Elena Bashkirova bringt es auf den Punkt: »Zwischen 10.000 und 12.000 Israelis leben in Berlin. Und täglich werden es mehr. Rund die Hälfte davon sind Musiker – zumindest gefühlt«, erklärt die Chefin des »Intonations«-Festivals mit russischem Akzent. »Was früher New York war, ist heute Berlin – ein Magnet für klassische Musiker aus aller Welt.
Und vor allem aus Israel.« Elena Bashkirovas sechstägiges Kammermusik-Festival findet noch bis Sonntag erstmals im Jüdischen Museum in Berlin statt. In Jerusalem, wo sie dieses Festival seit nunmehr 15 Jahren leitet, ist die Veranstaltung eine feste Institution des kulturellen Lebens geworden. Und so soll es auch in Berlin werden, denn die deutsche Hauptstadt, so reich sie auch an musikalischen Highlights ist, hat bislang noch kein Kammermusikfestival.
Violine Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Berliner Version des »Jerusalem International Chamber Music Festival« ein Erfolg wird. Dafür sorgt schon eine Reihe von Weltstars, die im Glashof des Libeskind-Baus auftreten, darunter die Pianistin Hélène Grimaud oder der Pianist und Dirigent Daniel Barenboim, der zugleich Elena Bashkirovas Ehemann ist. Und um die renommierte, in Berlin lebende Klassik-Familie zu komplettieren, wird auch noch einer der beiden Barenboim-Söhne auftreten, der Geiger Michael Barenboim.
Neben den Genannten ist das Festival gespickt mit jungen israelischen Klassikinterpreten, die in Berlin leben. Die erste Adresse in Berlin und vielleicht weltweit, um als klassischer Musiker zu arbeiten, sind die Berliner Philharmoniker. Dort sind nicht nur der Geiger Guy Braunstein oder der Bratschist Amichai Grosz angestellt, sondern auch der Fagott-Spieler Mor Biron. Deshalb scheint sich die Frage beinahe zu erübrigen, warum seine Wahl ausgerechnet auf Berlin fiel.
Studium Doch der Grund ist ein anderer: »Nach Berlin bin ich zum Studium gekommen. An der Hochschule für Musik Hanns Eisler habe ich bei Klaus Thunemann und Volker Tessmann gelernt.« Noch während des Studiums hat Mor Biron die Stelle an der Akademie der Berliner Philharmoniker bekommen. »Eine reichere Studienzeit hätte ich mir nicht wünschen können«, sagt der Musiker.
Doch auch die anderen jungen Israelis des »Intonations«-Festivals, die nicht bei einem der übrigen renommierten Orchester oder bei Opern der Stadt fest angestellt sind, finden in Berlin anscheinend bessere Bedingungen als in ihrer Heimat vor. Dazu zählt auch der junge Pianist Saleem Abboud Ashkar. In Jerusalem, wo er aufgewachsen ist, hat seine Karriere vor zehn Jahren, in Daniel Barenboims West-Eastern Divan Orchestra begonnen.
Der Auftritt war auch Abboud Ashkars Eintrittskarte zum Kammermusikfestival: »Damals war Jerusalem eine Stadt voller Kultur. Doch das hat sich geändert. Inzwischen drängen sich dort eher religiös-politische Aspekte in den Vordergrund«, formuliert der Pianist in aller Vorsicht. Deshalb sei das Festival eine Art Oase, in die er jedes Jahr gerne zurückkehrt. Und dass es nun ausgerechnet in Berlin stattfinde, jener Stadt, in der er mit seiner deutschen Frau und seinen beiden Töchtern lebt, das sei natürlich mehr als praktisch für ihn.
Denn nach seinem Studium in London ist ihm eines klar geworden: »Meine musikalische Erziehung verlangt es, nach Deutschland, nach Berlin zu kommen. Musik hat hierzulande noch eine andere, eine existenziellere Funktion als in Ländern wie Israel.«
Hochschule Als praktisch würde auch Shirley Brill ihre Teilnahme beim Berliner Kammermusikfestival bezeichnen, denn die Klarinettistin hat es nicht weit ins jüdische Museum. Shirley Brill arbeitet und lebt in Berlin, gemeinsam mit ihrem Mann Jonathan Aner, mit dem sie das Duo Brillaner gegründet hat. Beide sind festangestellt an der Hochschule für Musik Hanns Eisler.
Auch Brill kam über den Umweg des West-Eastern Divan Orchestra zum Kammermusikfestival in Jerusalem. Als die Klarinettistin das Orchester bei der Preisverleihung des Westfälischen Friedenspreises 2010 repräsentierte, wurde sie erstmals von Elena Bashkirova in Mozarts »Klarinetten-Quintett« gehört – und daraufhin engagiert.
Obwohl Brill zwischenzeitlich in den USA studiert hatte, war ihre Entscheidung klar, nach Berlin zu ziehen. »Es gab verschiedene Optionen, aber ich dachte, Berlin sei die attraktivste. Ich hatte viele Freunde, die schon hier lebten. Und ich liebe die kreative Athmosphäre und das kulturelle Erbe dieser Stadt.«
Kinder Familiäre Bindungen spielen auch bei Ori Kam eine Rolle, denn seine Schwester, die Klarinettistin Sharon Kam, lebt mit ihrem Mann und den drei Kindern ebenfalls in Deutschland. Der Bratschist Ori Kam kam 2002 aus New York nach Berlin, weil er eine Anstellung bei den Philharmonikern hatte, doch Gründe für seine Wahl nennt er noch weitere: »Es gibt hier eine Menge an Kunstförderung, was Berlin in Kombination mit den extrem niedrigen Lebenshaltungskosten zu einem sehr aufregenden Ort für junge Künstler macht.«
Diesen Hype, der klassische Musiker aus aller Welt nach Berlin lockt, fasst der Mandolinespieler und Grammygewinner Avi Avital zusammen: »Hier geht im Moment die geilste Party ab. Und davon wollte ich ein Teil sein.« Und wie der klingt, das kann man sich beim »Intonations«-Festival anhören.
»Intonations«-Festival bis zum Sonntag, 29. April, im Jüdischen Museum Berlin