der 23-Jährige auch im jüdischen Jugendzentrum eingesetzt. Mittlerweile spricht er schon ein bisschen Deutsch, aber am Anfang verständigte er sich mehr mit den Händen als mit Worten. »Die Kinder waren so begeistert, dass sie mich ansprangen und an mir hochkletterten«, sagt er. In kleinen Gruppen unterrichtet er Hebräisch, übernimmt die Hausaufgabenbetreuung und die Pausenhofaufsicht. »Musst du da auch eine gelbe Leuchtjacke anziehen?«, fragt Eyal. Oron verneint und sagt: »Ich musste noch nie Aufsicht übernehmen. Wenn ich aber so eine Jacke anziehen soll, dann werde ich ablehnen und sagen: ›Ich war bei der Armee‹.« Das sei bei den jungen Israelis die Ausrede für so gut wie alles, wirft Laura ein.
Liron Taub (25) Eine Umweltstation in einer Kleinstadt stellte sich, anders als die anderen Einsatzorte, als unpassend für den Freiwilligendienst heraus. Liron Taub, 25, und Yarah Sadah, 22, hatten nach fünf Monaten genug und wollten wieder weg. Die Leute seien sehr verschlossen gewesen und die Stadt langweilig. Liron arbeitet nun im Altenzentrum der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt und ist sehr zufrieden. Seine Mutter hatte bereits vor Jahren in Bad Pyrmont gelebt, aber sein Vater wollte nicht, dass sie mit ihm Deutsch spricht. Mittlerweile beherrscht Liron die Sprache fließend und wird sie nach dem Freiwilligendienst auch brauchen, denn sein Plan steht fest: Er will in Deutschland bleiben und Psychologie studieren. »Das wird eine Herausforderung, aber ich mag Herausforderungen«, erklärt er.
Yarah Sadah (22) Yarah arbeitet nun in Köln – in einer »süßen Krabbelgruppe«, wie sie betont. Sie betreut Kinder im Alter von elf Monaten bis zu drei Jahren, spricht mit den Kleinen Hebräisch, singt und macht sie mit den jüdischen Feiertagen bekannt. Sie hatte in Israel bereits mehrere Jobs als Volunteer. Im sozialen Bereich sieht sie ihre berufliche Zukunft. Köln gefällt ihr sehr. Immer montagabends geht sie zu einem von ihr selbst initiierten Hebräisch-Stammtisch. »Da wird dann kein deutsches Wort gesprochen außer ›Bier‹, nein, ich meine ›Apfelsaftschorle‹.«
Orel Kadosh (23) »Ich wollte das Verhältnis zwischen Israel und Deutschland verstehen«, sagt Orel Kadosh. Zehn Monate hat sie Zeit dafür und schon erfahren, dass es nicht nur eine Antwort auf diese schwierige Frage gibt. Die 23-Jährige ist ebenfalls in Frankfurt aktiv, bei der Zionistischen Jugend Deutschlands, und betreut Kinder. Gerade ist sie von einem Sommercamp aus Israel wiedergekommen. Im Herbst wird Orel in ihrer Heimat ein Pädagogikstudium aufnehmen.
Mittlerweile ist es 12.20 Uhr. »Wir wollen nicht viel zu spät kommen, lasst uns mal losgehen«, sagt Laura. Günter Jek kommt aus seinem Büro und schließt sich an. Vor der Tür steht plötzlich ganz abgehetzt Suleiman Suleiman aus Tamra, einer arabischen Stadt bei Haifa, der Freiwilligendienst in einem Gymnasium bei Trier geleistet hat. Nun ist er zufällig in Berlin. »Der Freiwilligendienst soll für alle möglich sein, auch für arabische Israelis«, sagt Laura. Freudig wird Suleiman begrüßt und umarmt. In Trier hatte er sich besonders um Schüler aus geflüchteten Familien gekümmert. Dabei stieß er oft auf Verwunderung und Neugierde, wenn er Syrern oder Afghanen erzählte, woher er kommt – und dass er arabisch-muslimischer Israeli ist.
Sprachkurse Gemeinsam geht es zum Familienministerium. Christoph Steegmans, Unterabteilungsleiter für Engagementpolitik und einer der »Motoren« des Projekts, wartet schon. »Schalom«, grüßt er. Dann führt er alle zum Sitzungsraum und öffnet die Tür. Besetzt. Weiter geht es durchs Haus zum nächsten Raum. Wieder besetzt. »Was soll’s, dann nehmen wir uns Stühle mit und setzen uns in mein Büro«, sagt er. Dort sitzen alle im Kreis, und Christoph Steegmans möchte wissen, welche Erfahrungen die Israelis gemacht haben. Nur gute, sagen die Freiwilligen, bemängeln aber, dass es keine Sprachkurse gibt – denn aufgrund der Flüchtlingssituation stehen derzeit keine Deutschlehrer zur Verfügung.
Ob sie Antisemitismus erfahren hätten, möchte Steegmans wissen. Kein Einziger beantwortet diese Frage mit Ja. Später schauen sie sich Berlins Sehenswürdigkeiten an und trinken zusammen ein Bier –oder ... Apfelsaftschorle?