Coco Schumann sitzt in seinem Zehlendorfer Haus und wirkt leicht angespannt. Der Grund: Zu viele Journalisten bitten ihn um Interviews und wollen möglichst alles über sein Leben erfahren. Mit einem Kugelschreiber hat er die Termine sorgfältig in seinen Kalender eingetragen, der nun auf dem Wohnzimmertisch liegt. Auch Artikel, die schon über ihn erschienen sind, hat er nach Aktualität sortiert und bereitgelegt.
Ganz oben auf dem Stapel liegt das jüngste Buch, das ihm soeben zugeschickt wurde: eine Graphic Novel über sein Leben. Aber bislang hatte er noch keine Muße, hineinzuschauen. I got rhythm heißt sie, ist im be.bra-Verlag erschienen und erzählt aus dem Leben der Jazzlegende Coco Schumann. Ganz bewusst habe er diesen Titel ausgewählt, schreibt Schumann in einem kleinen Vorwort für die Graphic Novel, denn I got rhythm sei ein gutes Motto »für mein Leben«. Schließlich heißt es in dem George-Gershwin-Song »I got rhythm, I got music, I got my girl – how could I ask for anything more?«. Das Leben, sagt Schumann, habe sich unglaublich böse, aber auch entsetzlich schön gezeigt.
Sprüche Gerade allerdings ist es sehr stressig. »Jetzt hat sich auch noch das Fernsehen angekündigt«, seufzt Schumann. Den Mitarbeitern habe er aber gleich gesagt, sollten sie die Wände in seinem kleinen Haus einreißen müssen, um Platz zu schaffen, müssten sie diese auch wieder aufbauen. Coco Schumann ist eine lebende Jazzlegende und ein passionierter Gitarrist. Am 14. Mai wird er 90. »Wenn ich mal alt werde, dann höre ich damit auf«, sagt er und grinst.
Doch davon kann keine Rede sein, denn täglich spielt er Gitarre, tritt nach wie vor – nur seltener – auf, klopft gerne Sprüche und erzählt aus seinem Leben. Wegen der vielen Anfragen zu seinem Geburtstag und zu dem Buch habe er allerdings nicht genügend Zeit, Gitarre zu üben, klagt er. Seinen Geburtstag wird er mit Freunden, Musikern und Politikern im Rathaus Schöneberg feiern, wo im Rahmen der Ausstellung »Wir waren Nachbarn« auch seine Biografie ausgestellt ist. »Gregor Gysi wird eine Rede halten«, sagt der Musiker.
Schumanns Lebensrhythmus hat sich im Laufe der Jahre sehr verändert. In den Zeiten, in denen er als Musiker ständig gebucht war, sei er gegen 21 Uhr in den Club gekommen und, wenn er Glück hatte, morgens um fünf Uhr wieder rausgegangen. Wenn es aber zu nett wurde, oft auch erst gegen Mittag. Seine Frau Gertraude, die bereits gestorben ist, habe das mitgemacht. »Sie hat sich da nicht eingemischt.« Heute steht Schumann gegen acht Uhr auf, frühstückt, versorgt sich und den Haushalt, geht entweder beim Chinesen essen oder kocht sich eine Kleinigkeit.
Club Nachmittags packt er seine Lieblingsgitarre aus und übt. Mehrere Stunden täglich. Meistens Geläufigkeit und Griffe. »Ich muss fit bleiben, denn die Musik ist mein Leben, und ich möchte wieder auftreten«, sagt er. Er übe bewusst ohne Noten, da er seine Augen brauche, um mit dem Publikum in Kontakt zu kommen. Am liebsten spielt er derzeit Balladen und ruhigere Stücke. Allerdings pausiere er gerade, sagt er, weil er so ein Kribbeln in den Fingern habe und nicht Gefahr laufen möchte, ein Konzert absagen zu müssen.
Mit fünf Gitarren teilt er sich heute sein Haus. An seine erste erinnert er sich immer noch sehr gut. Die gehörte einem Cousin, der zum Militär musste und sie deshalb dem damals 13-Jährigen schenkte. Wenn Coco Schumann als Kind ein Klavier sah, war er nicht mehr zu halten – er musste spielen. Daheim gab es ein Grammofon, auf dem Schlager und Operettenmusik erklangen. Und natürlich die Songs der amerikanischen Musikfilme – »die kannte damals jedes Kind«. Seine Mutter war Jüdin, sein Vater konvertierte ihr zuliebe zum reformierten Judentum. Heinz Jakob, so sein eigentlicher Vorname, besuchte die Schule in der Joachimstaler Straße und ging mit seinen Eltern in die Synagoge Pestalozzistraße.
