Porträt der Woche

»Ich habe mehr geweint als er«

Tomer Nahary hat vor wenigen Wochen seinen neugeborenen Sohn beschneiden lassen

von Canan Topçu  13.08.2012 19:41 Uhr

Hat früher bei Makkabi zwei Fußballmannschaften trainiert: Tomer Nahary Foto: Judith König

Tomer Nahary hat vor wenigen Wochen seinen neugeborenen Sohn beschneiden lassen

von Canan Topçu  13.08.2012 19:41 Uhr

Am 21. Juli ist unser Sohn Liav zur Welt gekommen. Alles in allem hat es 27 Stunden gedauert, und ich bin die ganze Zeit dabei gewesen. Die Geburt war sehr anstrengend und aufregend. Während der ersten Tage war ich nicht lange getrennt von Liav, nur wenn ich mal einkaufen gegangen bin. Ich habe schon bald gemerkt, dass ich jetzt eine ganz andere Verantwortung habe und dass ich mir jetzt, da ich ein Kind habe, die Zeit viel besser einteilen muss. Mein Leben hat sich komplett verändert.

Die ersten Tage waren besonders aufregend. Wir hatten sehr viel Besuch, die Familie war da, und Freunde kamen. Obwohl wir schon vor der Geburt vieles vorbereitet hatten, gab es doch noch so manches zu organisieren und zu klären. Jetzt müssen wir unseren Sohn noch in der Gemeinde und für einen Kindergartenplatz anmelden.

vorbild Kurz vor Liavs Geburt begann die Beschneidungsdebatte. Ehrlich gesagt haben mich die Diskussionen über das Urteil nicht ernsthaft beschäftigt. Nichtjüdische Freunde und Bekannte wollten von uns wissen, wie wir es denn jetzt machen werden. Für meine Frau und mich war es ganz klar: Wir hatten uns vor der Geburt mit der Frage intensiv beschäftigt und haben keinen Moment daran gezweifelt, dass es richtig ist, unseren Sohn beschneiden zu lassen.

Uns ist es wichtig, dass wir unserem Kind, was die Religion betrifft, Vorbild sind. Ich bin zwar kein praktizierender Jude, halte weder den Schabbat, noch esse ich koscher und gehe eigentlich nur an Feiertagen in die Synagoge. Aber ich halte mich an die jüdischen Traditionen. Und dazu gehört eben auch die Beschneidung. Liav ist beschnitten worden. Ich habe mehr geweint als er.

Unser Sohn ist ein ruhiges Kind. Er schläft die Nacht durch und quengelt tagsüber kaum. Am Freitagabend waren wir bei Freunden, und als er gerade mal zwei Wochen alt war, sind wir mit ihm zu einer Hochzeit gefahren. Wir hatten gedacht, dass wir bestimmt nicht lange bleiben können, aber das ging wunderbar. Der Kleine macht sich ganz gut in der Öffentlichkeit. Die nächste Reise steht auch schon fest: In ein paar Tagen fahren wir nach Düsseldorf zu meinen Schwiegereltern. Dort wollen wir am 31. Tag nach Liavs Geburt im engen Familien- und Freundeskreis die Pidyon-haBen-Zeremonie ausrichten.

Die ersten drei Wochen nach der Geburt war auch ich zu Hause, jetzt habe ich wieder angefangen zu arbeiten. Ich habe am 6. August eine neue Stelle angetreten, in einer Immobilienfirma. Vorher habe ich als Architekt ja etwas ganz anderes gemacht: Ich war bei einer Bank in der Bauprojektleitung. Im neuen Job schaue ich vorerst einem Kollegen über die Schulter; ich muss mich einarbeiten, da ich branchenfremd bin.

morgenmuffel Vor der Geburt unseres Sohnes begann mein Tag mit einem Frühstück, das mir meine Frau zubereitet hat. Sie wollte nicht, dass ich mit leerem Magen aus dem Haus gehe. Das wird jetzt wieder anders, und ich werde wohl in eine alte Gewohnheit zurückfallen: Ich bin nämlich ein Morgenmuffel und froh über jede Minute, die ich länger im Bett bleiben kann.

In meiner Freizeit habe ich nicht allzu viele feste Termine. Ab und zu treffe ich mich mit Freunden zum Pokern. Meistens sind die Frauen nicht dabei, die gehen währenddessen essen oder ins Kino. Montags ist alle drei, vier Wochen Vorstandssitzung von Makkabi. Ich bin seit 2009 Vorstandsmitglied hier in Frankfurt. Vorher war ich sehr aktiv in der Jugendarbeit der Gemeinde, irgendwann ist man aber zu alt dafür. Deshalb bin ich zu Makkabi gewechselt.

