Zwischen 193 und 207 Länder gibt es auf der Welt – und ich möchte so viele wie möglich kennenlernen. Derzeit studiere ich in Salamanca, einer Stadt in Spanien. Mein Ziel ist der Master in European Languages, Cultures and Societies in Contact. Das ist ein relativ neuer Studiengang. Mehrere europäische Universitäten haben eine Allianz gebildet, denn zur Ausbildung gehört, dass man jedes Semester in einem anderen Land studiert. Voraussetzung ist, die jeweilige Landessprache zu beherrschen.
Die Sprache und Kultur eines anderen Landes lernt man am besten vor Ort. Ich wollte und möchte immer wieder meine Komfortzone verlassen und die Möglichkeit nutzen, Neues zu erleben, um daran zu wachsen. Ab Herbst werde ich in Finnland sein, sechs Monate später in Portugal. Für Finnland reicht Englisch. Aber auf Portugiesisch freue ich mich schon, denn der Klang der Sprache gefällt mir sehr. In meinen letzten Semestern hatte ich auch die Möglichkeit, die aramäische und die persische Sprache mitsamt ihren Alphabeten kennenzulernen.
In welcher Sprache ich träume, kann ich nicht sagen, denn derzeit umgibt mich den ganzen Tag Spanisch. Aber ich kann auch von einem Moment zum anderen in eine andere Sprache wechseln. Aufgewachsen bin ich mit Russisch, dann kam Deutsch, in der Schule Englisch und an der Uni Spanisch dazu. Ein bisschen Hebräisch habe ich auch gelernt.
In welcher Sprache ich träume, kann ich nicht sagen. Derzeit umgibt mich Spanisch.
Mein jüngerer Bruder und ich sind in Chemnitz geboren, aber unsere Eltern kommen aus Moldawien. Sie sind froh, dass wir die Möglichkeit haben, die Welt zu sehen, aber freuen sich natürlich auch, wenn wir mal alle zu Hause sind. Da ich letztendlich zweisprachig aufgewachsen bin, wurde es mir in die Wiege gelegt, rasch neue Sprachen zu erfassen. So zog ich nach meinem Abitur fürs Studium nach Mannheim. Dort habe ich Kultur und Wirtschaft mit den Schwerpunkten Hispanistik und Betriebswirtschaftslehre studiert.
Im Kindergarten konnte ich noch kein Wort Deutsch
Als ich drei war und in den Kindergarten kam, konnte ich noch kein Wort Deutsch. Für mich war es in der ersten Zeit schwierig, zurechtzukommen. Ich erinnere mich, dass mich meine Eltern in die Kita brachten und ich geweint habe, weil ich nicht dableiben wollte. Aber das änderte sich rasch.
Jahre später haben mich meine Eltern mit in die Gemeinde genommen. Sie meinten, ich solle es mir erst einmal anschauen und könne, wenn es mir gefällt, weiter dort hingehen. Dass ich die jüdische Kultur besser kennenlerne, war für sie wichtig. Weil ich mit zwölf Jahren relativ spät dran war, habe ich gleich damit angefangen, für meine Batmizwa zu lernen.
Es war der Anfang, in unser Elternhaus die Tradition zurückzubringen, die in unserer Familie vor langer Zeit bestanden hatte, aber verloren gegangen war, weil es in der Sowjetunion nicht so einfach war, jüdisch zu leben. Durch das Wissen über die jüdische Religion und Kultur, die ich im Religionsunterricht oder auf den Machanot erworben habe, konnten wir anfangen, neue Traditionen für uns zu entwickeln und auch zu Hause die Feiertage, die wir früher nicht begangen haben, zu feiern.
Das Judentum begleitete mich und wurde zu einem festen Teil meiner Identität. Angefangen hat es damit, dass ich als Chanicha ins Jugendzentrum ging. Später machte ich eine Ausbildung zur Madricha und wurde schließlich Leiterin. Als ich in Mannheim anfing zu studieren, habe ich auch dort den Weg in die Gemeinde gesucht. Ich finde es toll, dass man überall auf der Welt in den jüdischen Communitys Anschluss finden kann und sich willkommen fühlt.
Nach meinem Bachelorabschluss ging ich nach Chemnitz zurück
Nach meinem Bachelorabschluss ging ich wieder nach Chemnitz zurück und übernahm dort die Leitung des Jugendzentrums der Gemeinde. Ich begann als Sales Managerin bei einem Dresdner Start-up zu arbeiten, das mit dem Ziel gegründet wurde, »digitale Bildung in Deutschland voranzubringen«. Schwerpunkt des Unternehmens ist es, an Schulen Bildungsgerechtigkeit zu ermöglichen.
