Porträt der Woche

»Ich mag Bodenständigkeit«

Ayan Balakhanova studiert Journalismus und engagiert sich in ihrer Gemeinde

von Annette Kanis  08.08.2021 14:31 Uhr

»In Aserbaidschan bin ich die Deutsche, hier die Ausländerin«: Ayan Balakhanova (21) lebt in Düsseldorf. Foto: Christopher Schmieg

Ayan Balakhanova studiert Journalismus und engagiert sich in ihrer Gemeinde

von Annette Kanis  08.08.2021 14:31 Uhr

Meist werde ich aufgrund meines Äußeren und meines Namens als muslimisch gelesen. Ich stamme aus einer jüdischen Familie aus Aserbaidschan, einem vornehmlich muslimischen Land, und bin 1999 in Viersen geboren. 2001 zogen wir nach Düsseldorf, dort war ich dann auf der Yitzhak-Rabin-Schule, der jüdischen Grundschule.

Vor drei Jahren, nach dem Abitur, bin ich für mein Journalistikstudium nach Magdeburg gezogen. Ich fing direkt nach dem Abi an zu studieren, weil es für mich wichtig war, gleich irgendetwas zu machen. Ich wollte nicht herumsitzen und warten. Ich war so aufgeregt, als die Schule vorbei war und ein neuer Abschnitt für mich begann.

Dorf Ich war vorher noch nie in Magdeburg gewesen, aber ich habe mich recht schnell eingelebt. Die Jüdische Gemeinde dort hat mich sehr offen aufgenommen. Es ist eine kleine Gemeinde mit etwa 450 Mitgliedern, viel kleiner als in Düsseldorf.

In Magdeburg gefällt mir, wenn man das so sagen kann, die Bodenständigkeit der Menschen. Alle meine Freunde aus dem Studium kommen ursprünglich aus Dörfern und sind auf dem Land groß geworden. Sachsen-Anhalt besteht deutlich mehr aus ländlichen Gebieten als zum Beispiel Nordrhein-Westfalen.

Anfangs fragten mich meine Freunde, ob ich wüsste, dass Kühe nicht lila sind. Das war nicht böse gemeint. Aber ich kam aus Düsseldorf, da wird man erst einmal als Städterin wahrgenommen. Ich habe mich auch mal beschwert, dass in Magdeburg die Bahn zur Uni von meiner Haltestelle aus nur alle 20 Minuten kommt. In Düsseldorf fährt die U-Bahn im Fünfminutentakt. Da wurde mir gesagt: Du kannst froh sein, auf dem Dorf fahren zwei Busse am Tag, wenn du die nicht kriegst, dann kannst du laufen.

In Magdeburg konnte ich die Vorurteile über den Osten revidieren.

Es gibt viel Natur, und in Städten wie Magdeburg und Halle ist viel weniger los. Sogar in der Innenstadt. Abends sind die Straßen viel früher leergefegt als in Düsseldorf, und die Fußgängerzone ist samstags nicht so voll. Es ist irgendwie ruhiger und entspannter, daran konnte ich mich gut gewöhnen. Nicht so viel Hektik, nicht so viel Gedränge.

STUDIUM In mein Studium habe ich mich sehr gut eingefunden, ich habe tolle Freunde. Und ich habe das Gefühl, es sind Freunde fürs Leben. Keine Sekunde habe ich bereut, dass ich nach Magdeburg gegangen bin, obwohl ich erst nicht so weit weg wollte von zuhause. Und ich hatte auch diesen Input vorher – nach dem Motto: »Das ist der Osten, das sind alles Nazis.« Ich habe andere Erfahrungen gemacht. Zum Großteil jedenfalls. Die Vorurteile über den Osten konnte ich jedenfalls revidieren.

Natürlich habe ich auch Erfahrungen gesammelt, die ich schon ein bisschen komisch fand und beispielsweise aus Düsseldorf nicht kannte – etwa bei Ämtern und einem Job. Vor allem die Verwunderung darüber, dass ich so gut Deutsch spreche. Aber ich habe gemerkt, dass die Frage, wie lange ich schon in Deutschland bin, nicht aus Boshaftigkeit gestellt wurde, sondern eher aus Neugier.

Mit dem Jüdischsein habe ich per se nie eine schlechte Erfahrung gemacht. An der Uni beispielsweise, wenn ich in der Mensa kein Schweinefleisch esse oder Milchiges und Fleischiges trenne, wird nachgefragt, warum. Aber eher wieder aus einem Gefühl der Neugier. Es ist nie aus einem bösen Verständnis heraus passiert.

Ich finde das eigentlich ganz gut, weil man dann auch die Möglichkeit hat, in einen Dialog zu kommen. Oft wurde mir gesagt, dass ich die erste Jüdin bin, der die Person begegnet ist.

SCHLÜSSELMOMENT Journalistin wollte ich werden, seit wir mit der Schule in der sechsten Klasse die Redaktion der »Wirtschaftswoche« besucht haben. Damals dachte ich: Hier will ich selbst irgendwann einmal sein. Das war für mich so ein Schlüsselmoment. Ich wollte unbedingt einen Job haben, in dem ich nicht von 9 bis 17 Uhr im Büro sitze und immer denselben Ablauf habe, mich mit den gleichen Sachen auseinandersetzen muss.

