Mein vergangenes Jahr war geprägt von den Vorbereitungen und der Umsetzung des Dokumentarfilms Schalom und Hallo, der jüdisches Leben und jüdische Geschichte in Deutschland zeigt. Gemeinsam mit der Regisseurin und Autorin Nina Koshofer konnte ich ihn für die ARD realisieren. Die Idee hatten wir schon länger, aber aufgrund von Corona war die Umsetzung nicht einfach. Vorher, Anfang 2021, hatten wir einen kleineren Film machen können über Juden im Kölner Karneval. Danach habe ich dann fast nichts anderes gemacht als diesen Film.
Es war auch eine sehr anstrengende Phase. Der Film hat sehr viele Komplikationen mit sich gebracht, Protagonisten sind uns weggefallen, die Auswirkungen der Pandemie haben uns zurückgeworfen, aber letztendlich hat es sich dann gelohnt. Wir hatten das große Glück, die Schauspielerin Susan Sideropoulos gewinnen zu können, sodass wir den Film als eine Art private Reise anlegen konnten. Susan Sideropoulos ist sehr charmant, bringt es authentisch rüber und gibt dem Film eine eigene Note.
Doku Die Reaktionen waren wirklich hervorragend und haben mich sehr gefreut. Es gibt natürlich auch immer die üblichen Reaktionen von denen, die sich gar nicht die Mühe machen, den Film anzugucken, und offensichtlich antisemitisch reagieren. Aber das war die Ausnahme. Tatsächlich war es sehr herzerwärmend zu sehen, dass ganz viele Menschen, die sonst mit Dokumentarfilmen und mit Judentum nichts zu tun haben, schrieben, dass sie unheimlich viel gelernt hätten und dass sie gerne GEZ zahlen würden für solche Projekte. Es scheint auch wirklich viele gepackt zu haben, das hat die Quote gezeigt.
Ich will uns nicht selbst loben, aber es scheint gut funktioniert zu haben, dass die Menschen mitgenommen worden sind und dass es nicht langweilig war, dass sie wirklich 90 Minuten durchgehalten haben bis zum hoffnungsvollen und hoffnungsfrohen Ende des Films.
Mein Vater ist 1933 als 15-Jähriger aus Deutschland geflüchtet.
Mein Vater ist 1933 als 15-Jähriger aus Deutschland geflüchtet und hat später in Israel gearbeitet und eine Familie gegründet. Ich wuchs auf in einem Landkreis namens Emek-Hefer in einem Dorf unweit des Mittelmeers. Geboren bin ich 1968, das war noch relativ früh nach Gründung des Staates Israel und nach dem Ende der Nazizeit. Schon in den 70er-Jahren hat der Landkreis Emek-Hefer eine Austauschbeziehung mit dem Kreis Siegen in Deutschland beschlossen, das zählte 1973 zu den ersten Austauschbeziehungen zwischen Israel und Deutschland. Mein Vater wurde gefragt, ob er mithelfen möchte. So kam es, dass wir häufiger deutsche Gäste hatten.
GASTGESCHENK Eine prägende Geschichte war, als ich sechs Jahre alt war. Wir hatten Besuch aus Deutschland, und was bringt man einem sechsjährigen Jungen als Gastgeschenk mit? Natürlich ein T-Shirt von der Fußball-WM in Deutschland. Meine Mutter hat sich sehr bedankt, hat dann aber das T-Shirt an sich genommen und erst einmal einen großen Smiley über die Schrift genäht. Für sie war es damals unmöglich, dass ich mit einem T-Shirt, auf dem etwas in deutscher Sprache stand, durch die Straßen laufe. Das ging gar nicht.
Diese Dualität – einerseits nette Menschen, die bei uns zu Gast waren, andererseits die deutsche Sprache und Deutschland an sich als Feindbild – hat mich dann auch noch länger geprägt. Später habe ich selbst mit 16 Jahren an diesem Austausch teilgenommen.
Nach meiner Zeit beim Militär beschloss ich, zum Studium nach Deutschland zu gehen. Ich kannte Siegen, hatte dort Freunde und Unterstützung und kam 1991 dorthin, um Wirtschaft und Politikwissenschaften zu studieren. Einige Jahre später bekam ich die Anfrage von einer Tel Aviver Wochenzeitung, ob ich nicht von Deutschland aus etwas schreiben könnte. Dann ging alles recht schnell, und seit 1996 bin ich Journalist.
SPORT Lange Zeit war ich Sportjournalist. Auch sehr spannend, weil man über den Sport sehr viele menschliche Geschichten erzählen kann. Mit der Zeit hat es sich geändert, dass ich nicht nur für israelische Medien arbeite – seitdem ich mit der deutschen Sprache sicherer bin.
Im ländlichen Sauerland ist es schon etwas Besonderes, dass hier ein Jude lebt, der aus Israel kommt.
Ich war schon kurz davor, nach Israel zurückzukehren, lernte dann aber 1997 meine jetzige Frau kennen. Meine Frau kommt aus dem Ruhrgebiet, hat aber in Siegen auf Lehramt studiert. Kennengelernt haben wir uns wiederum in Israel, und zwar während einer Exkursion der Uni, bei der ich mitgewirkt habe und sie eine Teilnehmerin war. Wir sind dann zusammen nach Deutschland zurückgekehrt und haben unser gemeinsames Leben im Sauerland gegründet.
