Berlin

Helfer für Sarajevo

Diese Menschen in Berlin haben beschlossen, nicht nur Zuschauer der bosnischen Tragödie zu werden, sondern zu helfen», sagt Jakob Finci, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Bosnien-Herzegowinas und zugleich Präsident der jüdischen Hilfs- organisation La Benevolencija. Im Bosnienkrieg (1992–1995) hatte er humanitäre Hilfe für die belagerte Hauptstadt organisiert – und bekam überraschend Unterstützung aus Berlin.

«Wir waren fassungslos, dass dieser grausame Krieg faktisch direkt vor unserer Haustür stattfinden konnte», erinnert sich Rachel Kohn an die Bilder vom Krieg in Jugoslawien. Also schloss sie sich 1994, während der Bosnienkrieg tobte und Sarajevo belagert wurde, mit anderen Aktivisten in Berlin zu einer Gruppe zusammen, um finanzielle und materielle Unterstützung für La Benevolencija Sarajevo zu organisieren. So wurden sie zum deutschen Ableger der Organisation.

Vergangene Woche beging La Benevolencija Deutschland sein 20-jähriges Jubiläum. Knapp 70 Unterstützer, Spender und Interessierte versammelten sich dafür im Verein «südost Europa Kultur» in Berlin-Kreuzberg, um die Geschichte – sowohl der Mutterorganisation in Sarajevo als auch des deutschen Ablegers – Revue passieren zu lassen und Ausblicke für die weitere Arbeit zu geben.

Nationalismus Gegründet wurde La Benevolencija nämlich bereits 1892, in einer Zeit, in der sich damals schon nationalistische Konfliktlinien auf dem Gebiet des späteren Jugoslawien herauskristallisierten. Den anhaltenden Siegeszug des Nationalismus habe auch nicht der kulturelle und ökonomische Aufschwung, den die österreichisch-ungarische Herrschaft ab 1878 mit sich brachte, aufhalten können, sagt Holm Sundhaussen, Südosteuropaforscher an der Freien Universität Berlin. Der Wohltätigkeitsverein La Benevolencija entwickelte sich in der Folgezeit zum bedeutendsten Kulturverein der Juden in Bosnien.

Bis zu dieser Entwicklung sei Sarajevo als Stadt der Toleranz bekannt gewesen, so Sundhaussen. Mehr als ein halbes Jahrtausend hätten in diesem Teil des Osmanischen Reiches vier unterschiedliche Glaubensgemeinschaften zusammengelebt. «Wo gibt es das sonst in Europa?», fragt er ins Publikum. Nachdem Ende des 15. Jahrhunderts die sefardischen Juden aus Portugal und Spanien vertrieben wurden, waren sie im Osmanischen Reich willkommen.

Im Vergleich zum christlichen Europa konnten Andersgläubige hier ihre Religion weitestgehend ungehindert ausüben. In dieser Vielfalt der Kulturen konnten die Sefarden – wie auch zum Beispiel die orthodoxen Christen – nach osmanischem Recht ihre inneren Angelegenheiten selbst regeln.

Schoa Wie überall in Europa wurde der Zweite Weltkrieg auch für die Juden in Bosnien-Herzegowina zum grausamsten Kapitel ihrer Geschichte: Von den rund 14.000 Juden im Land, die 1941 mehrheitlich in Sarajevo lebten, haben nur etwa 1000 die Schoa überlebt. Sie wurden von kroatischen Ustascha-Milizen und deutschen Soldaten erschossen oder in Konzentrationslagern ermordet. Nach Kriegsende nahm die Zahl der Juden weiter ab, weil viele auswanderten. Außerdem rückten Nation und Religion im sozialistischen Jugoslawien zunehmend in den Hintergrund.

«Viele Juden verstanden sich als Jugoslawen», erklärt Osteuropa-Experte Holm Sundhaussen. Erst als die jugoslawische Identität Ende der 80er-Jahre anfing zu schwinden, habe sich auch die Zahl der Juden wieder leicht erhöht. Und dann kam der Bürgerkrieg.

