Morgens um 5.30 Uhr beginnt meine erste Runde mit den Hunden. Ich habe einen Pitbull und einen American Staffordshire-Terrier. Ins Geschäft gehe ich dann gegen halb sieben, checke E-Mails, gucke, was zu besorgen ist. Dann komme ich so gegen neun noch mal nach Hause, gehe ein halbes Stündchen mit den Hunden spazieren. Danach bin ich bis abends im Laden und kümmere mich mit meinem Geschäftspartner um alles, was anfällt.
Montags früh gibt es immer sehr viele E-Mails und Faxe zu beantworten. Den Leuten sind übers Wochenende Fragen eingefallen. Jemand möchte ein Catering haben, viele geben Fleisch-Bestellungen auf. Wir verschicken bundesweit mit Spedition. Manchmal fahren wir auch selbst.
Über 80 Prozent ist Versand bei uns. In den vergangenen zehn Jahren hat sich das stark verändert. Die Zahl derer, die koscher essen, hat abgenommen. In der Generation meines Vaters war das noch anders, die haben alle koscher gegessen, das war gar keine Frage. Aber die Kinder sind assimiliert und finden das nicht so wichtig.
Als ich Barmizwa wurde, war ich so stolz. Wenn ich heute Bekannte frage: »Und dein Sohn, kommt der in die Synagoge?«, heißt es: »Ach, der muss ausschlafen, der hat die ganze Woche Schule.« Ich hatte früher auch Schule. Mein Vater hätte mich in die Synagoge geprügelt, wenn ich gesagt hätte, ich bleib im Bett. Mein Vater war sehr fromm. Und es hat mir absolut nicht geschadet, dass ich in die Synagoge ging.
Ein anderes Beispiel ist Pessach. Früher kamen die Leute ins Geschäft, überlegten, wie viel Mazze sie für so und so viel Personen für acht Tage brauchten. Manche nahmen 14 Päckchen mit. Heute kommen welche rein: »Gib mir ein Päckchen. Ich esse nur symbolisch am Seder Mazzen. An den anderen Tagen gibt’s Brot.« Das sagt alles.
Shrimps Die Kundenwünsche ändern sich. Wer hätte vor 20 Jahren gesagt: »Ich möchte gerne Geschnetzeltes oder Rinderrouladen?« Früher gab’s Braten, Gulasch und viel Hähnchen. Heute wollen die Kunden koscher Sushi. Wir haben auch schon koschere Shrimps gehabt, aus Lachs geformt. Solche Verrücktheiten.
Unsere Hauptkunden sind Gemeinden und keine Privatleute. Vergleichbare Geschäfte gibt es in Deutschland nur drei, in München noch und in Berlin. Wir lassen schächten, aber die Wurst machen wir selber. Als mein Vater und mein Onkel mit einem dritten Beteiligten den Laden vor 30 Jahren gründeten, gab es Mazze, Wein und ein paar Kleinigkeiten. An Fleisch war damals noch nicht zu denken. Ich habe nach dem Gymnasium dann Metzger gelernt. Ich will nicht sagen, dass das unbedingt der Traum meines Vaters war. Na ja, dann kam eines zum anderen. Und mit den Jahren wurde die Wurstproduktion immer mehr ausgebaut.
Als wir anfingen, gab es vier Sorten: Rindswurst, Krakauer, Lyoner und Leberwurst. Mittlerweile sind es etwa 20 Sorten und Cold cuts. Fleischwurst, Pastrami, Leberkäse und vieles mehr. Wir mussten den Leuten erst mal erklären, was Leberkäse ist, weil sie dachten, Leber und Käse, fleischig und milchig, das sei nicht koscher.
Dann der Bierschinken. Wir haben Kunden, die nehmen das Wort nicht in den Mund. Sie sagen dann, ich hätte gerne von der schwarzen Wurst, weil die in einem schwarzen Kunstdarm gemacht wird. Das Wort »Schinken« bringen sie nicht über die Lippen.
Oft kommt koschere Wurst aus Frankreich oder Belgien. Wurst, die lila-rot leuchtet, weil da irgendwelche Farbstoffe drin sind. Viele sind begeistert, wenn sie eine Wurst essen können, die mit dem normalen Standard mithält oder sogar noch besser ist. Normalerweise wird das meiste aus Schwein gemacht, bei uns ist alles aus Kalb. Wir haben etliche Kunden, wenn die nach Amerika fliegen, schmuggeln sie Wurst rüber, obwohl man eigentlich keine Lebensmittel mitnehmen darf. Wir haben Messegäste aus Skandinavien. Die stopfen ihr Handgepäck voll bis aufs letzte Gramm mit unserer Wurst. Da kann man doch zufrieden sein!
