Porträt der Woche

Herzensheimat Israel

Dalit Hochberg kam als Kind nach Berlin und fand hier ihr zweites Zuhause

von Gerhard Haase-Hindenberg  28.05.2023 22:25 Uhr

Anfangs erschien ihr das Land grau. Heute lebt Dalit Hochberg (56) gern in Berlin. Sie arbeitete lange Zeit in der Gemeinde. Foto: Privat

Dalit Hochberg kam als Kind nach Berlin und fand hier ihr zweites Zuhause

von Gerhard Haase-Hindenberg  28.05.2023 22:25 Uhr

Vor vier Jahren hat sich für mich eine berufliche Veränderung ergeben, die völlig überraschend kam. Seither organisiere ich das Büro eines Ingenieurs mit 13 Mitarbeitern. Wir sind ein reines Planungsbüro im Bereich der Medientechnik, Raum- und Bauakustik. Ich bin dazu da, Projekte anzunehmen und diese zu verteilen. Ebenso bin ich für die Finanzen zuständig und teilweise im Personalbereich tätig.

Mein Job also ist es, der Geschäftsführung zuzuarbeiten. Das Büro hatte mein Schwager gegründet, und das gab es schon eine ganze Weile, ehe man mir dieses Job­angebot gemacht hat. Da war die Firma allerdings erst halb so groß wie heute.

Dann aber ist das Büro expandiert, und man hat gemerkt, dass es eine starke organisatorische Hand braucht. So ist man auf mich zugekommen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin bereits den verschiedenen Vorsitzenden das Büro organisiert und auch in anderen Funktionen gearbeitet. Nun also kam ein Angebot aus der freien Wirtschaft. Ich habe nicht einen Moment gezögert, dieses Angebot anzunehmen.

HERKUNFT Als in den 30er-Jahren etwa 100 jeckische Familien im damaligen Palästina jene Siedlungen gründeten, aus denen später die Stadt Nahariya wurde, waren meine Großeltern väterlicherseits darunter. Sie waren im Jahr 1936 mit dem Schiff über Dänemark, wo sie geheiratet hatten, aus Deutschland geflohen, kamen in Palästina an und gehörten zu den Gründern von Nahariya. Dort wurde mein Vater 1941 geboren. Später, nach seiner Militärzeit, reiste er für zwei Jahre um die Welt. So kam er auch nach Deutschland, in die Heimat seiner Eltern.

An Jom Kippur besuchte er in Berlin die Synagoge in der Joachimsthaler Straße, und dort hat er meine Mutter kennengelernt. Er nahm sie mit nach Nahariya, wo ich dann im Jahr 1966 geboren wurde und vier Jahre später meine Schwester. In dieser Stadt unweit der Grenze zum Libanon wuchsen wir bis zu meinem 15. Lebensjahr auf. Dann hatten meine Eltern sehr kurzfristig entschieden, Israel zu verlassen. Dafür gab es verschiedene Gründe.

Mein Vater erzählt heute sehr gern, dass er nicht wollte, dass seine beiden Mädels den Militärdienst in der israelischen Armee leisten, er habe schlichtweg Angst um sie gehabt. Hinzu kam, dass die Familie meiner Mutter in Berlin lebte und sie Sehnsucht nach ihr hatte. Schließlich kamen wir Ende August 1980 nach Deutschland, und ich habe dieses Land als grau empfunden. Als pubertierender Teenager empfand ich es aber auch als sehr spannend, nun in einer richtigen Großstadt zu leben. Meine Schwester und ich sprachen nur wenige Worte Deutsch. Wir kamen in eine ganz normale Berliner Schule, denn die jüdische Oberschule gab es noch nicht. Da habe ich relativ schnell die deutsche Sprache gelernt, die ich von Anfang an sehr mochte.

Meine Mutter hatte Sehnsucht nach ihrer Berliner Familie.

Schon bald begann ich auch, Bücher auf Deutsch zu lesen. Ich werde nie vergessen, dass der Deutschlehrer irgendwann sagte: »Schaut euch mal Dalit an, nach einem halben Jahr in Deutschland spricht sie besser als so mancher von euch!« So fing mein Leben in Berlin an. Meine Eltern haben meine Schwester und mich in das Jüdische Jugendzentrum gebracht, und dort bekam ich die ersten Kontakte zu jüdischen Jugendlichen in meinem Alter.

Natürlich fand ich über die Schule auch viele nichtjüdische Freunde. Dann war ich auf den Winter-Machanot in Italien, aber die Sommerferien habe ich regelmäßig bei meiner Mischpoche in Israel verbracht. Obgleich ich mich in Berlin durchaus wohlgefühlt habe, hatte ich damals in Israel ein stärkeres Heimatgefühl. Das ist heute anders. Inzwischen habe ich meine Familie hier, meine beiden wunderbaren Söhne Liron und Jaron und den vierjährigen Enkelsohn Noah. In Berlin also ist mein Zuhause, aber Israel bleibt meine Herzensheimat, und ich reise mehrfach im Jahr dorthin. Nach wie vor stehe ich in engem Kontakt in Israel zu meinen Cousins und Cousinen und sogar noch zu alten Schulfreunden. In Berlin übrigens spreche ich mit meinem Vater ausschließlich Iwrit und mit meiner Mutter durchweg Deutsch.

