Ich liebe es zu schlafen. Ich schäme mich fast ein bisschen, das zu sagen. Bei Künstlern ist das so. Für einen Musiker fängt ein Tag erst so gegen zwölf Uhr mittags an. Alles andere geht gegen seine Natur. Ich bin Widder. Das heißt, dass in mir eine empfindsame Künstlerseele schlummert, wenn man sie schlummern lässt. Aber man lässt sie nicht. Denn da ist Benaya, unser Baby von eineinhalb Jahren. Der Kleine ist unser Licht, er ist unser Glück und er hält uns auf Trapp. Eigentlich heißt er ja Bnaya, aber weil wir wussten, dass das in Deutschland kein Mensch aussprechen kann, haben wir ihn Benaya genannt, ein Name aus der Tora, der uns gefallen hat.
Meine deutsche Frau ist gerade dabei, zum Judentum überzutreten. Wir haben das wegen der Schwangerschaft für einige Zeit unterbrochen, aber jetzt machen wir weiter. Wir feiern Schabbat, die jüdischen Feste und leben koscher. Benaya wächst zweisprachig auf. Meine Frau spricht Deutsch mit ihm und ich Hebräisch.
Weil ich ein Baby habe und weil ich einer regelmäßigen Arbeit nachgehe, stehe ich also nicht erst um zwölf auf, sondern zwischen halb acht und zehn. Zum Frühstück gibt es Vollkornbrot, Käse, Gemüse, Omelette. Und dann mache ich mich auf. Wir wohnen in Freising, das heißt, dass ich mit dem Zug etwa eine Stunde nach München brauche, wo ich als Lehrer für Trompete und Blockflöte arbeite, wo ich in mehreren Orchestern spiele, als Tenor im Synagogenchor in der Gemeinde am Jakobsplatz singe und wo mich weitere Projekte beschäftigen.
Mein Leben dreht sich schon immer um die Musik. Bereits als ich ein kleiner Kerl im Kindergarten war, ist den Leuten aufgefallen, dass ich mich zur Musik hingezogen fühle. Geboren wurde ich 1979 in Jerusalem, aufgewachsen bin ich in Ramat Gan. Nach dem Abitur an einem musischen Gymnasium bin ich zur Armee, dort natürlich ins Orchester.
enge Die Liebe zur Musik zieht sich durch mein Leben, obwohl ich aus keiner Musikerfamilie stamme. Mein Vater arbeitet seit Langem bei der nationalen Busgesellschaft, meine Mutter in einer Anwaltskanzlei. In Israel lebt auch meine Schwester, sie ist Krankenpflegerin. Meine Familie hat also absolut nichts mit Musik zu tun. Was nicht heißt, dass sie sie nicht mögen würde. Im Gegenteil. Keiner hat sich quergestellt, als ich als Kind Trompete erlernen wollte.
Ich studierte bei sehr guten Lehrern. Der eine war Solotrompeter im Israel Philharmonic Orchestra, der andere im Orchestra Ramat Gan. Ich wurde immer besser, habe fürs Nationalfernsehen gespielt, in Klezmerbands, in verschiedenen Orchestern. Ich war ein gefragter Trompeter, bis ich gemerkt habe, hier kann ich nichts mehr erreichen. Außerdem hatte ich drei Jahre Armee und zwei Jahre Reservedienst hinter mir. Da muss man einfach mal raus.
new York Ich bin für einige Zeit nach Südamerika gegangen, habe dann in New York gelebt, bis ich gehört habe, dass man in Holland als Trompeter noch viel lernen kann. Am Konservatorium in Amsterdam habe ich bei genialen Professoren klassische Trompete studiert und außerdem meine Frau kennengelernt. Zusammen sind wir dann 2007 nach Freising gezogen, wo sie schon eine Wohnung hatte.
Meine Frau ist gelernte Buchhalterin, und ich habe neben all meinen anderen Jobs als Trompeter angefangen, Trompete und Blockflöte zu unterrichten. Das macht mir Spaß, und ich bin gern für meine Schüler in der Musikschule und in der jüdischen Gemeinde da. Hier leite ich auch die Kinderklezmerband, für die wir ganz dringend nach Leuten suchen. Alle zwischen sieben und 16 Jahren sind willkommen, egal welches Instrument sie spielen.