Chopper Die Woche geht schnell rum. Es bleibt kaum Zeit für die Hobbys, aber so soll es halt sein. Eines davon ist Motorrad fahren. Es macht mir einfach Spaß, herumzusausen, also nicht zu rasen. Ich habe so einen Cruiser, einen Chopper zum gemütlich Fahren. Wenn ich nicht gerade mit meinem zweiten Hobby unterwegs bin, meinen Hunden, nehme ich das Motorrad. Seit meinem 16. Lebensjahr trainiere ich Hunde. Schutzhundprüfung, Fährtenhundprüfung, Hundesport, ich bin in Hundevereinen Mitglied.
Seit drei Jahren bin ich verheiratet. Meine Frau ist aus Georgien und eigentlich Kinderärztin. Als sie rüberkam, hätte sie alle Prüfungen nachmachen müssen. Aber sie konnte die Sprache nicht. Da hat sich das irgendwie zerschlagen. Leider, leider, muss ich sagen. Wer meine Figur betrachtet, sieht, dass meine Frau eine sehr gute Köchin ist. Sie macht hier im Laden viele Sachen. Gefilte Fisch, diverse Salate und Torten. Das sind Riesentorten, Thementorten. Die eine sieht aus wie ein Schiff, mit Wellen drumherum, die andere wie eine Gitarre oder ein Fußballplatz. Meine Frau ist ein Naturtalent. Sie hat das nicht in einer Bäckerei gelernt, sondern bei Nachbarn in Georgien, als sie jung war.
Spass In Frankfurt kann man, wie in jeder Großstadt, alles finden, was man möchte. Wenn Sie Ruhe wollen, gibt es Fleckchen, wo Sie absolute Ruhe haben. Wenn Sie Halligalli haben wollen und Spaß, ist das auch kein Thema. Es gibt hier alles. Und deswegen gefällt mir die Stadt gut.
Ich habe ein Faible für Kurztrips. Ich liebe es, Freitag bis Sonntag irgendwo hinzufahren. Einmal im Monat mache ich das. Letztens war ich in Bad Kissingen. Ich liebe das dort. Ruhe, gute Luft, spazieren gehen, bisschen Konzert. Da ist das koschere Hotel, manchmal nehme ich Speisen mit. Abends gehe ich hin, um Schabbat zu machen.
Sonst gehe ich in Frankfurt mit meinem 93-jährigen Onkel in die Synagoge. Ich hole ihn ab, er kann kaum noch laufen, ist fast blind. Seit diesem Jahr bin ich in der Synagoge einer von drei Gabbaim. Es geht darum, die Augen offen zu halten, ein bisschen Verantwortung zu übernehmen, zu koordinieren und sich zu kümmern.
Ich bin an und für sich jeden Schabbat in der Synagoge. Wenn ich zum Beispiel übers Wochenende in Berlin bin, wo ich gerne hinfahre, mache ich mir ein Späßchen. Aber Samstag früh gehe ich in die Synagoge, das ist gar keine Frage. So viel Zeit muss sein. Wenn ich so viel Zeit habe für Spaß und um rumzuhüpfen in der Gegend, kann ich mir die zwei Stunden schon erlauben, dem lieben Gott zu danken, dass ich den Spaß haben konnte.
In Israel bin ich ein-, zweimal im Jahr, eigentlich zu selten. Und immer nur höchstens fünf Tage. Länger kann ich nicht, wegen meiner Hunde. Ich habe einen Hundesitter, einen Bekannten, der nimmt sich extra Urlaub dafür. Ich wäre gerne öfter in Israel. Ich finde es toll dort. Ich bin sowieso ein Meerfanatiker. Zwar könnte ich auch nach Lanzarote fahren, aber ich fühle mich in Israel, so in jüdischer Umgebung einfach heimisch. Das Essen passt, und die Leute gefallen mir.
Was mir am besten schmeckt, ist schwer zu sagen. Ich esse viele Sachen sehr gerne. Zum Beispiel Kalbsschnitzel und Kartoffelsalat – aber sie müssen selbst gemacht sein! Auch Rinderrouladen mag ich sehr. Ich bin eben ein Fleischfresser. Ich kann zum Frühstück ein Pfund Fleisch essen. Von mir aus bräuchte es keine Marmelade geben.
Aufgezeichnet von Annette Kanis