Fröhliches Lachen, herzliche Umarmungen, lautes Singen. Mehr als 400 junge Juden aus ganz Deutschland waren angereist, um sich auszutauschen. Bis Sonntag fand in der Hansestadt der Jugendkongress der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland statt. Er stand unter dem Motto »Our turn«, was so viel wie »Wir sind an der Reihe« oder »Unsere Chance« bedeutet .
Teilgenommen hat auch Noam Quensel aus Frankfurt am Main. »Ich bin hier, um Community Building zu betreiben, mich zu vernetzen und die Vielfalt jüdischen Lebens in Deutschland zu erleben«, sagt der 18-Jährige, der eine jüdische Schule besucht und sich auf sein Abitur vorbereitet.
Der Kongress bot jungen jüdischen Erwachsenen eine Plattform , um über ihre Identität, ihre Zukunft und die gesellschaftlichen Herausforderungen zu sprechen, mit denen sie konfrontiert sind. Zu den prominenten Gästen zählten der israelische Botschafter Ron Prosor, der jüdische Pianist Igor Levit und der arabisch-israelische Journalist Yoseph Haddad.
Quensel fühlt sich an manchen Orten nicht sicher
Ein Thema, das viele Teilnehmer bewegt, ist der steigende Antisemitismus in Deutschland. Besonders seit dem 7. Oktober 2023, als die Terrororganisation Hamas Israel angriff, haben judenfeindliche Vorfälle hierzulande zugenommen. Laut eines am Donnerstag vorgestellten Lageberichts der Jüdischen Studierendenunion Deutschlands und des American Jewish Committee Berlin ist Antisemitismus etwa an vielen Hochschulen zum großen Problem für jüdische Studenten geworden.
Quensel sagt: »Ich fühle mich von der Mehrheitsgesellschaft in Deutschland akzeptiert.« An manchen öffentlichen Orten wie dem Frankfurter Hauptbahnhof oder der Innenstadt fühle er sich jedoch nicht mehr sicher. »Es gibt Bereiche, wo ich meine Bring-them-home-Kette oder meine gelbe Schleife einpacke, einfach aus Sorge, dass mir etwas passiert.«
»Ihr Drecksjuden gehört doch erschossen«
Eine der schlimmsten Anfeindungen erlebte er nach eigenen Worten mit Freunden, als ein Passant zunächst mit ihnen diskutierte und dann sagte: »Ihr Drecksjuden gehört doch erschossen.« Das sei eindeutig mehr als eine Beleidigung, so Quensel sichtlich erschüttert. Darüber hinaus begegne ihm Antisemitismus vor allem im Internet. »Juden kontrollieren die Welt, Juden sind alle reich - diese alten Klischees sind immer noch präsent.«
Das Erstarken extremer Parteien bei der Bundestagswahl beunruhigt den 18-Jährigen. »Ich habe große Sorge, dass die Koalition von SPD und CDU nicht durchhalten wird. Und das wird Deutschland zum Verhängnis werden. Dann werden wir ein großes Problem mit der AfD und/oder der Linken haben.«
Quensel will weiterkämpfen
Wegen des guten Abschneidens der AfD kündigte die scheidende Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion, Hanna Veiler, jüngst an, die Bundesrepublik zu verlassen. So weit will Quensel nicht gehen. »Ich sehe meine Zukunft in Deutschland«, sagt er. »Ich glaube fest daran, dass wir jüdisches Leben in Deutschland weiterleben müssen. Wir müssen zeigen, dass wir nicht unterzukriegen sind und dass wir für uns kämpfen.«
Natürlich stelle er sich Fragen wie: Was passiert, wenn eine antisemitische Regierung an die Macht kommt? Was passiert, wenn Angriffe auf jüdisches Leben normal werden? »Ich habe keine Antwort darauf. Und ich hoffe, dass ich nie eine finden muss. Aber das sind Sorgen und Fragen, die alle jüdischen Menschen in Deutschland beschäftigen - sowohl jung als auch alt.«»Ich glaube an die Gesamtgesellschaft«
Trotzdem bleibt Quensel - wie viele Teilnehmer des Jugendkongresses - optimistisch: »Ich glaube an die deutsche Gesamtgesellschaft und die Politik.«
Zuversicht gebe ihm zudem sein eigenes Engagement. Der Schüler leitet das Religionsreferat der Jüdischen Studierendenunion und kandidiert für den Vorstand der Vereinigung, der am Sonntag beim Kongress in Hamburg neugewählt wurde. Zudem ist er in einer Frankfurter Initiative für die Demokratie aktiv.
Sein Wunsch an Politik und Gesellschaft: »Der Kampf gegen Antisemitismus darf nicht mehr nur von Juden angeführt werden.« Es sei Aufgabe der Gesamtgesellschaft, sich gegen diesen Hass zu stellen. »Denn im Endeffekt ist es ein Angriff auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung.«