Die Reaktion ist fast immer dieselbe: Wenn ich jemandem erzähle, was mein Beruf ist, werde ich oft sofort gefragt: Ist es nicht schön, in einem so exklusiven Hotel zu arbeiten?
Ich antworte dann immer, dass es natürlich großen Spaß macht, das Berliner Hilton zu leiten, aber es erfordert eben auch größtes Engagement. Man darf sich keine Nachlässigkeit erlauben. Wenn ich zum Beispiel einen Raum betrete, springt mir sofort ins Auge, was man alles verbessern könnte. Ist der Boden sauber, sind die Kissen ordentlich gefaltet – so etwas fällt mir sofort auf. Diese Art, Räume zu betrachten, nimmt man wohl oder übel auch mit ins Privatleben.
»Déformation professionnelle« nennt man das wohl; als Direktor bin ich es eben gewohnt, Dinge zu optimieren. Gerade Details sind in einem Fünf-Sterne-Hotel immens wichtig, sie machen auch den Unterschied zu anderen Häusern aus. Alles muss stimmig sein.
perfektion Schon als Kind wollte ich immer in einem Hotel arbeiten. Mein Vater war Textilunternehmer, sein Beruf brachte es mit sich, dass wir viel gereist sind. Und weil seine Geschäfte nicht schlecht liefen, haben wir auf Reisen stets in guten Häusern gewohnt. Dass sich alles um den Gast dreht, seine Zufriedenheit an oberster Stelle steht, jeder Gegenstand perfekt hergerichtet sein muss – das fand ich großartig.
Sicherlich hat bei meiner Berufswahl auch ein enormes Freiheitsbedürfnis eine Rolle gespielt. Ich wollte immer schon reisen, die Welt sehen, wissen, wie Menschen in anderen Ländern leben. Als Kind bin ich regelmäßig heimlich von zu Hause ausgebüxt und mit dem Fahrrad kilometerweit hinausgefahren. Nicht, weil es mir bei meinen Eltern nicht gefallen hätte – nein, sie waren großartig! –, sondern ich wollte einfach sehen, was es hinter Den Haag noch alles zu entdecken gibt.
ausbildung Nach dem Abitur habe ich die Hotelschule besucht und trat dann 1978 im Amsterdamer Hilton meinen ersten Job an. Seitdem bin ich meinem Arbeitgeber treu geblieben. Von London über Bangkok bis Helsinki habe ich ausschließlich in Hilton-Hotels gearbeitet. Beeindruckend waren die Jahre in Jakarta, in Indonesien. Dort waren die Dimensionen ganz anders, als ich sie bis dahin gewohnt war. Fast 1700 Mitarbeiter, 18 Restaurants und Bars – wenn man aus den kleinen Niederlanden stammt, ist das schon etwas Besonderes.
Die Menschen in Indonesien sind ausgesprochen herzlich. Ich hatte da eine gute Zeit. Wenn man sich als Ausländer jedoch nicht auf die dortige Kultur einlässt, wird es schwierig. Indonesier sagen selten nein, damit der andere sein Gesicht wahrt. Man sagt also auch ja, wenn man eigentlich nein meint. Respekt spielt in der indonesischen Gesellschaft eine zentrale Rolle, deswegen kann man auch schnell in Fettnäpfchen treten. Wer das nicht berücksichtigt, wird dort keinen Erfolg haben, weil die Leute ihn dann freundlich, aber bestimmt ignorieren.
Indonesien Vielleicht haben mein Lebensgefährte und ich uns in Indonesien auch deshalb so gut zurechtgefunden, weil die Geschichte unserer Familien eng mit dem Land verknüpft ist. Mein Großvater lebte als Journalist in Indonesien, als es noch niederländische Kolonie war. Mein Vater wurde dort sogar geboren. Und auch die Eltern meines Lebensgefährten wuchsen in Indonesien auf. Wenn wir abends bei einem Drink auf der Terrasse saßen, die Hitze kaum auszuhalten war und die Insekten um uns herumschwirrten, mussten wir oft lachen. Wir hatten dann beide das Gefühl, dass wir in den Erzählungen unserer Väter lebten. Genauso hatten sie uns das Land immer beschrieben.
