Berlin

Hommage an jiddische Broadway-Komponisten

Was soll man machen, wenn beide Großväter Komponisten sind? »Ihre Musik hatte einen großen Einfluss auf mich«, sagt Michael Alexander Willens. Seine Vorfahren stammten zwar aus Russland und Polen, waren aber lange vor seiner Geburt in die USA ausgewandert. »Ihr ganzes Leben war dem jiddischen Theater in Lower Manhattan gewidmet«, meint der Dirigent.

Alexander Olshanetsky (1892–1946), Willensʼ Großvater, war Komponist, Dirigent und Violinist. Von Mitte der 1920er-Jahre bis zu seinem Tod prägte er die jiddische Theaterszene in New York City. Einige Jahre nach seinem Tod heiratete seine Frau Bella Mysell, Willensʼ Großmutter, Primadonna und Star des jiddischen Theaters, erneut – und zwar den Sänger, Komponisten, Dichter, Dramatiker, Regisseur und Produzenten Herman Yablokoff (1903–1981). Laut seinem Stiefenkel Willens auch er einer der größten Stars des jiddischen Theaters. »Beide, Yablokoff und Olshanetsky, waren Songschreiber und zu ihrer Zeit so erfolgreich wie Andrew Lloyd Webber und Stephen Sondheim heute«, so Willens.

Sie haben Musik für viele jiddische Theatermusicals geschrieben, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in New York ihre Blütezeit hatten. Zwei ihrer berühmtesten Lieder, »Papirossen« und »Mein Shtetele Belz«, wurden in 26 Sprachen übersetzt und werden noch heute in der ganzen Welt aufgeführt. Diese und viele andere Lieder werden auch regelmäßig von Klezmer-Bands gespielt und wurden in zahlreichen Filmen und Fernsehsendungen verwendet.

Jiddische »Perlen« aus der Feder seiner Großväter sollen erklingen

»Allerdings werden sie nur selten in der Version aufgeführt, für die sie konzipiert wurden, nämlich mit einer Showband im Broadway-Stil«, sagt Willens. Doch genau diese Version möchte der Dirigent nun auf die Bühne bringen, und zwar bei den »Internationalen Tagen Jüdischer Musik und Kultur«, die Ende November in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen stattfinden. Das Motto lautet: »Er ist wie Du«, in Anlehnung an ein entsprechendes hebräisches Gebot.

Bei dem Konzert sollen weitere jiddische »Perlen« aus der Feder seiner Großväter aufgeführt und von Roman Grinberg und Sasha Lurje gesungen werden, zwei »international gefeierte Sänger dieses Repertoires«, wie Willens sagt. Sie werden von einer 13-köpfigen professionellen Big Band mit Streichern begleitet, so wie diese Musik auch ursprünglich aufgeführt wurde. Michael Alexander Willens wird dirigieren.

An diesem Novembermorgen sitzt Willens an seinem Schreibtisch in Köln und studiert die Partituren für das Konzert. »Ich verbringe die meiste Zeit entweder mit dem Studium oder der Erforschung von Musik und dem Schreiben von Förderanträgen, um meine Projekte und Aufnahmen zu unterstützen«, sagt Willens. Zusätzlich zu diesem Konzert plant er weitere Veranstaltungen mit jiddischer Musik für Pessach und Chanukka.

Auch ein spezielles Programm mit der Musik von Ferdinand Hiller, einer der wichtigsten Persönlichkeiten der jüdischen klassischen Musik in Europa im 19. Jahrhundert, dessen Werk größtenteils in Vergessenheit geraten ist, steht auf der Agenda. »Ich hoffe auch, ›Saul und Rebecca‹, zwei von Hillers Oratorien, die auf biblischen Geschichten basieren, aufnehmen zu können«.

Willens verbringt viel Zeit mit der Erforschung von Musik und dem Schreiben von Förderanträgen

Als Kind spielte er Geige und Klavier. Als er 16 Jahre alt war und sich für alle Arten von Musik interessierte, beschloss er, Musiker zu werden, und entschied sich für den Kontrabass, weil »jedes Ensemble, sei es Klassik, Jazz, Pop oder was auch immer, einen Bassisten braucht«, sagt er.

