Sehnsucht nach dem Heimatlos-Sein habe ich nicht. Aber ich denke schon, dass ich überall auf der Welt leben könnte. Wenn mir morgen jemand sagen würde, du musst hier wegziehen, könnte ich das auch. Ich bin jüdisch, da ist es vielleicht einfach inhärent, ein Stück weit heimatlos zu sein. Diese Frage nach der eigenen Herkunft ist uns allen gemeinsam. Man beschäftigt sich damit, kennt das aus Erzählungen. Und die Idee, dass man irgendwo den gepackten Koffer hat – das ist schon eine Art Schicksalsgemeinschaft.
Ich hatte sehr lange gar kein Interesse daran, nach Israel zu ziehen. Meine Eltern waren in diesem Sinne nicht religiös, wir kamen ja ursprünglich aus dem sozialistischen Jugoslawien. Meine Großeltern konnten dem Holocaust noch unter sehr großen Gefahren entfliehen, mein Mann hat das später in einem Buch festgehalten. Vielleicht heißt auch deshalb Heimat für mich eher Lebensumfeld. Ein Heimatverständnis habe ich eigentlich erst durch meinen Mann kennengelernt, der Rheinländer ist. Dort gibt es eine enge Verbundenheit und großen Stolz auf die Kulturlandschaft bis weit in die Geschichte zurück. Er regte mich immer wieder an, nach meinen Wurzeln zu suchen. Je älter ich wurde, desto wichtiger wurde dieses Thema für mich.
Man kann natürlich in einer Art Hysterie überall Antisemitismus lauern sehen. Das geht mir nicht so. Ich lebe hier nicht in Angst. Aber als ich neulich die Umfrage im österreichischen »Standard« zu dem Thema gelesen habe, ob die NSDAP heute noch gewählt würde, haben mich unwillkürlich schon diese Fragen beschäftigt: Wie würde es einem selbst gehen? Wie lange bliebe man? Wo könnte man hin? Das sind natürlich ganz diffuse Gedanken, die jemand anderes sich vermutlich nicht gemacht hätte. Ich denke, der Antisemitismus ist ein Schicksal, das wird man nie ganz los. Das Wichtige ist, ihn im Zaum zu halten.
Toleranz ist auch das Stichwort für das Jugend- und Schulprojekt Step21, das ich nach meiner Rückkehr nach Deutschland aus den USA in den 80ern ins Leben gerufen habe. Es war mir ein großes Anliegen, ein Programm zu entwickeln, das durch den Gebrauch von Medien Kindern und Jugendlichen ein tolerantes Miteinander vermittelt. Auslöser waren die schlimmen Ereignisse von Mölln und Solingen, aber auch eine Geschichte, die ich damals in der Zeitung las. Da forderte eine Familie Schadensersatz, weil in ihrem Pauschalurlaub eine Gruppe Behinderter neben ihr gebucht hatte – und bekam vor Gericht recht.
Gartenzwerg-Mentalität Das war so empörend für mich, ich fragte mich, in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben. Inzwischen haben wir eine Stiftung gegründet, sind an vielen Schulen aktiv und arbeiten mit Lehrern und Bildungsinstitutionen zusammen, um die Frage anzustoßen: Wie leben wir eigentlich miteinander? Es ist einfach schön, offen für Neues zu sein. Jugendliche ins kalte Wasser zu werfen, sie auf Ungewohntes treffen zu lassen und dabei zu begleiten, ist wirklich ein Geschenk. Intoleranz kommt ja durch diese »Gartenzwerg-Mentalität«, nicht über den eigenen Tellerrand zu schauen. Deshalb reise ich selbst nach wie vor viel, wenn auch nicht mehr ganz so viel wie früher. Da war ich oft sechs Monate im Jahr unterwegs. Ich würde mich immer noch als Weltbürgerin bezeichnen.
Eigentlich muss man fast sagen, dass ich zweimal in Hamburg gelandet bin. Das erste Mal als Jugendliche mit 16 Jahren. Da kam ich mit meinen Eltern aus dem ehemaligen Jugoslawien. Ich bin in Zagreb geboren, und wenn mich heute jemand fragt, wo ich herkomme, sage ich immer: aus einem Land, das es nicht mehr gibt. Es war nicht einfach, aus Jugoslawien wegzugehen. Mir gefiel es dort als junger Mensch, denn da beginnt man ja gerade, richtige Freundschaften zu schließen. Außerdem war es eine große Enttäuschung für mich, hier im Norden in Hamburg anzukommen, es lag ja nicht einmal richtig am Meer! Das geht übrigens vielen so. Ich besuchte dann zwei Jahre lang die British High School, schließlich konnte ich noch kein Deutsch. Dann folgte das Studium in Hamburg und in den USA, danach meine Arbeit bei der EU-Kommission in Brüssel und in Washington, wo ich auch meinen Mann kennenlernte.