Die Schule wurde für ihn noch interessanter, als der Musiklehrer seine Wandergitarre mitbrachte, um mit den Schülern Lieder zu singen. Er wurde auch sein erster Gitarrenlehrer. Vor dem Unterricht passte der kleine Heinz ihn ab, um ihn zu bitten, ihm einige Akkorde auf der Gitarre zu zeigen. Neben der Musik begeisterte er sich fürs Boxen und war Mitglied des jüdischen Sportclubs »Bar Kochba«.
Duke Ellington Zufällig lernte Schumann beim Eisessen eine Gruppe Jugendlicher kennen, die ihm Swing vorspielten. Musik von Duke Ellington, Chick Webb, Horst Winter, Teddy Stauffer und Ella Fitzgerald. »Wer den Swing in sich hat, kann nicht mehr im Gleichschritt marschieren«, sagt Schumann.
Er hatte seine ersten Gigs und lernte in Nachtclubs fast alles über Swing und Jazz. Bei einem Auftritt im »Groschenkeller« entdeckte der damalige »Gitarrenkönig« Hans Korseck den Schüler. Während einer Pause sprach er ihn an, ob Coco nicht bei ihm Unterricht nehmen wolle. »Ich wäre beinahe umgefallen«, sagt Coco Schumann heute. Von da an nahm er den gelben Stern, den er als Jude tragen musste, regelmäßig ab und ging in die Fasanenstraße, um dort zu lernen. »Das war ja für mich strengstens verboten.«
Doch solche Verbote störten ihn nicht. Er spielte in den Bars heimlich »undeutsche« Jazz- und Swingmusik. »Einmal kam die Gestapo zur Kontrolle«, erzählt er. »Sie müssen mich jetzt verhaften«, erklärte er ihnen. »Erstens bin ich minderjährig, zweitens Jude, und drittens spiele ich Jazz.« Allerdings glaubten die Nazis ihm kein Wort.
Theresienstadt Eines Tages wurde er dennoch verpfiffen und nach Theresienstadt deportiert. »Dort durfte man alles machen, was man sonst nicht durfte«, sagt Schumann – wie beispielsweise Jazzmusik. Später, nachdem er nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurde, gehörte Schumann zu den Musikern, die an der Todesrampe spielen mussten. »Die SS-Männer wollten immer ›La Paloma‹ hören«, sagt Schumann – die Musik habe ihm das Leben gerettet. Anschließend wurde Schumann nach Kaufering gebracht und auf den Todesmarsch nach Innsbruck geschickt, bis ihn die Amerikaner befreiten. Er begann sein neues Leben wieder in Berlin. Seine Eltern hatten mit seinem 18 Jahre jüngeren Bruder in einem Wald in Oberschlesien überlebt.
Swing Zurück in Berlin, spielte Schumann wieder Swing und traf etliche alte Musikerfreunde wie Helmut Zacharias, dessen Band er bald angehörte, und Bully Buhlan wieder. Nach einem Konzert am Ku’damm sah er zum ersten Mal seine spätere Frau. »Bist du nicht der Schlagzeuger von den Ghetto-Swingern?«, fragte sie ihn. Auch sie war nach Theresienstadt deportiert worden.
So sei das, wenn man Musiker ist, sagt Coco Schumann: Die Leute kennen einen, aber man kenne sie nicht. »Ich dreh’ deshalb nicht durch. Das ist mein Beruf.« Obwohl er als erster Elektrogitarrist in Deutschland in die Musikgeschichte einging, zog es ihn mit seiner Familie für vier Jahre nach Australien, denn Berlin war ihm fremd geworden.
Rock’n’roll Doch das neue Land wurde keine Heimat für Schumann. Später, als der Jazz-Hype abflaute, spielte er auf Kreuzfahrtschiffen. »Von Rio bis Odessa«, sagt er, »kenn’ ich jeden Hafen.« Schumann trat im Heinz-Erhardt-Film Ein Witwer mit fünf Töchtern auf, spielte Rock’n’Roll und ging mit Roberto Blanco auf Tour. Bis es ihm irgendwann reichte und er nur noch Jazz machen wollte.
Daraufhin gründete er das »Coco-Schumann-Quartett«, das sich Jazz und Swing widmete und mit dem er heute noch auftritt. Lange Jahre hat er über die Zeit in den Lagern geschwiegen. Er habe »Angst vor der Betroffenheit gehabt. Ich bin Musiker, ein Musiker, der im KZ gesessen hat, kein KZler, der Musik macht.« Mittlerweile gibt es mehrere Biografien über Schumann. »Meine Musik ist das, was mich ausmacht«, schreibt Coco Schumann in dem Vorwort zur Graphic Novel. »Man erfährt, was ich erlebt habe, wie ich überlebt und immer wieder gerne weitergelebt habe.«
Caroline Gille und Niels Schröder: »I got rhythm. Das Leben der Jazzlegende Coco Schumann«. be.bra, Berlin 2014, 160 S., 19,95 €