Da Sport mein Hobby ist, vor allem Fußball, habe ich mich im Verein zunächst als Fußballtrainer engagiert und zwei Mannschaften trainiert. Vor zwei Jahren habe ich sie aber beide abgegeben, weil ich keine Zeit mehr hatte, ich musste mich unter anderem auf mein Diplom konzentrieren. Wenn ich merke, dass mir etwas zur Last wird, dann trete ich auf die Bremse. Ich trainiere also nicht mehr, sondern koordiniere Turniere und Trainingslager und organisiere Reisen.

Leidenschaftlich gern sehe ich mir im Fernsehen Fußball an. Ich brauche keine tausend Programme, mir reicht der Sportkanal. Meistens schaue ich zu Hause, ab und zu auch mit Freunden. Bis zu meinem 16. Lebensjahr habe ich auch selbst Fußball gespielt, dann aber aufgehört. Mir fehlt das Talent.

Bis vor einem Jahr bin ich fünf Mal die Woche ins Fitnessstudio gegangen, weil ich vor der Hochzeit abnehmen wollte. Inzwischen sind die Pfunde wieder drauf. Ich habe deshalb wieder angefangen zu trainieren, versuche, mindestens zweimal die Woche ins Fitnessstudio zu gehen. Mal sehen, wie lange ich das durchhalte.

Freunde Vor Liavs Geburt sind meine Frau und ich etwa einmal im Monat am Wochenende zu meinen Schwiegereltern nach Düsseldorf gefahren. Häufig treffen wir uns am Wochenende auch mit Freunden, denn die meisten sind ja berufstätig. Derzeit gibt es viele Hochzeiten im Bekanntenkreis. Ende Juni bin ich sogar nach Israel geflogen, um bei der Hochzeit eines Freundes dabei zu sein. Nach Israel reise ich etwa einmal im Jahr. Ich habe beide Staatsbürgerschaften, ich bin ja in Israel geboren. Aber Urlaub ist das nicht, wenn ich dort bin, sondern Besuch bei Verwandten.

Meine Familiengeschichte ist ziemlich verworren. Die Vorfahren väterlicherseits sind aus Deutschland, und mütterlicherseits stammen sie aus Persien. Die Familie meines Vaters ist 1933 von Marburg nach Palästina geflohen. Mein Großvater und seine vier Brüder haben dort beschlossen, dass sie keinen deutschen Namen mehr tragen wollen. Also haben sie ihren deutschen Familiennamen Bachenheimer in Nahary geändert, das ist das hebräische Pendant.

Mein Urgroßvater hat sich in Israel aber nicht wohlgefühlt und kehrte deshalb nach Deutschland zurück. Er starb hier 1971 und ist in Frankfurt beerdigt worden. Er war mit meinem Großvater hierher gekommen. Der wiederum hat sich hier in Deutschland nicht wohlgefühlt und wanderte später mit seiner Familie nach Israel aus, da war mein Vater zehn Jahre alt. Mein Vater schließlich ist als Erwachsener mit seiner Familie wieder nach Deutschland zurückgekommen, als ich zehn Jahre alt war.

frau Meine Frau ist Religionslehrerin an der jüdischen Schule hier in Frankfurt und hat sich Elternzeit genommen, vorerst für ein Jahr. Vor der Geburt waren meine Frau und ich viel unterwegs. Wir wollten möglichst noch viel Zeit miteinander verbringen, haben etliche Wochenendreisen gemacht, nach Zürich zum Beispiel, und nach Hamburg und Berlin. Wenn wir künftig zu zweit etwas unternehmen wollen, wird bestimmt meine Mutter einspringen. Sie wohnt auch in Frankfurt.

Wenn man ein Kind hat, muss man plötzlich viele Dinge berücksichtigen, etwa bei der Wahl des Wohnorts. Wir haben uns umgeschaut nach Wohnungen und Häusern, weil wir uns etwas kaufen wollten und haben überlegt, außerhalb der Stadt zu suchen. Aber dann ging uns durch den Kopf, dass wir unser Kind ja später in den jüdischen Kindergarten und in die jüdische Schule schicken wollen, und auch Makkabi ist ja in Frankfurt. Bis die Kinder zwölf oder 13 Jahre alt sind, wären wir dann Chauffeure. Man muss also Abstriche machen. Mit einem Kind ändert sich so vieles.

Aufgezeichnet von Canan Topçu

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