Wie die meisten Mitglieder ihrer Gemeinde hat auch Anna Segal, Geschäftsführerin von Kahal Adass Jisroel (KAJ), Ende Februar 2022 nicht geglaubt, dass es in der Ukraine Krieg geben werde. Kurz nachdem jedoch genau dies eingetreten war, begann KAJ mit der Hilfe für geflüchtete jüdische Familien. »Ich habe in dieser Zeit kaum geschlafen, wir alle haben kaum geschlafen«, sagt Segal, die als Kind mit den Eltern aus der Sowjetunion nach Deutschland kam.
»Die ganze Gemeinde war mobilisiert, alle wollten helfen, alle waren dabei.« Die ersten Neuankömmlinge konnten noch in einem Hotel untergebracht werden, und als der Platz nicht mehr reichte, mussten Unterkünfte, Mitwohngelegenheiten und Wohnungen gefunden werden. Die, die dem Krieg entfliehen konnten, waren oft traumatisiert, »wir haben zwei Familien aufgenommen, die mit den Omas nach Deutschland gekommen waren. Diese Großmütter waren als Kinder vor der Wehrmacht aus der Ukraine nach Russland geflohen – dass sie jemals vor den Russen nach Deutschland würden flüchten müssen, hätten sie natürlich nicht gedacht«, berichtet Anna Segal.
In der Gemeinde gab es täglich ein warmes koscheres Abendessen für die Geflüchteten.
Ein großer Erfolg war die Hotline, die KAJ in der ersten Zeit des Krieges eingerichtet hatte. Die Telefonnummer sprach sich unter den jüdischen Ukrainern schnell herum, sagt Segal: »Wir erhielten Hunderte Anrufe von Menschen, die irgendwo gestrandet oder schon in Berlin waren und nicht mehr weiterwussten. Konkrete Hilfe war nicht immer einfach, denn nicht alle Anrufer konnten sagen, wo sie sich befanden.«
alltagsdinge In der Gemeinde gab es täglich ein warmes koscheres Abendessen für die Geflüchteten, dazu wurden sie in vielen Angelegenheiten beraten. »Das ging von Alltagsdingen, die natürlich in einer fremden Sprache nicht allein zu bewältigen sind, bis zur Eröffnung eines Kontos oder die Frage nach medizinischer Hilfe«, erinnert sich Anna Segal. KAJ stellte extra eine Sozialarbeiterin ein: »Mehrere Seiten kleingedrucktes Amtsdeutsch sind ja schon für Deutsche eine Herausforderung.«
Für die Kinder war von Anfang an gesorgt worden, die Älteren wurden in der Lauder Beth-Zion-Schule aufgenommen und für die Kleinen Plätze im Lauder Nitzan Kindergarten bereitgestellt.
Für die Kinder war von Anfang an gesorgt worden.
Malka Osipov ist eine der Geflüchteten. Sie kam mit ihrem Mann und den fünf Kindern – das jüngste wurde vor neun Monaten in Berlin geboren – nach Berlin. »Für uns war es wichtig, hier in Deutschland in einer jüdischen Gemeinschaft zu leben, mit Kindergarten und Schule, koscheren Geschäften«, betont sie. »Wir haben so viel Hilfe erhalten, dafür sind wir sehr dankbar.« Rund 20 Familien sind nunmehr bei der KAJ. Arbeiten zu können, gehöre zu den größten Wünschen, weiß Anna Segal. In der Praxis sei »der Berg an Auflagen« allerdings immer noch hoch: »Wir arbeiten uns zwar da durch, aber es geht für den Geschmack der Leute doch etwas zu langsam.«
weiterreise Im Prinzip seien die Ukrainer und Ukrainerinnen bei der Ankunft in Berlin aus dem Bus gestiegen, »und nach einem kurzen Nickerchen fragten sie gleich, wie sie arbeiten können«. Einige, darunter eine Psychologin, eine Erzieherin sowie ein Koch, konnten von der Gemeinde angestellt werden. Segal hat aber auch erlebt, dass IT-Spezialisten gleich weiterreisten, nun in den USA leben und arbeiten.
Manchmal ging alles aber auch ganz einfach: Für ein 16-jähriges Fußball-Talent besorgte die Gemeinde einen Termin zum Vorspielen bei einem Berliner Erstligaverein. »Er konnte kein Wort Deutsch, heute spielt er dort in der Jugend-Mannschaft und hat große Ziele.«