Während damals in Bosnien Schüsse fielen, warben die Berliner Aktivisten deutschlandweit um Sponsoren und Spender, suchten Lastkraftwagen für den Transport von Hilfsgütern. Auf den unterschiedlichsten Wegen brachten sie Geld, Kleidung, Medikamente und Nahrungsmittel in die belagerte bosnische Hauptstadt. Finci zitiert einen Spruch, der zur Kriegszeit in Sarajevo kursiert haben soll: «Was du bei La Benevolencija nicht findest, gibt es nirgendwo in der Stadt.»

Pflegedienst
Für die Armen, Alten und Verlassenen hat La Benevolencija Sarajevo mit Unterstützung internationaler Geldgeber ein Homecare-Programm ins Leben gerufen. Frauen aller ex-jugoslawischen Gruppen bilden ein Netz von erfahrenen Pflegerinnen, die bedürftige und oft bettlägerige Menschen in ihren Wohnungen besuchen und wenigstens für das Nötigste sorgen, das ihnen auch Jahre nach dem Krieg immer noch fehlt.

«Dieses Projekt ist nicht nur für Juden gedacht», betont Elma Softic-Kaunitz, Direktorin von La Benevolencija Sarajevo. Nur fünf der derzeit 126 betreuten Personen seien jüdisch. «Wir wollen allen Menschen, die zu uns kommen, das Gefühl geben, dass sie nicht allein sind – ganz gleich, welcher Nationalität oder Religion sie angehören», sagt Softic-Kaunitz.

«Gott sei Dank ist der Krieg mit seinen Gräueln vorbei», sagt Jakob Finci. «Doch 19 Jahre später bleibt unsere Arbeit leider immer noch notwendig.» Nach dem blutigen Bürgerkrieg in den 90er-Jahren richtete die Flut Mitte Mai wieder einen Milliardenschaden an. «Hunderte Häuser wurden zerstört und Tausende Arbeitsplätze vernichtet», berichtet Finci. Nun müsse man auch für die Flutopfer sorgen. Da sei Unterstützung gerne gesehen.

Oldenburg

Judenfeindliche Schmierereien nahe der Oldenburger Synagoge   

Im vergangenen Jahr wurde die Oldenburger Synagoge Ziel eines Anschlags. Nun meldet eine Passantin eine antisemitische Parole ganz in der Nähe. Die Polizei findet darauf noch mehr Schmierereien

 21.02.2025

Berlin

Wladimir Kaminer verkauft Wohnung über Facebook

Mit seiner Partyreihe »Russendisko« und vielen Büchern wurde Wladimir Kaminer bekannt. Für den Verkauf einer früheren Wohnung braucht er keinen Makler

 20.02.2025

Berlin

Eine krasse Show hinlegen

Noah Levi trat beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an. In die nächste Runde kam er nicht, seinen Weg geht er trotzdem

von Helmut Kuhn  20.02.2025

Thüringen

Antisemitismus-Beauftragter soll »zeitnah« ernannt werden

Seit Dezember ist der Posten unbesetzt. Dem Gemeindevorsitzenden Schramm ist es wichtig, dass der Nachfolger Zeit mitbringt

 19.02.2025

Weimar

Erlebtes Wissen

Eine Fortbildung für Leiter jüdischer Jugendzentren befasste sich mit der Frage des zeitgemäßen Erinnerns. Unsere Autorin war vor Ort dabei

von Alicia Rust  18.02.2025

Bundestagswahl

Scharfe Worte

Über junge politische Perspektiven diskutierten Vertreter der Jugendorganisation der demokratischen Parteien in der Reihe »Tachles Pur«

von Pascal Beck  18.02.2025

Justiz

Vorbild und Zionist

Eine neue Gedenktafel erinnert an den Richter Joseph Schäler, der bis 1943 stellvertretender IKG-Vorsitzender war

von Luis Gruhler  18.02.2025

Emanzipation

»Die neu erlangte Freiheit währte nur kurz«

Im Münchner Wirtschaftsreferat ist eine Ausstellung über »Jüdische Juristinnen« zu sehen

von Luis Gruhler  18.02.2025

Portät der Woche

Magische Momente

German Nemirovski lehrt Informatik und erforscht den Einsatz Künstlicher Intelligenz

von Gerhard Haase-Hindenberg  16.02.2025