Das Messer hat es, die Gabel hat es, und auch der kleine Teelöffel hat es: das markante große »N« auf dem Griff. Der in das Silberbesteck eingravierte Buchstabe steht für »Café Nagler«, eines der vielen jüdischen Kaffeehäuser, die in den 20er-Jahren den Kreuzberger Moritzplatz umgaben. Mor Kaplansky hat das von ihrer Großmutter wohlbehütete Geschirr und Besteck eigens für die Berlinale-Veranstaltung aus Israel mitgebracht. Auf ihm soll laut Familienlegende früher Apfelstrudel im »Café Nagler« serviert worden sein, das Kaplansky in ihrem Dokumentarfilm verewigt hat.
Die Regisseurin war zusammen mit ihrem Mann und ihrer Tochter nach Berlin gereist, um im Salon am Moritzplatz ihren 2015 erschienenen Dokumentarfilm Café Nagler im Rahmen der diesjährigen Berlinale vorzuführen und anschließend mit den Zuschauern ins Gespräch zu kommen – über das Café, die Familiengeschichte und das Filmemachen.
löffel »In meiner Familie waren die Geschichten über das Berliner Café der Naglers, unserer Vorfahren, immer derartig präsent, dass ich gar nicht anders konnte, als einen Film über das vermeintlich legendäre Kaffeehaus zu drehen«, erklärt die Israelin ihre Motivation für das Filmprojekt, an dem sie drei Jahre lang gearbeitet und für das sie mehrere internationale Auszeichnungen gewonnen hat.
Es war nicht das erste Mal, dass die 37-Jährige ihr filmisches Familienporträt in den Räumen des »Salons am Moritzplatz«, unweit des historischen Standorts des einstigen Café Nagler, zeigte. Das öffentliche Interesse an dem Stück Berliner jüdischer Geschichte war dennoch groß: Die Veranstaltung war schnell ausverkauft. Wer zu spät kam, musste vor der Leinwand auf dem Boden Platz nehmen.
Die Besucher staunten an diesem Abend nicht schlecht, als Kaplansky nach der Filmvorführung das Originalbesteck der Naglers aus der Tasche holte – authentische Beweisstücke einer rätselhaften Welt. Denn abgesehen von ein paar alten Fotos und Grundbucheinträgen sind die Messer, Gabeln und Löffel der einzige Beleg dafür, dass es das Café am Moritzplatz tatsächlich gegeben hat.
spurensuche Dort, wo das dreistöckige Kaffeehaus einst stand, erstreckt sich heute ein unscheinbarer Park – von Hinweisen auf das frühere Café keine Spur. Auch Historiker zucken bei dem Namen geflissentlich mit den Schultern. Das Kaffeehaus, in den Erinnerungen der Kaplanskys als eine »der« großen Institutionen im Berlin der »Goldenen Zwanziger« schlechthin verankert, ist heute gänzlich vergessen. Diese bittere Erfahrung musste die israelische Filmemacherin bei ihrer Spurensuche in Berlin machen.
Was ursprünglich als historische Dokumentation angelegt war, entwickelte sich schließlich während der Recherchen zu einer überaus persönlichen deutsch-israelischen Geschichte und zu einer kreativen Hommage an ein Kaffeehaus und seine bewegte Zeit. »Man kann gar nicht glauben, dass hier am Moritzplatz ein so großes Café stand, das heute keiner mehr kennt. Das war ja ein zweites Café Kranzler. Wahnsinn!«, so eine Reaktion aus dem Publikum nach der Filmvorführung.
Regisseurin Kaplansky wollte dem Café Nagler ein filmisches Denkmal setzen und damit an ihre eigene Familiengeschichte erinnern. Immerhin war es ihre Großmutter Naomi, die als ehemalige Dokumentarfilmerin ihre Enkelin immer wieder dazu angespornt hatte, einen Film über das Café zu drehen. »Der große Applaus am Ende der Berlin-Premiere im vergangenen Jahr war für meine Oma ein überaus bewegender Moment. Es war, als hätte die Stadt damit ihrem Café Nagler den Platz in der Geschichte zurückgegeben, der ihm gebührt«, sagt Mor Kaplansky.
ausstellung Naomi Kaplansky ist 2016 gestorben. Am vergangenen Sonntag wäre sie 89 Jahre alt geworden. Dass der Film eine Auseinandersetzung mit der bunten Kaffeehaus- und Amüsierszene im Kreuzberg der 20er-Jahre angestoßen hat, habe ihre Großmutter sehr gefreut, berichtet die Enkelin.
Angeregt durch den Film, plant der Salon am Moritzplatz, im Sommer eine Ausstellung zum Kiez als bislang wenig bekanntes Zentrum des Amüsementbetriebs im Berlin der Goldenen Zwanziger Jahre zu eröffnen. Die geplante Schau mit dem Titel »Tam Tam – Amüsement am Moritzplatz« will sich dokumentarisch und künstlerisch insbesondere auf die Spuren jüdischer Amüsierbetriebe im Bezirk begeben.
Das Silberbesteck mit dem eingravierten »N« auf dem Griff wird auf jeden Fall einen Ehrenplatz in der Ausstellung bekommen.