Auf meiner Visitenkarte steht »Shimrit Härtl«, in Klammern »Schreiber«. Das ist nämlich so: Ich bin eine geborene Schreiber, habe dann aber geheiratet, und zwar einen Herrn Härtl aus München. Wir waren lange zusammen, sind aber jetzt seit gut sechs Jahren geschieden. Und da halte ich es langsam für angebracht, wieder meinen Mädchennamen zu tragen. Viele kennen mich aber nur unter dem Namen Härtl, und wenn ich mich dann mit »Schreiber« vorstelle, denken sie, ich hätte wieder geheiratet. Es ist alles ein bisschen kompliziert.
Doch für mich fühlt es sich gut an, zum Namen Schreiber zurückzukehren. Er ist für mich etwas Besonderes, etwas, was es zu bewahren gilt, zumal es in meiner Familie nicht mehr viele Schreiber gibt. Wir sind ein wenig »frauenlastig«, und Frauen nehmen eben oft die Namen ihrer Ehemänner an. Hinzu kommt – und das finde ich wirklich bemerkenswert –, dass der Name Schreiber ehemals dem Toraschreiber vorbehalten war, dem Chatam Sofer, und dem Übersetzer.
Ich bin zwar nicht sonderlich religiös, aber das berührt mich dann doch: Schreiber zu heißen und Übersetzerin und Dolmetscherin zu sein, und zwar für Deutsch–Hebräisch, Hebräisch–Deutsch. Ich habe die Spur, die in meinem Namen steckt, wieder aufgenommen. Was ich noch nicht weiß, aber noch herausfinden möchte, ist, ob meine Familie von der Prager Seite der Schreibers abstammt oder von der aus Bratislava.
Jugend Geboren wurde ich 1972 in Israel, in Afula, in der Nähe von Nazareth. In einem Kibbuz habe ich Herrn Härtl kennengelernt, so kam ich 1991 nach München. Das ist jetzt 23 Jahre her, und mit kurzen Unterbrechungen lebte ich fast immer in Süddeutschland, meistens in München. In der Gegend von Stuttgart habe ich meine Ausbildung zur Übersetzerin und Dolmetscherin gemacht und in München noch das Staatsexamen hinzugefügt. Ich bin also beeidigte Übersetzerin, und inzwischen ist Deutsch nicht nur meine Berufs-, sondern auch meine Lebenssprache. Aber ich träume in ganz unterschiedlichen Sprachen, je nach dem, mit welcher ich gerade viel zu tun habe: Hebräisch, Deutsch, Englisch und manchmal auch in Spanisch oder Arabisch.
München ist zu meiner Wahlheimat geworden, in der ich mich wohl fühle. Ich erinnere mich ziemlich genau an meinen ersten Arbeitsauftrag in dieser Stadt: Ich war noch ganz jung, und man brauchte für eine Multiplikatorenkonferenz, an der Lehrer und Jugendleiter aus Bayern und Israel teilnahmen, jemanden, der dolmetscht. Das hat dann ganz gut geklappt, seitdem übersetze ich nicht nur, sondern dolmetsche auch. Was mir sehr gefällt, ist das sogenannte Kabinendolmetschen. Ich liebe es, simultan zu übersetzen.
Wenn ich mit Delegationen unterwegs bin, bekomme ich Einblick in die unterschiedlichsten Bereiche, ob das nun Autofirmen in Bayern sind oder Chemiebetriebe im Rheinland. Ich war bestimmt schon in allen Großstädten Deutschlands. Im Februar habe ich Bundesverkehrsminister Dobrindt zu den Regierungskonsultationen nach Jerusalem begleitet, und ich muss sagen, dieser Mann hat mich beeindruckt. Er war zum ersten Mal in Israel und hat Augen und Ohren aufgesperrt. Er war so offen und wissbegierig, zum Beispiel, wie das mit dem Hebräischen ist. Ich habe ihm auch von Eliezer Ben-Jehuda erzählt. Er sprach auch Deutsch und hat fürs Neuhebräische vieles aus der deutschen Grammatik übernommen.
Es war zu spüren, dass das Herrn Dobrindt sehr berührt hat. Da dachte ich, eigentlich muss man Politiker persönlich kennenlernen, um über sie zu urteilen. Was man über sie in der Zeitung liest, stimmt nicht immer.
Studenten Bei der israelischen Botschaft bin ich als Übersetzerin eingetragen. Wenn sie mich brauchen, rufen sie mich an, oder sie empfehlen mich an andere weiter. Gibt es in der Gemeinde etwas zu übersetzen, dann wendet man sich in der Regel an mich. Wenn an der Uni das Semester beginnt, helfe ich den Studenten, die aus Israel kommen, und übersetze für sie die Papiere, die sie für ihre Unterlagen brauchen.