Ich wollte etwas machen, bei dem ich immer wieder etwas Neues dazulernen und einen Beitrag zur Gesellschaft leisten kann. Journalismus ist so vielfältig heutzutage. Und Geschichten zu erzählen, finde ich super spannend.

Jetzt bin ich im sechsten Semester und schreibe gerade meine Bachelor-Arbeit, und zwar über Erfolgsfaktoren von Social-Media-Kampagnen. Eigentlich wollte ich meine Arbeit über die »Sendung mit der Maus« schreiben, aber das klappte leider nicht, weil ich wegen Corona kein Praktikum beim WDR bekam. Mein großer Traum ist Kinder-Journalismus. Das wollte ich schon immer machen – in Richtung der Kindernachrichtensendung »Logo« zum Beispiel, die habe ich als Kind auch immer geschaut. Und ich finde Bildung und Wissensvermittlung für Kinder in den Medien einfach ein sehr spannendes Thema.

ISRAEL In meiner Freizeit spiele ich gern Gitarre. Und zum Abschalten zeichne und male ich. Ich backe auch gern. Aber all das ist in der letzten Zeit zu kurz gekommen, weil ich so viel zu tun hatte.

In der zehnten Klasse, kurz vor meinem 16. Geburtstag, bin ich nach Israel und dort zur Schule gegangen. In Hod Hasharon, einer Stadt in der Nähe von Tel Aviv. Ich empfand das Leben dort als sehr anders als hier in Deutschland. Die Menschen sind anders, die Mentalität, der Lebensstil. Nicht anders schlecht, anders gut oder anders besser, sondern einfach anders als hier in Europa.

Die Leute dort sind sehr laut, sehr temperamentvoll, meistens sind sie unpünktlich. Für mich war das ungewohnt. Und gleichzeitig war Israel irgendwie ein Zuhause für mich. Ich habe dort auch ganz viel Familie. Und das Land ist für uns jüdische junge Leute einfach auch richtig cool: Sommer, Strand, irgendwie Urlaubsgefühle.

Ich hatte Glück, dass ich nicht ganz alleine war, auch andere aus Düsseldorf waren zum Aufenthalt dort. Das Jahr war wirklich schön, und es hat mir sehr viel gebracht in meiner persönlichen Entwicklung. Zum Beispiel, dass ich viel selbstbewusster geworden bin und mein Verantwortungsbewusstsein sich ausgeweitet hat. Irgendwie bin ich erwachsener geworden in dieser Zeit.

GEMEINDE Ich bin jüdisch aufgewachsen. Es war immer ein Teil meines Lebens. Meine Oma zum Beispiel kommt aus einer streng religiösen Familie. Sie hat koscher gelebt und den Schabbat eingehalten. Ich würde mich mehr als traditionell bezeichnen. Jüdischen Religionsunterricht hatte ich bis zum Abitur. Dieses ganze Wissen ist da, ich kenne die Geschichten dahinter, und das bedeutet mir auch viel. Ich bin jüdisch, ich fühle mich jüdisch. Das ist ein Teil von mir. Und das wird auch immer irgendwie da sein, es ist nicht wegzudenken.

Seit einigen Wochen lebe ich wieder in Düsseldorf. Ich habe angefangen, neben dem Studium für den Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein zu arbeiten. Da mache ich mit bei »Jewnovation«, einem Projekt für Menschen zwischen 18 und 35 Jahren. Wir planen Events für junge Leute, sogenannte Young Professionals und Studenten: Bildungsangebote, Partys oder Reisen. Ich freue mich, jetzt weiter in das Projekt einzusteigen und für jüdische junge Leute etwas zu organisieren.

In der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf hatte ich bereits vor dem Studium ein Praktikum in der PR- und Öffentlichkeitsarbeit gemacht und beim Magazin der Gemeinde mitgearbeitet.

wochenzeitung Im vergangenen Jahr, als in Deutschland erste Lockdown war, habe ich mein Auslandspraktikum in Aserbaidschan gemacht – in der Redaktion einer russischen Wochenzeitung in Baku.

Ich war zum ersten Mal dort, es war für mich sehr spannend, und ich konnte auch etliche Verwandte treffen. An vielen Ecken gibt es noch dieses postsowjetische Flair, aber vieles ist auch schon moderner geworden. Ich konnte mich dort auf Russisch verständigen. Aserbaidschanisch kann ich verstehen, aber nicht so gut sprechen.

In der Familie, bei meinem Onkel und meinen Tanten in Aserbaidschan, bin ich immer »die Deutsche«. Für mich ist das ein spannender Punkt – dort bin ich »die Deutsche«, und in Deutschland bin ich oft nicht »die Deutsche«, hier bin ich die Ausländerin. Obwohl ich nach meinem Empfinden schon deutsch bin. Natürlich habe ich die Mentalität von meinen Eltern mitbekommen, aber ich habe das Gefühl, dass für mich Deutschland immer schon mein Zuhause gewesen ist.

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