Interview

»Ich musste quasi bei null anfangen«

Stefan Hensel über Runde Tische, eine mögliche zweite Amtszeit und Zukunftspläne

von Ralf Balke  20.08.2024 17:57 Uhr

Stefan Hensel Foto: Bertold Fabricius

Stefan Hensel über Runde Tische, eine mögliche zweite Amtszeit und Zukunftspläne

von Ralf Balke  20.08.2024 17:57 Uhr

Herr Hensel, seit Juli 2021 sind Sie Antisemitismusbeauftragter in Hamburg. Wie sieht das Fazit dieser dreijährigen Amtszeit aus?
Es waren auf jeden Fall drei herausfordernde Jahre. Ich musste quasi bei null anfangen. Es gab ein Büro, aber keine Kollegen, und wir steckten mitten in der Corona-Pandemie. Die Landesstrategie gegen Antisemitismus musste auf den Weg gebracht werden. Dann gab es die Auseinandersetzung mit der Hochschule für Bildende Künste (HfBK), weil diese zwei Vertreter der Künstlergruppe ruangrupa, die 2022 auf der documenta fifteen judenfeindliche Artefakte ausgestellt hatten, als Gastprofessoren beschäftigte. Schließlich kam der 7. Oktober 2023 mit all seinen Folgen auch für Juden hier in Hamburg.

Welche Erfolge können Sie dabei verzeichnen?
Die Auseinandersetzung mit der HfBK hat dazu geführt, dass die Kunsthochschule nun eine Partnerschaft mit der Universität Haifa eingegangen ist. Zugleich arbeiten meine Kollegen und die zweite Bürgermeisterin an einem Konzept, wie ein Förderprogramm für den Jugendaustausch zwischen Israel und Hamburg auf die Beine gestellt werden kann. Und die Tatsache, dass kürzlich die Blaue Moschee, eine Filiale des Mullah-Regimes im Iran, von den Behörden geschlossen wurde, hat mich ebenfalls gefreut – schließlich hatten viele Menschen aus der Stadtgesellschaft diesen Schritt schon lange gefordert. Zweimal im Jahr lade ich zu »Wir müssen reden« ein. Das ist ein Abendessen mit jeweils 100 Teilnehmern, bei dem sich ganz unterschiedliche Menschen zum jüdischen Leben austauschen. Einmal im Jahr fahre ich mit einer Gruppe nach Israel, um Eindrücke zu sammeln und sich zu vernetzen.

Wie eng arbeiten Sie dabei mit den jüdischen Gemeinden vor Ort zusammen?
Sowohl die Jüdische Gemeinde in Hamburg als auch die Liberale Jüdische Gemeinde der Hansestadt hatten mich damals für das Amt des ehrenamtlichen Antisemitismusbeauftragten vorgeschlagen. Die Zusammenarbeit ist sehr eng, auch deshalb, weil ich selbst Mitglied der Jüdischen Gemeinde Hamburg bin.

Können Sie weitere Beispiele nennen?
Da ist auf jeden Fall die Dunkelfeldstudie zu erwähnen, die ich initiiert habe. In Kooperation mit der Polizeiakademie wurden auf Basis einer Umfrage in der Jüdischen Gemeinde Hamburg die konkreten und individuell erfahrenen Auswirkungen des Antisemitismus im Alltag von Jüdinnen und Juden erfasst. Das ist einmalig in Deutschland. Auf Basis dieser Daten können wir unsere Strategien nun weiterentwickeln. Auch deshalb haben wir die Präambel der Hamburger Verfassung geändert. Somit wird auch die Bekämpfung von Antisemitismus festgehalten.

Steht eine zweite Amtszeit an?
Ja, aller Voraussicht nach werde ich im Herbst offiziell vom Senat wieder bestätigt werden.

Wie kann man sich das Alltagsgeschäft eines Antisemitismusbeauftragten vorstellen?
Es geht viel um die Sensibilisierung von Institutionen für die Erfahrungen, die wir als Juden leider manchmal machen müssen. Erstaunlich viele Menschen haben oftmals keine genauen Vorstellungen davon, was Antisemitismus eigentlich ist. Die Lebensrealitäten von Jüdinnen und Juden sind für sie etwas Abstraktes. So etwas zu ändern, braucht viel Zeit und Geduld, das ist kein Selbstläufer. Ich unterstütze aber auch einzelne Betroffene von Antisemitismus und begleite sie zu Gesprächen oder vermittle zu Beratungsstellen. Zweimal jährlich organisiere ich einen Runden Tisch gegen Antisemitismus, an dem alle Behörden Hamburgs und NGOs über Maßnahmen und Erkenntnisse sprechen.

Worauf freuen Sie sich in naher Zukunft?
Dass ich mit meiner Familie wie jedes Jahr in die Ferien fahren kann. Dann habe ich das große Glück, bald wieder mit Schülern zu sprechen. So etwas macht mir viel Spaß.

Mit Hamburgs Antisemitismusbeauftragtem sprach Ralf Balke.

Duisburg

Mit Musik auf das Leben

Zum zweiten Mal richtete die Zentralwohlfahrtsstelle das »Festival der Chöre« aus. Mehr als 150 Sängerinnen und Sänger reisten aus zahlreichen jüdischen Gemeinden an

von Claudia Irle-Utsch  12.09.2024

Interview mit dem IKG-Sicherheitschef

»Wir leben in einer anderen Welt«

Gilad Ben-Yehuda über den Anschlag in München auf das israelische Generalkonsulat, die allgemeine Bedrohungslage und Folgen des 7. Oktober

von Leo Grudenberg  12.09.2024

Interview

»Ein Tag des Aufbruchs«

Der Gemeindevorsitzende Jo-Achim Hamburger über einen Festakt in Nürnberg und Markus Söders »Schutzversprechen«

von Helmut Kuhn  12.09.2024

Berlin

Moses-Mendelssohn-Preis für »Kanaan«-Gastronomen

Senator Joe Chialo würdigte die Gastronomen als großartiges Beispiel und Vorbild für Verständigung, Zusammenhalt und Resilienz

 11.09.2024

»Licht«

Alle sind eingeladen

Zehn Tage lang präsentieren die Jüdischen Kulturtage Konzerte, Lesungen, Filme und Workshops. Ein Streifzug durch das Programm

von Christine Schmitt  11.09.2024

Israel

100-Jähriger macht Tandemsprung

Der Journalist Walter Bingham sagte vor seinem Sprung: »I should be seeing a country from the river to the sea«

von Christine Schmitt  11.09.2024

Umfrage

So haben Münchner Juden den Anschlag in ihrer Stadt erlebt

Nach dem Anschlag auf das israelische Generalkonsulat sind Jüdinnen und Juden alarmiert

von Philipp Peyman Engel und Christine Schmitt  11.09.2024

Wahlen

Wehrhaft und entschieden

Nach dem Erfolg der AfD in Sachsen und Thüringen fordert IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch, die Demokratie und jüdisches Leben noch stärker zu schützen

von Leo Grudenberg  10.09.2024

DFB

Julius-Hirsch-Preis geht nach Leipzig, Karlsruhe und Bonn

Der seit 2005 vergebene Preis erinnert an den in Auschwitz ermordeten deutsch-jüdischen Nationalspieler Julius Hirsch

 10.09.2024