Bisher waren wir eine richtig erfolgreiche Band, und das soll auch so bleiben. Nach dem Unterrichten gehe ich noch zu diversen Proben. Ich versuche auch, regelmäßig zu üben. Das mache ich am besten in der Gemeinde. Zu Hause ist es so eng. Unser Baby mag es zwar, wenn ich Trompete spiele, meine Nachbarn allerdings weniger. Die Bayern lieben ihre Ruhe, die Israelis lieben Krach. Das ist so und macht die Suche nach einer neuen Wohnung nicht gerade einfacher.
Ruhige Lage Ja, wir wollen umziehen, dorthin, wo ein bisschen mehr Leben ist und ein bisschen mehr Platz. Aber die Wohnungen sind klein und Hunde nicht erlaubt, und wir haben doch unsere alte Mischlingshündin Daisy, die wir lieben, auch wenn sie Arbeit macht und wir ständig ihre Haare aufsaugen müssen. Den Leuten hier sind »eine ruhige Lage« und ein sauberes Parkett am wichtigsten. Ich verstehe das nicht, und manchmal fehlt mir Israel. Dabei denke ich nicht, dass wir dorthin zurückkehren werden.
Wir sind beide Mitte 30, haben ein Baby, und ein Neuanfang in Israel ist nicht leicht, zumal wir gerade dabei sind, hier einiges auf die Beine zu stellen. Außerdem ist mir meine Klezmerband »united klezmer ensemble«, kurz: uke, sehr wichtig. Sie soll groß herauskommen. Auf die Gefahr hin, dass ich arrogant klinge, muss ich sagen: Deutsche können schöne Klezmermusik machen. Das klingt sehr gut. Aber mehr auch nicht. Punkt, aus. Mehr geht nur, wenn jemand in Israel aufgewachsen ist oder jüdische Wurzeln hat. Wir sind alle Vollblutmusiker, treffen uns zweimal im Monat zu Proben, mischen israelische Klänge mit ostjüdischem oder chassidisch israelischem Klezmer. Anfang Mai werden wir damit beginnen, eine CD aufzunehmen. Wir wünschen uns weltweite Auftritte. Wir denken groß.
Meine Frau hilft, wo sie kann. Sie kümmert sich um all das Organisatorische, um Versicherungen, Saalmiete, GEMA und was es noch so zu berücksichtigen gibt. Meine Frau steckt übrigens auch hinter der Idee für ein weiteres Projekt, das uns gerade sehr beschäftigt. »Matinee der Kulturen« heißt es, und es geht darum, dass sich jeden Monat bei einer Matinee ein anderes Land kulturell und kulinarisch vorstellt.
Am 24. März wird hier im Bürgerhaus Unterföhring die Eröffnungsmatinee »Musikalische Begegnung mit Griechenland und Zypern« stattfinden. Anschließend gibt’s ein Drei-Gänge-Menü. Bei der Schlussmatinee gegen Ende des Jahres treten dann noch einmal alle Länder zusammen auf. Wem wir von unserem Konzept erzählen, der ist begeistert. Das macht uns Mut.
Nächte Abends komme ich so gegen halb sieben nach Hause. Für Hobbys habe ich keine Zeit. Ich lese auch nicht besonders gerne. Zeitungen und Magazine sowie die Broschüren von Aldi ausgenommen. Ich gehe sehr spät zu Bett, denn ich liebe es, in der Nacht auf dem Balkon zu sitzen, mit einer Zigarre und einem kleinen Whisky. Und bevor ich dann irgendwann schlafe, brauche ich einen Horrorfilm. Das ist alles. Im Grunde bin ich sehr genügsam.
Ich mag die Bayern, und die Bayern mögen die Israelis, obwohl sie von Israel relativ wenig Ahnung haben. Das denke ich auch oft von den deutschen Juden. Die sind natürlich mit Israel verbunden. Aber das ist anders als bei uns Israelis. Wir sind überhaupt ziemlich anders: viel lockerer, entspannter. Mir fehlt die salzige Luft am Meer. Mir fehlt das frische Essen. Hier ist alles mit Sauce oder irgendeiner Crème bedeckt und dann in Plastik eingeschweißt. Und immer wieder Kartoffeln. Das Essen hier macht dick, mich auch. Dazu kommt – und jetzt muss ich mich schon wieder schämen –, dass ich keinen Sport treibe. Das muss sich ändern. Ab Morgen ändere ich das und träume weiter. Meine Familie soll gesund bleiben. Ich wünsche mir weltweite Auftritte für meine Klezmerband, Erfolg für unsere Matineen, eine riesige Wohnung, und ich will Millionär sein.