Leider haben wir einen Lehrermangel in Deutschland, der Unterricht fällt häufig aus, und Pädagogen sind überlastet. Dazu war ich in Kontakt mit Schulleitungen und schaute mir an, welche Herausforderungen es an den Schulen gibt und wie wir sie unterstützen können. Jeder Schüler sollte die Möglichkeit bekommen, zusätzliche Förderung zu erhalten, unabhängig vom Einkommen der Eltern. Während meines ersten Semesters im Masterstudiengang habe ich nebenher dort weitergearbeitet.
Bei der Auswahl meines Studienfachs habe ich mich nicht gefragt, was ich eines Tages beruflich machen werde, sondern worauf ich Lust habe, mit welchen Inhalten ich mich beschäftigen möchte. Egal, was man studiert, es zählt die Leidenschaft. Und ich bin auch nicht der Typ, der von einem Job fürs ganze Leben träumt. Mit dem Master stehen mir alle Türen offen, etwa bei internationalen Firmen und Organisationen zu arbeiten.
Über Facebook fand ich ein Zimmer in einer Zweier-WG. Nun lebe ich im Zentrum der schönen Altstadt von Salamanca. Es ist eine alte, ehrwürdige Uni. Ich finde es super, hier alles zu Fuß erledigen zu können, die Stadt ist überschaubar. Als ich ankam, kannte ich niemanden, und es brauchte etwas Zeit, um mich wieder in die Sprache hineinzudenken. Das hat sich aber schnell geändert, da es viele Veranstaltungen für Studenten gibt und im Uni-Alltag alles auf Spanisch läuft.
Während meines Bachelorstudiums war ich bereits ein Semester in Málaga. Dort gibt es eine kleine jüdische Community, allerdings war dort kaum jemand in meinem Alter. Im Gegensatz zu Salamanca gibt es in Madrid eine aktive jüdische Community. Zum Abschluss von Pessach habe ich mit jungen Menschen das Mimouna-Fest gefeiert.
Die Wochenenden nutze ich, um zu reisen
Mit meinen Kommilitonen, Studenten aus der ganzen Welt, bin ich rasch in Kontakt gekommen. Mehrmals in der Woche gibt es abends Events. Die Wochenenden nutze ich, um zu reisen. Ich war im Baskenland, in Galizien und bin mit vielen Eindrücken zurückgekommen. Mein Studienalltag ist gut gefüllt mit Veranstaltungen wie Sprachcafés, Konzerten, Tanzkursen, aber auch mit Lernen in der Bibliothek. Es wäre traurig, im Ausland den Tag in den eigenen vier Wänden zu verbringen.
Aber ich bin ebenfalls oft in Deutschland, was neben meinem Zuhause in Chemnitz auch an meinen weiteren Aktivitäten wie myJcon und den J-Fashion-Workshops liegt.
»J« steht für Jewish, und das »con« bezieht sich auf unsere Mission. Das sind die drei »cons«: Zum einen ist das »connection«. Der Hintergrund ist, dass wir mit dem, was wir tun, Menschen vernetzen. Das zweite »con« steht für »conversation«, was bedeutet, dass wir einen Raum schaffen, wo man sich austauschen kann. Das dritte »con« steht für »confidence«, weil wir Menschen empowern, ihre Identität mit Stolz zu leben, ohne sich zu verstecken.
Inspiration zu einem jüdischen Thema
Im ersten Schritt der J-Fashion-Workshops wird eine Inspiration zu einem jüdischen Thema gegeben. Im zweiten Teil entwickeln die Teilnehmer konkrete Ideen für ein Design, das ihre kulturelle Identität widerspiegelt und das sie in ihren Alltag integrieren können, wenn es zum Beispiel auf ein T-Shirt oder eine Tasche aufgebracht wird.
Es geht dabei nicht darum, ein offensichtlich jüdisches Symbol wie einen Davidstern zu verwenden. Die Designs, die wir kreieren, sind meistens erst auf den zweiten Blick als jüdisch zu erkennen. Juden verstehen, was damit gemeint ist, und sprechen die Person vielleicht darauf an, beginnen ein Gespräch und fragen, was es damit auf sich hat. Und man selbst ist sich dessen bewusst, dass man etwas trägt, was einen jüdischen Hintergrund hat und die Botschaft nach außen tragen kann. Die Workshops sind so gestaltet, dass sie sich unterschiedlichen Altersgruppen anpassen lassen.
Ich bin mit all diesen jüdischen Themen aufgewachsen, dementsprechend ist es ein wichtiger Teil meines Lebens und meiner Identität, und ich investiere gern meine Zeit dafür. Zudem fühle ich mich verpflichtet, etwas an die jüdische Gemeinschaft zurückzugeben: die Werte, Traditionen und die Geschichte unserer Vorfahren, die überlebt haben. Es zu schaffen, dass wir als Gemeinschaft weiterbestehen können und sichtbar sind. Und dass wir uns nicht verstecken müssen, sondern dafür einstehen, wer wir sind und stolz darauf sein können.
Aufgezeichnet von Christine Schmitt