GEMEINDE Nach dem Abitur habe ich mich entschieden, nicht zur Uni zu gehen. Stattdessen habe ich eine dreijährige Lehre als Bürokauffrau bei der Jüdischen Gemeinde zu Berlin gemacht. Direkt danach forderte mich Heinz Galinski, der damalige Vorsitzende der Gemeinde, für sein Büro an. Am Anfang hatte ich Angst vor ihm, weil er oft ein wenig lautstark wurde. Aber wir haben uns ziemlich schnell sehr gut verstanden. Dann habe ich geheiratet, einen Mann, der meinetwegen zum Judentum übergetreten ist.

Ihm war es wichtig, dass die Familie inklusive der Kindererziehung eine Linie verfolgt, und da lag das eben nahe. Ich habe meine beiden Söhne bekommen, und wir legten Wert darauf, dass sie jüdisch erzogen werden. Bis heute feiern wir in unserer großen Familie alle Feiertage gemeinsam, auch wenn die Ehe keinen Bestand hatte. Wir sind zwar alle keine frommen Juden, also die jüdische Religion begleitet uns nicht täglich. Selbst der Schabbat wird oft nicht gemeinsam begangen. Allein schon deshalb, weil wir alle am Freitag noch arbeiten. Wann sollen wir denn da für den Schabbes kochen.

Die Tradition der Feiertage aber ist uns durchaus wichtig und mir mit zunehmendem Alter auch die jüdische Identität. Meine beiden erwachsenen Söhne leben inzwischen mit ihren jeweiligen, übrigens nichtjüdischen, Lebenspartnerinnen zusammen. Liron, der ältere Sohn, ist Koch und sein Bruder Jaron angestellter Physiotherapeut, der sich irgendwann selbstständig machen will.

Damals, nach meiner Zeit im Mutterschutz, habe ich dann wieder im Vorstandsbüro für die diversen Nachfolger von Heinz Galinski gearbeitet. Leider nicht für Lala Süsskind, die ich sehr mag. Aber bevor sie zur Vorsitzenden gewählt wurde, hatte ich bereits beschlossen, noch einmal andere Aufgaben zu übernehmen. So arbeitete ich zwischenzeitlich eine Weile im Büro der Jüdischen Volkshochschule. Bei deren Leitung lagen auch ganz viele Aufgaben im Bereich von Kunst und Kultur, wie zum Beispiel das Jüdische Filmfestival. Das fand ich sehr spannend. Insgesamt habe ich, ehe ich in die freie Wirtschaft wechselte, in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin mehr als 30 Jahre gearbeitet.

ORGANISATION In meinem letzten Tätigkeitsfeld dort war ich die rechte Hand von Rabbinerin Gesa Ederberg aus der Synagoge Oranienburger Straße. Ich war für die Organisation der Synagoge zuständig, habe die Anfragen an die Rabbinerin beantwortet, Termine vereinbart, habe also eine vielfältige Tätigkeit ausgeübt. Zehn Jahre hat diese Zusammenarbeit gedauert, und es waren zehn sehr schöne Jahre.

Dann aber kam für mich 2019 völlig überraschend das Angebot des Mannes meiner Schwester, sein expandierendes Ingenieurbüro zu organisieren. Und obgleich ich zeitlebens eher ein auf Sicherheit bedachter Mensch war, mir folglich für große Veränderungen der Mut fehlte, habe ich diesmal sofort zugesagt. Für Rabbinerin Ederberg war es natürlich sehr schwierig, auf eine zuverlässige Kraft verzichten zu müssen, mit der sie sich zudem auch noch gut verstand.

Mir aber war klar, wenn ich nun mit Anfang 50 diese unverhoffte Chance einer beruflichen Veränderung nicht annehme, wird es eine solche wohl nie mehr geben. Bis heute habe ich diesen Schritt in die freie Wirtschaft nicht einen Tag bereut. Unnötig zu erwähnen, dass sich das auch auf dem Gehaltszettel positiv bemerkbar macht.

scheidung Seit meiner Scheidung führe ich neben meiner großen Familie nun schon seit einigen Jahren ein Single-Leben. Es ist nicht so, dass ich das nicht genießen könnte, aber manchmal hätte ich schon das Bedürfnis, mich zu Hause mit einem Partner auszutauschen. Vielleicht ergibt sich da ja nochmal eine Partnerschaft, in der man die Zukunft gemeinsam gestaltet.

Was meine Zukunft im Alter angeht, so denke ich manchmal darüber nach, im Ruhestand, also in etwa zehn Jahren, ein halbes Jahr in Berlin und ein halbes Jahr in Israel zu leben. Vorausgesetzt, ich kann mir das finanziell leisten. Ich könnte nicht gänzlich auf Berlin verzichten, im Herbst und im Winter aber schon.

Aufgezeichnet von Gerhard Haase-Hindenberg

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