Die Bilder waren bedrückend: Als die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern im Rahmen des Gedenkkonzerts für Kantor Emanuel Kirschner Anfang Juni an den Abriss der alten Hauptsynagoge vor 85 Jahren erinnerte, wurde auch ein Film aus dem Juni 1938 gezeigt, der das Zerstörungswerk für die Nachwelt festhielt. Mit Sprengungen und roher Gewalt war die prachtvolle Synagoge damals eingeebnet worden. Wohl keiner der Zuschauer konnte sich in diesem Moment vorstellen, dass kurz darauf Bruchstücke derselben Synagoge buchstäblich wieder auftauchen würden.
Die Präsidentin der Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch, erhielt die unglaubliche Nachricht Ende Juni in einem Telefonanruf vom Münchner Kulturreferenten Anton Biebl. Bei Bauarbeiten am Isarwehr der Großhesseloher Brücke seien Arbeiter auf Steinblöcke mit hebräischer Inschrift gestoßen, Experten hätten diese dann der alten Hauptsynagoge zugeordnet.
symbol Knobloch war überwältigt: »Die alte Hauptsynagoge war ein Symbol für das Münchner Judentum und die Kultusgemeinde vor der NS-Zeit. Als der Kulturreferent mir mitteilte, dass offenbar Fragmente des Gebäudes nach all dieser Zeit erhalten geblieben sind, konnte ich das gar nicht glauben.«
Für Charlotte Knobloch hat der Fund auch eine persönliche Bedeutung.
Für Charlotte Knobloch hat der Fund auch eine persönliche Bedeutung, gehört sie doch zu den wenigen Gemeindemitgliedern, die die alte Hauptsynagoge noch mit eigenen Augen gesehen hatte: »Mein gottseliger Vater und meine Großmutter haben mich als kleines Mädchen immer wieder dorthin mitgenommen. Das riesige Bauwerk hat auf mich als Kind einen enormen Eindruck gemacht. Ich war meist bei meiner Großmutter auf der Empore, durfte aber ab und zu nach unten zu den Männern.«
Knobloch war fünf Jahre alt, als die Gemeinde im Juni 1938 unvermittelt den Bescheid über den unmittelbar bevorstehenden Abriss des Gebäudes erhielt, wohl auf direktes Geheiß Hitlers. Nach einem ergreifenden letzten Gottesdienst begann das Zerstörungswerk, das nach wenigen Wochen abgeschlossen war. Dort, wo die Synagoge ein halbes Jahrhundert lang das Münchner Stadtbild mit geprägt hatte, parkten nun Autos.
abriss Nach Bekanntwerden der Funde dauerte es nicht lange, bis geklärt war, auf welchem Weg die Bruchstücke der Synagoge wohl in die Isar bei Großhesselohe gelangt waren. Die Firma Leonhard Moll, 1938 mit dem Abbruch der Synagoge beauftragt, hatte deren Überreste über Jahrzehnte auf dem eigenen Firmengelände gelagert.
Als in den 50er-Jahren Reparaturarbeiten am Großhesseloher Isarwehr nötig wurden und Moll den Zuschlag erhielt, verwendete die Firma hierfür Schutt aus eigenen Beständen – unter anderem auch vom Abriss der Hauptsynagoge. Dieses Vorgehen erkläre zwar den jetzigen Sensationsfund, sei für die Gemeinde aber auch besonders schockierend, wie Charlotte Knobloch betonte: »Es macht mich wirklich sprachlos, dass selbst nach Ende der NS-Zeit noch derart respektlos mit den Überresten unserer Synagoge umgegangen wurde. Dass die Steine damals einfach in die Isar gekippt wurden, ist schwer zu ertragen.«
Über das weitere Vorgehen stehen IKG und Landeshauptstadt in engem Austausch. Die sichergestellten Fundstücke, insgesamt an die 150 Tonnen Material, wurden inzwischen von der Baustelle an der Isar abtransportiert. Ein erster gemeinsamer Ortstermin führte die IKG-Präsidentin, Oberbürgermeister Dieter Reiter und Kulturreferent Biebl Ende vergangener Woche an den Fundort am Isarwehr sowie zu einem städtischem Gelände, auf dem die geborgenen Fragmente eingelagert sind.
Über das weitere Vorgehen stehen IKG und Stadt in engem Austausch.
Während die Funde zunächst weiter untersucht werden sollen, konnte ein einzelnes, besonders gut erhaltenes Fragment bereits an die Kultusgemeinde zurückgegeben werden. Der mehrere Hundert Kilogramm schwere Rundgiebel, der die Gesetzestafeln mit den zehn Geboten darstellt, befand sich einst direkt über dem Aron Hakodesch und konnte anhand alter Fotografien eindeutig zugeordnet werden.
fragmente Auch für die Zeit nach Abschluss der Untersuchungen hat Charlotte Knobloch bereits eine Vorstellung, was mit den Fundstücken geschehen könnte. »Ich halte es für notwendig, dass diese Fragmente in der einen oder anderen Form der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die alte Hauptsynagoge war schließlich nicht nur das schlagende Herz unserer Kultusgemeinde, sondern auch ein Stück des alten München.« Ihre Bruchstücke seien nicht nur ein Teil der jüdischen Geschichte Münchens, sondern auch der allgemeinen Stadtgeschichte. Die umfassende Medienberichterstattung – sogar aus dem Ausland – belege das große Interesse.
Noch nicht geklärt ist, wie umfangreich der Fund letztlich ausfällt. In einem zweiten Baufeld am Isarwehr haben die Arbeiten noch gar nicht begonnen. Denkbar ist, dass dort weitere Schätze aus der jüdischen Geschichte gehoben werden könnten.