Ich wurde 1990 in Frankfurt am Main geboren. Mein Vater ist Sohn deutscher Juden. Er wurde 1945 in Frankreich geboren. Seine Eltern flohen 1932 aus Berlin und lebten dann in der französischen Stadt Montauban. Als sie von der Landung der Alliierten in der Normandie hörten, entschlossen sie sich, noch ein Kind zu bekommen.
Kommunist In Montauban wurde 1936 auch mein Onkel geboren. Er hat neun Jahre bei französischen Bauern im Versteck gelebt, unter einem anderen Namen. Die Familie meines Vaters war nicht stark praktizierend religiös. Das lag vor allem an meinem Großvater. Er war Kommunist. Meine Großmutter war erklärte Zionistin.
In meinen Vater sind beide Strömungen eingeflossen. Er bezeichnet sich als Atheisten. Meine Mutter ist gebürtige Frankfurterin. Sie ist nicht jüdisch. Sie ist auch Tochter eines Kommunisten. Mein Vater ist nach Deutschland gekommen, als er zwölf Jahre alt war.
Das muss 1957 gewesen sein. Ich bin wohlbehütet im Frankfurter Westend aufgewachsen. Mein Vater war in der Politik aktiv, meine Mutter war Lehrerin. Beide machen das so nicht mehr. Ich bin mit einem Bruder aufgewachsen. Auf dem Papier ist er mein Halbbruder, weil wir nur eine gemeinsame Mutter haben. Religion hat bei uns keine Rolle gespielt. Alle Religionen wurden als schwierig angesehen. Da wurde keine Ausnahme gemacht.
Ich war bisher noch nie in Israel. Das will ich ändern.
Ich besuchte eine Grundschule, die neben der Jüdischen Gemeinde im Westend liegt. Im Schülerladen hatten wir auch ein paar Kids von der I. E. Lichtigfeld-Schule. Das waren meine ersten Berührungspunkte mit der Frankfurter Gemeinde. Später war ich in einer G8-Klasse auf der Elisabethenschule. Einige Klassenkameraden waren aus der Lichtigfeld-Schule nach der sechsten Klasse dorthin gewechselt. In der Oberstufe hätte ich »mosaische Religion« als Religionsunterrichtsfach wählen können.
Ethik Man munkelte damals, dass man dort relativ leicht gute Zensuren bekommt. Ich sprach mit meinen Eltern darüber, das Fach zu belegen – ohne mich besonders dazu hingezogen zu fühlen, sondern eher aus Notengründen. Das wurde aber abgewehrt, vor allem vonseiten meines Vaters. Er sagte: »Mach es nicht nur wegen der Noten, was willst du mit Religionsunterricht?« Wie genau das Gespräch verlief, kann ich nicht mehr rekonstruieren. Es war eine halbhitzige Diskussion zu Hause. Ich blieb weiter im Ethikunterricht. Und so habe ich diese Chance wohl verpasst.
Nach dem Abitur ging ich zunächst nach Paris. Dort arbeitete ich unter anderem in einer christlichen sozialen Einrichtung. Wir hatten 30 Kinder, eine spannende und explosive Mischung. Es war eine tolle Zeit und Erfahrung für mich. Die Arbeit dort zählte als eine Art Ersatz-Zivildienst. Mein Jahrgang unterlag eigentlich noch der Wehrpflicht. Ich wurde aber als Nachkomme von Holocaust-Überlebenden davon befreit. Das erachte ich als sehr sinnvoll und wichtig.
FAMILIE Bis zu meinem 18. Lebensjahr trug ich den Nachnamen meiner Mutter. Zum einen, damit ich so heiße wie sie und mein Bruder. Ich trug ihren Namen aber auch aus Schutz, weil mein Vater eine Person des öffentlichen Lebens ist. Mit 18 entschied ich mich, den Namen Cohn-Bendit anzunehmen. Das war eine wichtige, bewusste Entscheidung. Ich habe sie mit meinen Eltern diskutiert. Für meine Mutter war es kein Problem, auch wenn sie etwas traurig war, dass ich mich gegen den Namen Apel und für den Namen meines Vaters entschieden habe.
Ich bin stolz auf den Namen Cohn-Bendit. Ich finde ihn sehr schön. Der wichtigste Punkt ist für mich, dass ich der Letzte bin, der den Familiennamen fortführen kann. Mein Onkel hat zwei Kinder, sie werden aber keine Kinder bekommen. Den Namen gibt es so sonst nicht. Er wurde damals in Berlin künstlich erstellt. Mein Großvater war einer von vielen Anwälten in Berlin, die Cohn hießen. Als er seine Prüfung bestanden hatte, entschied er sich, den Geburtsnamen seiner Mutter anzuhängen.
Nach der Rückkehr aus Paris lebte ich kurzzeitig in Münster. Dort begann ich, Jura zu studieren. Es war mein großer Traum – und der meines Vaters. Doch das Studium hat sich leider nach einem Semester erledigt – sowohl Münster als auch Jura haben nicht gepasst. Der Liebe wegen kehrte ich zurück nach Frankfurt. Dort lebte meine langjährige Freundin. Wir waren mal zusammen, mal nicht. Wir haben uns dann endgültig zusammengerauft. Sie ist heute meine Frau. Es hat sich gelohnt, dass ich zurückgekommen bin.