SAUERLAND Im ländlichen Sauerland ist es schon etwas Besonderes, dass hier ein Jude lebt, der aus Israel kommt. Das Interesse ist da, es gibt immer wieder Fragen. Aber das steht nicht an erster Stelle, vielmehr heißt es: »Lass uns doch erst einmal ein Bier zusammen trinken.« Das ist das Wichtige, wenn man hier mit Nachbarn und Bekannten zusammenarbeitet oder feiert.
Als Mensch brauche ich natürlich auch die Stadt, aber dafür ist Köln ja wirklich sehr nah mit 40 Minuten Entfernung. Kürzlich habe mit leichtem Erschrecken festgestellt, dass ich seit 29 Jahren in Deutschland lebe. Ob ich mich hier zu Hause fühle? Das sind Fragen, mit denen ich mich gerne beschäftige, weil sie Teil von mir sind. Ich fühle mich immer noch als Israeli, ich denke und träume auf Hebräisch, das ist ja meine Muttersprache, mittlerweile wechselt es auch manchmal ins Deutsche. Aber ich bin auch in Deutschland zu Hause.
Es ist sehr interessant festzustellen, dass Heimat nur ein Gefühl ist. Man kommt nach Israel und fühlt sich zu Hause. Ich glaube, das kennen alle Juden. Gleichzeitig habe ich aber auch eine Heimat in Deutschland und bin mit meiner ganzen Art auch eher deutsch. Und hier habe ich durchaus eine besondere Stellung, mit der ich auch sehr viel Verantwortung verbinde. Ich bin hier, um etwas zu erreichen, um dagegen zu kämpfen, dass es Antisemitismus gibt, dagegen, dass die Schoa noch einmal passiert. Das sehe ich so als Lebensauftrag, nachdem mich mein Leben nach Deutschland gebracht hat.
Irgendwie bin ich schon jahrelang hier in Siegen und Umgebung der »Jude vom Dienst«. Wenn mal etwas aus dem Hebräischen zu übersetzen ist, wenn man einen jüdischen Diskussionsteilnehmer oder Redner braucht, werde ich gefragt. Ich spare nicht mit Worten, und ich denke, das schätzt man an mir auch, dass ich ganz klare Kante beziehe.
EHRENAMT Ich war schon immer ehrenamtlich sehr aktiv. Seit meiner Studienzeit gehöre ich dem Vorstand der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Siegen an. Diese Zusammenarbeit hat mich sehr geprägt. Auch in den Filmen mit Nina arbeiten wir ja immer aus nicht-jüdischem und jüdischem Blickwinkel. Das gibt den Sachen immer eine Tiefe und viel mehr Bedeutung, wenn sie aus mindestens zwei Blickwinkeln betrachtet werden. Es macht die Sachen einfach runder.
Nach dem Film über den Karnevalsverein in Köln bin ich jetzt auch diesem Verein beigetreten.
Diese Zusammenarbeit ist das, was ich predige. Als jüdischer Vorsitzender der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit habe ich schon viele Vorträge gehalten, viele Aktionen mitorganisiert. Wir sind zwar in einem Provinznest, aber wir sind trotzdem eine der aktivsten Gesellschaften, die es in Deutschland gibt.
Bei dem guten Essen, das das Judentum anbietet, muss man immer darauf achten, dass man auch genug Sport treibt und sich bewegt, das versuche ich. Jahrelang war ich auch Volleyballtrainer im Verein meiner Tochter. Lesen und neue Sachen lernen, das ist schon sehr wichtig für mich. Momentan habe ich Glück, dass vieles auch durch die Arbeit abgedeckt wird. Da lese ich sehr gerne viel und treffe Menschen, das ist mir auch immer sehr wichtig.
Nach dem Film über den Karnevalsverein in Köln bin ich jetzt auch diesem Verein beigetreten. Es hat sehr lange gedauert, bis ich verstanden habe, was Vereine für das Leben in Deutschland bedeuten – und jetzt bin ich selbst plötzlich in fünf oder sechs Vereinen.
ESSEN Meine Freunde und Nachbarn kennen mich vor allem als einen, der gern gut isst und trinkt und genießt. Also Kochen und Weinproben und solche Sachen, das war natürlich in letzter Zeit etwas weniger, aber wir pflegen auch als Familie das gute Essen und das gute Trinken. Wenn ich das nicht erwähne, dann bin ich das nicht.
Meine journalistische Arbeit hat sich bereits seit einigen Jahren in die Richtung entwickelt, dass ich mehr zum Judentum und zu jüdischer Geschichte mache. Nach dem aktuellen Film habe ich erwartet, in ein Loch zu fallen, aber das war zum Glück nicht der Fall. Es gibt weitere Ideen für Fernsehprojekte, und gerade arbeite ich an einem Radiobeitrag. Dann ist da auch noch die ehrenamtliche Arbeit, die weitergeht und die viel Einsatz fordert.
Aufgezeichnet von Annette Kanis