»Nachdem ich diese Entscheidung getroffen hatte, übte ich mit so viel Leidenschaft, dass ich tatsächlich an der Juilliard School in New York angenommen wurde. Die Stadt, in der man Musik »nicht nur in der Schule, sondern auch in Jazzklubs und in der Carnegie Hall studieren kann«, sagt Willens mit einem Grinsen. Während seiner Zeit in Juilliard spielte er einige Male als Mitglied eines Orchesters, das von Leonard Bernstein dirigiert wurde. »Wir haben manchmal ein paar private Worte gewechselt, und heute finde ich es schade, dass ich die Gelegenheit nicht genutzt habe, mehr mit ihm zu reden.«

In dieser Zeit in New York wurde Willensʼ Interesse für das Dirigieren immer stärker – und der Kontrabass rückte immer mehr in den Hintergrund. Als Willens die Möglichkeit hat, an einem Sommerkurs für Dirigieren im Musikmekka Tanglewood teilzunehmen, macht es ihn sehr glücklich.

Seine Vision, ein eigenes Orchester zu gründen, wurde immer stärker.

Als Dirigent in den USA seinen Lebensunterhalt zu verdienen, erwies sich jedoch schwieriger als gedacht. Willens’ Vision, ein eigenes Orchester zu gründen, wurde immer stärker. Es wurde ihm klar, dass dies in den USA nicht realisierbar war. »Deshalb bin ich nach Deutschland gezogen‹‹, sagt Michael Alexander Willens.

So konnte er seiner Vision folgen und gründete das Orchester »Kölner Akademie« – dank der Unterstützung vieler Freunde und Musiker. »Sie teilen meine Idee, unbekannte Werke zu entdecken, zu interpretieren und auf historischen Instrumenten aufzuführen.« Bis heute haben der Dirigent und sein Orchester mehr als 80 Alben mit Musik von weniger bekannten Komponisten sowie Standardwerken aus dem Barock, der Klassik und der Romantik veröffentlicht und in Konzertsälen auf der ganzen Welt gespielt.

Die Internationalen Tage Jüdischer Musik und Kultur starten am 25. November. In einer Zeit, in der die Welt mehr denn je intensiven kulturellen Austausch und gegenseitiges Verständnis benötige und Antisemitismus zunehme, setze man auf die verbindende Kraft der Musik, teilten die Organisatoren mit. Die Veranstaltungsreihe beginnt in Röbel an der Mecklenburgischen Seenplatte mit einem kostenlosen Workshop-Konzert. Jugendliche würden auf eine Zeitreise zur traditionellen jüdischen Musik vom 17. bis ins 20. Jahrhundert und zum Erlernen und Mitsingen eingeladen.

In Görlitz werden Stücke von Komponisten aufgeführt, von denen viele ins Exil gingen

Am selben Abend ist in Berlin das Eröffnungskonzert mit dem Ensemble Sistanagila, das israelische und iranische Musik verbindet, im Kammermusiksalon Prinzenallee geplant. Am Folgetag gibt es in Mecklenburg-Vorpommern in Stavenhagen in der dortigen Synagoge ein kostenloses Konzert zum Mitsingen und in Heringsdorf auf Usedom das Konzert eines Klezmer-Trios.

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Michael Alexander Willens und seine Big Band geben ihr Konzert am 27. November im Gemeindehaus der Jüdischen Gemeinde. Die Reihe endet mit einem Konzert am 28. November in Görlitz im Kulturforum Neue Synagoge mit einer Auswahl an Musik von renommierten Komponisten jüdischer Abstammung, von denen viele ins Exil gezwungen wurden. Die Internationalen Tage Jüdischer Musik stehen unter der Schirmherrschaft von Josef Schuster, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Intendant Thomas Hummel betonte, »Musik kann ein Mittel zum Dialog sein. Sie hat die einzigartige Fähigkeit, Brücken zu bauen und Menschen zusammenzubringen. Sie spricht eine universelle Sprache, die über kulturelle, religiöse und politische Grenzen hinweg verstanden wird«. Hauptsponsor ist der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein.

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