Herr Hensel, seit Juli 2021 sind Sie Antisemitismusbeauftragter in Hamburg. Wie sieht das Fazit dieser dreijährigen Amtszeit aus?
Es waren auf jeden Fall drei herausfordernde Jahre. Ich musste quasi bei null anfangen. Es gab ein Büro, aber keine Kollegen, und wir steckten mitten in der Corona-Pandemie. Die Landesstrategie gegen Antisemitismus musste auf den Weg gebracht werden. Dann gab es die Auseinandersetzung mit der Hochschule für Bildende Künste (HfBK), weil diese zwei Vertreter der Künstlergruppe ruangrupa, die 2022 auf der documenta fifteen judenfeindliche Artefakte ausgestellt hatten, als Gastprofessoren beschäftigte. Schließlich kam der 7. Oktober 2023 mit all seinen Folgen auch für Juden hier in Hamburg.
Welche Erfolge können Sie dabei verzeichnen?
Die Auseinandersetzung mit der HfBK hat dazu geführt, dass die Kunsthochschule nun eine Partnerschaft mit der Universität Haifa eingegangen ist. Zugleich arbeiten meine Kollegen und die zweite Bürgermeisterin an einem Konzept, wie ein Förderprogramm für den Jugendaustausch zwischen Israel und Hamburg auf die Beine gestellt werden kann. Und die Tatsache, dass kürzlich die Blaue Moschee, eine Filiale des Mullah-Regimes im Iran, von den Behörden geschlossen wurde, hat mich ebenfalls gefreut – schließlich hatten viele Menschen aus der Stadtgesellschaft diesen Schritt schon lange gefordert. Zweimal im Jahr lade ich zu »Wir müssen reden« ein. Das ist ein Abendessen mit jeweils 100 Teilnehmern, bei dem sich ganz unterschiedliche Menschen zum jüdischen Leben austauschen. Einmal im Jahr fahre ich mit einer Gruppe nach Israel, um Eindrücke zu sammeln und sich zu vernetzen.
Wie eng arbeiten Sie dabei mit den jüdischen Gemeinden vor Ort zusammen?
Sowohl die Jüdische Gemeinde in Hamburg als auch die Liberale Jüdische Gemeinde der Hansestadt hatten mich damals für das Amt des ehrenamtlichen Antisemitismusbeauftragten vorgeschlagen. Die Zusammenarbeit ist sehr eng, auch deshalb, weil ich selbst Mitglied der Jüdischen Gemeinde Hamburg bin.
Können Sie weitere Beispiele nennen?
Da ist auf jeden Fall die Dunkelfeldstudie zu erwähnen, die ich initiiert habe. In Kooperation mit der Polizeiakademie wurden auf Basis einer Umfrage in der Jüdischen Gemeinde Hamburg die konkreten und individuell erfahrenen Auswirkungen des Antisemitismus im Alltag von Jüdinnen und Juden erfasst. Das ist einmalig in Deutschland. Auf Basis dieser Daten können wir unsere Strategien nun weiterentwickeln. Auch deshalb haben wir die Präambel der Hamburger Verfassung geändert. Somit wird auch die Bekämpfung von Antisemitismus festgehalten.
Steht eine zweite Amtszeit an?
Ja, aller Voraussicht nach werde ich im Herbst offiziell vom Senat wieder bestätigt werden.
Wie kann man sich das Alltagsgeschäft eines Antisemitismusbeauftragten vorstellen?
Es geht viel um die Sensibilisierung von Institutionen für die Erfahrungen, die wir als Juden leider manchmal machen müssen. Erstaunlich viele Menschen haben oftmals keine genauen Vorstellungen davon, was Antisemitismus eigentlich ist. Die Lebensrealitäten von Jüdinnen und Juden sind für sie etwas Abstraktes. So etwas zu ändern, braucht viel Zeit und Geduld, das ist kein Selbstläufer. Ich unterstütze aber auch einzelne Betroffene von Antisemitismus und begleite sie zu Gesprächen oder vermittle zu Beratungsstellen. Zweimal jährlich organisiere ich einen Runden Tisch gegen Antisemitismus, an dem alle Behörden Hamburgs und NGOs über Maßnahmen und Erkenntnisse sprechen.
Worauf freuen Sie sich in naher Zukunft?
Dass ich mit meiner Familie wie jedes Jahr in die Ferien fahren kann. Dann habe ich das große Glück, bald wieder mit Schülern zu sprechen. So etwas macht mir viel Spaß.
Mit Hamburgs Antisemitismusbeauftragtem sprach Ralf Balke.