Auch wenn ich mich dort und später in Thailand sehr wohlgefühlt habe, kam irgendwann der Zeitpunkt, an dem ich der Region wieder Ade sagen musste, um neue Erfahrungen zu sammeln. Als ich ein Angebot aus Israel erhielt, wusste ich: Das ist es, das soll meine nächste Aufgabe sein.
Zuerst arbeitete ich im Hilton Tel Aviv, wo zu meinen Aufgaben als Manager plötzlich nicht mehr nur wirtschaftliche Aspekte gehörten. Auf einmal musste ich auch Barmizwas, Chuppas und große Seder-Abende organisieren. Nach all den Jahren in Jakarta, wo es so gut wie kein jüdisches Leben gibt, habe ich das sehr genossen.
In Tel Aviv blieb ich zwei Jahre, danach ging ich nach Jerusalem. Einmal war der damalige US-Präsident Bill Clinton bei uns zu Gast. Zwei Wochen zuvor wurde das gesamte Hotel Raum für Raum durchsucht und gesichert. Selbst ich als Manager des Hauses musste täglich mehrere Sicherheitskontrollen durchlaufen. Der Besuch war sehr beeindruckend – und weil weltweit die Medien darüber berichteten, war es zugleich die beste PR für unser Haus.
ambivalenz Nach meiner Zeit in Israel arbeitete ich wieder in den Niederlanden und später in Finnland. Als ich schließlich 2003 ein Angebot aus Frankfurt erhielt, habe ich sofort zugesagt. Gleichwohl war ich zu Beginn auch ein bisschen reserviert. Zu Deutschland hatte ich aufgrund der Geschichte ein ambivalentes Verhältnis.
Meine Eltern sind beide Holocaust-Überlebende. Meine Mutter wurde in der Nähe von Amsterdam zusammen mit ihrem Vater von einer kommunistischen Familie versteckt. Diese Leute waren einfache, aber unglaublich großherzige Menschen. Sie haben gesehen: Dort sind zwei Menschen in Not, wenn wir ihnen nicht helfen, werden sie umgebracht. Jeder Einzelne in dieser Familie war wahrhaft »a Mentsch«, wie man auf Jiddisch sagen würde.
Mein Vater hat auf einem Hof in einem kleinen niederländischen Dorf überlebt. Eine Bauernfamilie hatte ihn aufgenommen, als er eines Tages vor ihrer Tür stand und um Arbeit bat. Sie haben sich bestimmt ihren Teil gedacht, aber gefragt, ob er Jude sei, haben sie nie. Was man nicht weiß, kann einem nicht vorgeworfen werden, dachten sie sich wohl. Nach der Schoa hat er ihnen gesagt, dass er Jude ist. Der gute Kontakt zu ihnen hielt ein Leben lang.
Als ich den Job in Frankfurt annahm und die Stadt nach und nach kennenlernte, war ich sehr überrascht, dass es dort ein solch aktives jüdisches Leben gibt. Mein Partner und ich lebten damals im Westend, wo wir uns teilweise wie in Tel Aviv fühlten. Wir haben intensiv am jüdischen Leben in der Stadt teilgenommen. Allerdings eher im kulturellen, nicht im religiösen Sinne. Denn ich begreife mein Judentum mehr kulturell – auch wenn ich zu Rosch Haschana natürlich Honig und Apfelscheiben esse und ein Pessach ohne Seder kein Pessach ist.
Ob ich nach all den Jahren an so vielen unterschiedlichen Orten heute in Berlin endlich angekommen bin? Ja und nein. Ich lebe seit fünf Jahren hier und fühle mich inzwischen durchaus zu Hause. Ich könnte mir gut vorstellen, in Berlin alt zu werden.
Andererseits weiß ich, dass mein Job Flexibilität erfordert. Irgendwann werde ich Berlin auch wieder verlassen müssen. Wohin die Reise dann gehen wird, ist ungewiss. Nur eines weiß ich heute schon ganz genau: Meinen Ruhestand werde ich gemeinsam mit meinem Lebensgefährten in in den Niederlanden verbringen. Nach all den Reisen, verschiedenen Kulturen und den vielen Erfahrungen wird sich der Kreis dann wieder schließen.