Wir Israelis in München kennen uns, der Kontakt tut mir gut, zumal ich da in Tuchfühlung mit der hebräischen Sprache bleibe. Eine Sprache ist ja etwas Lebendiges und verändert sich ständig. Und sie hat ihre Eigenarten. Im Hebräischen gibt es beispielsweise ein Wort, mit dem man jemanden zu etwas neu Gekauftem beglückwünscht. Wir sagen »titchadesch« oder »titchadschi«. Im Deutschen gibt es dafür keine Entsprechung. Anderseits fehlt dem Hebräischen ein Wort für Fachwerkhaus. Eines für »Spätzle« gibt es neuerdings: Man nennt sie »Batzekijot« oder »Itrijot Batzek«.
Weil wir gerade beim Essen sind: Ich mag Bayern, und ich mag München. Aber das Essen, diese Braten oder Würstel, das ist alles nichts für mich, denn ich lebe vegan, und das hat mit Bayerisch wenig gemein. Aber ich sitze gern in einem der Biergärten, trinke auch mal ein Bier und esse eine Brezen dazu. Es gibt in München viele wunderschöne Plätze, auch kleine versteckte Parks. Ich kenne die Stadt mittlerweile wirklich gut, ich habe nämlich vergangenes Jahr ein Guide-Training gemacht und darf mich jetzt »offizielle Gästeführerin« nennen.
Bei der Ausbildung dachte ich am Anfang, dass mir das alles sehr fremd ist mit den vielen Königen und Adligen, denn ich komme aus einer eher sozialdemokratisch eingestellten Familie. Aber ich habe erfahren, dass es bei den Wittelsbachern immer schon Verbindungen zu Juden gegeben hat, und das hat mich dann doch angesprochen. Wenn ich Touristen aus Israel durch die Stadt führe, dann erzähle ich ihnen solche Dinge natürlich. Voller Stolz zeige ich ihnen die Synagoge am Jakobsplatz, über deren Größe die meisten erstaunt sind. In Israel weiß man wenig über jüdisches Leben im heutigen Deutschland.
Maxvorstadt Ich biete auch Rundgänge durch die Gedenkstätte Dachau an. Mir ist das wichtig. Was dort geschehen ist, ist nicht nur Teil der jüdischen, sondern der Menschheitsgeschichte und besitzt ewige Aktualität. Wünschen sich Israelis eine Altstadtführung, dann kann ich davon ausgehen, dass sie von ihren Familien Einkaufslisten mitbekommen haben. Ich zeige ihnen die Geschäfte und wo man gut bayerisch essen kann. Nach der Stadtführung radle ich oft zurück in mein Büro in der Maxvorstadt, wo ich Bürokram erledige. Gegen fünf Uhr am Nachmittag habe ich Feierabend. Gelegentlich unternehme ich dann noch etwas, manchmal gehe ich nach Hause.
Wer fast immer an meiner Seite ist, ist mein Hund Rocky. Morgens joggen wir gemeinsam durch die Felder bei Feldmoching – einem Stadtteil Münchens –, zusammen fahren wir mit der U-Bahn in die Stadt, zusammen gehen wir ins Büro. In Feldmoching wohne ich mit meiner 15-jährigen Tochter Bella und meinem Lebensgefährten. Bellas ältere Schwester, Mira, lebt in Israel. Sie geht dort aufs Gymnasium.
Zweimal in der Woche gehe ich vor der Arbeit zum Schwimmen. Rocky habe ich dann schon im Büro abgeliefert. Zwischen acht und halb neun beginne ich mit der Arbeit, und dann werden erst einmal Mails gecheckt. Zum Mittagessen besucht mich Bella, wir holen uns einen Salat, reden über dies und das, und wenn ich sie überzeugen kann, fängt sie mit ihren Hausaufgaben an.
Stehen Feiertage an, sieht man uns eher selten in der Synagoge. Wir feiern mehr auf israelische Art mit Freunden daheim. Veranstaltungen in der Gemeinde verfolge ich dagegen mit großem Interesse. Mir Wissen anzueignen, um es weiterzugeben, Menschen unterschiedlicher Nationalität Dinge zu zeigen und ihnen Zusammenhänge zu erklären, macht mein Leben reicher. Oft habe ich das Gefühl, dass ich dafür mehr bekomme als ich gebe.
Aufgezeichnet von Katrin Diehl