Ich bin stolz auf den Namen Cohn-Bendit. Ich finde ihn sehr schön.
Software Bis 2014 habe ich Volkswirtschaftslehre im Bachelorstudiengang an der Frankfurter Goethe-Universität studiert. Anschließend absolvierte ich dort ein Masterstudium in Wirtschafts- und Finanzsoziologie. Momentan arbeite ich bei einem Softwareunternehmen, das den Zugang zum Kapitalmarkt erleichtern möchte. Dahinter steckt eine Software für Crowdinvesting. Das ist eine alternative Finanzierungsform für Unternehmen, eine Form von Crowdfunding. Viele bringen Geld in einen Topf, um ein Projekt zu finanzieren. Mein Unternehmen stellt dafür die Software zur Verfügung. Ich mache dort das Partnermanagement, baue ein Netzwerk auf.
Eine große Leidenschaft ist Fußball. Schon als Kind und Jugendlicher spielte ich bei mehreren Frankfurter Vereinen. 2010 kam ich langsam, über Freunde, zu Makkabi. Seitdem war ich dort Jugendtrainer und Spieler. Außerdem habe ich zwei Jahre als sportlicher Leiter fest für den Verein gearbeitet. Makkabi-Präsident Alon Meyer ist ein fantastischer Typ. Bis heute sind wir einander eng verbunden. Die Arbeit mit Kindern – im sozialen Bereich, aber auch im Fußball – ist ebenfalls eine große Leidenschaft von mir, die ich bis heute weiterverfolge. Ich bin immer noch Jugendtrainer bei Makkabi.
Fussball 2012 gründete ich mit Freunden einen eigenen Fußballverein, den FC Gudesding Frankfurt. Wir spielen Fußball, engagieren uns aber auch rund um den Fußballplatz. So waren wir aktiv in der Flüchtlingsarbeit – bis heute sind fünf Syrer fest in unsere Mannschaft integriert. Der Verein ist gewachsen. Wir haben inzwischen drei Jugendmannschaften und eine Frauenmannschaft. Ich finde die Mischung an Menschen immer noch herausragend gut und fühle mich sehr wohl.
Vor einigen Jahren gab es Schmierereien auf unserem Platz mit SS-Runen und Sprüchen wie »Lauf, Jude, lauf«. Wir denken, das galt uns und natürlich auch meinem Vater. Er war zeitweise Präsident des FC Gudesding. Damals riefen wir den »Spieltag gegen Antisemitismus« ins Leben. Wir erhielten viel Zuspruch von anderen Frankfurter Vereinen. Es war schön zu sehen, wie eine breite Front der Stadtgesellschaft gegen die antisemitischen Angriffe aufstand. Wir bekommen bis heute immer wieder von Gegnern zu hören, wir seien ein »Judenverein«. Wir wissen nicht, warum. Es ist völlig verrückt.
Die Arbeit mit Kindern – im sozialen Bereich, aber auch im Fußball – ist ebenfalls eine große Leidenschaft von mir.
Ich hatte immer die Zuschreibung, dass ich jüdisch wäre, weil mein Vater jüdisch ist. Die Jüdische Gemeinde weiß, dass ich streng halachisch kein Jude bin, aber für alle Nichtjuden bin ich jüdisch. Mein Bezug zur Gemeinde ist eine selbst gewählte Nähe, die durch Makkabi begann und durch Menschen, die ich schätze, extrem verstärkt wurde. Ich glaube nicht an Gott.
Es wäre für mich schwierig zu sagen, ich bin religiös jüdisch, denn es ist nicht wahr. Einmal saß ich mit meiner guten Freundin Laura Cazés zusammen. Sie sagte: »Bela, das Judentum hat auch eine Religion.« Damit kann ich mich sehr identifizieren. Ich bin überhaupt nicht praktizierend, auch kulturell nicht. Ich fühle mich hingezogen, ich fühle mich wohl. Aber es ist bei mir sehr personengebunden. Auch zu Rabbiner Julian-Chaim Soussan habe ich ein wahrlich nicht religiöses Verhältnis. Aber wenn wir uns sehen, haben wir immer wieder tolle Unterhaltungen. Ich spüre gute Vibes.
GEMEINDE Ich habe das Gefühl, dass viele Leute die Bestrebung haben, mich näher an die Frankfurter Gemeinde heranzuholen. Das hat auch mit meiner Familiengeschichte zu tun. Mit dem Namen Cohn-Bendit gab es immer wieder eine Nähe zur Gemeinde. Mein Großvater hat, als er nach Deutschland zurückkehrte, die Jüdische Gemeinde Frankfurt als Anwalt vertreten.
Ich merke, wie ich besonders allergisch reagiere, wenn jemand antisemitische Vorurteile äußert. Ich fühle mich unwohl, fast angegriffen. Ich habe auch das Bedürfnis, dagegen aufzustehen, die Leute darauf aufmerksam zu machen. Ich merke, dass da ein besonderes Verhältnis ist.
Ich war in meinem Leben noch nie in Israel. Alon Meyer versucht immer wieder, mich zu überzeugen, von meinem Taglit-Recht Gebrauch zu machen. Ich habe es leider nicht gemacht. Das will ich ändern. Ich möchte dieses Land besuchen und bereisen. Es ist für mich nicht irgendein Land. Es ist etwas Besonderes.
Aufgezeichnet von Eugen El