finanzminister Mit meinem Mann ging ich 1982 zunächst nach Bonn, als er Finanzminister wurde, es waren die letzten Jahre der Regierung Helmut Schmidt. Ich wollte damals nicht zurück, nicht aber irgendwelcher Ressentiments gegen Deutschland wegen, sondern ich hatte das Gefühl, es wäre mir alles zu eng. Bonn war zunächst ein Schock für mich. Diese Intrigen um den Fall der Regierung! Und dann waren in dem Sommer auch noch 40 Grad, es gab nirgendwo Air-Conditioning, wie ich es aus Washington kannte. Alles war klein und piefig, da fiel mir die Akklimatisierung wirklich schwer.
Nach Hamburg kamen wir dann vor 22 Jahren über den Umweg Gütersloh zurück, meine zweite Landung sozusagen. Seitdem wohnen wir hier. Ich finde, es ist die schönste Stadt in Deutschland, auch wenn sie oft ein bisschen selbstzufrieden wirkt. Wie sagt man in Israel so schön? »Jerusalem ist die schönste Stadt der Welt, aber Haifa ist die schönste Stadt in Israel.« Man muss sich in Hamburg schon umsehen, um die Stadt zu entdecken. Manchmal suche ich auch heute noch nach der Innenstadt.
Dabei tut sich hier mehr, als man auf den ersten Blick denken würde. Es gibt ein sehr engagiertes Bürgertum und ein Mäzenatentum, nur manchmal möchte man die Stadt ein bisschen durchschütteln. Frankfurt zum Beispiel ist da viel bunter und dichter. Dort gibt es Italiener, Kroaten, Polen und Portugiesen dicht beieinander. Aber ich kann mich eigentlich gar nicht beklagen, denn ich habe hier für meine Aktivitäten immer einen sehr fruchtbaren Boden gefunden.
Zweimal im Jahr bin ich in Israel, denn da treffen sich die Gruppen der beiden Engagements, die ich dort habe. Zum einen an der Universität Haifa, wo ich Vorsitzende des Deutschen Förderkreises bin und als Mitglied im Aufsichtsrat des Stipendienprogramms für »Community Leadership« über die Förderung arabischer und israelischer Studenten entscheide. Das Zweite ist ein Projekt am Israel-Museum in Jerusalem, das sich »Bridging the Gap« nennt. Dort treffen jüdische und palästinensische Schüler aufeinander und arbeiten ein ganzes Jahr an einem gemeinsam von ihnen gewählten Kunstprojekt, das sie am Ende ausstellen. Da geht es um Austausch und darum, Berührungsängste abzubauen. Es ist bewegend zu beobachten, wie die Kinder sich dabei näherkommen.
Ich frage mich manchmal selbst, wo Raum für Freizeit bleibt. Das Übliche eben, man kommt nicht ausreichend zum Lesen, ist eigentlich ständig müde. Aber all die Arbeit ist auch sehr bereichernd. Mich interessieren einfach Menschen. Das ist ganz eigennützig. Natürlich gibt es da auch noch meine Familie, ich habe mich lange um meine pflegebedürftige Mutter gekümmert, die leider vor wenigen Wochen gestorben ist. Das war ein großer Verlust für mich.
familie Ich versuche, so viel Zeit wie möglich mit meinem Mann zu verbringen, denn man wird ja nicht jünger. Gerade hatten wir 30. Hochzeitstag, und wir wollen gemeinsam nach Rom fliegen, da war ich schon lange nicht mehr. Meine 27-jährige Tochter lebte lange in London, wo sie ihre Doktorarbeit geschrieben hat. Jetzt hat sie einen Job in Hamburg, was mich natürlich sehr freut.
Ich hatte schon öfter den Gedanken, ein wenig kürzer zu treten. Mein Blackberry ist ständig präsent und schon eine Art Running Gag bei meinen Freunden und meiner Familie. Aber ich wüsste nicht, was ich aufgeben sollte. Es wäre fast, wie eines seiner eigenen Kinder zu verleugnen. Doch gerade Step21, wo es um Jugendliche geht, soll mehr und mehr in den Schulen verankert werden.
Ich bin mittlerweile 62, auch wenn ich mich nicht so fühle, irgendwann wird der Abstand zur Zielgruppe zu groß. Das gehört dann in andere Hände. Aber es gibt noch so vieles, was mich interessiert. Zur Ruhe kommen ist auch eine Kunst, schließlich sollte man nicht getrieben sein. Aber auf der Suche zu sein und Dinge ändern zu wollen, das war schon immer meins.
Aufgezeichnet von Moritz Piehler