Auch wenn es dem einen oder anderen Delegierten nicht auf Anhieb auffiel: So frisch und modern wie bei der Ratsversammlung in diesem Jahr hatte sich der Zentralrat noch nie präsentiert. Schon am Samstagabend empfing das neue Logo die Gäste zum festlichen Abendessen im Gemeindezentrum Frankfurt.
Die Namensschildchen, nur in Weiß und Blau gehalten, wirkten, genauso wie die Menükarten auf den festlich geschmückten weißen Tischen und mit Hussen überzogenen Stühlen, stylisch und modern. Das neue Logo, der dreidimensionale Davidstern, beherrschte das Bild. Frischer, moderner, erkennbarer sollte der Zentralrat werden, erläuterte Geschäftsführer Daniel Botmann den Gästen zwischen den Menügängen.
Begrüssung Frisch und beschwingt sollte es am Vorabend der Ratsversammlung weitergehen. Salomon Korn, Vorstandsvorsitzender der gastgebenden Gemeinde, begrüßte, sich strikt an Mark Twain haltend, kurz. Eine gute Rede habe, so der amerikanische Schriftsteller, »einen guten Anfang, ein gutes Ende, und beide sollten nicht zu weit auseinander liegen«.
Videoeinspielungen vom Gemeindetag in Berlin, der Jewrovision im Februar und dem Mitzvah Day unterhielten die Gäste. Zwischen Vorspeise und Suppe, Hauptgang, Nachtisch und Dessert schlenderte man durch die Stuhlreihen, unterhielt sich mit Kollegen aus anderen Landesverbänden. Rabbiner tauschten sich aus. Ingrid Wettberg aus Hannover fasste es in einem Satz zusammen: »Es ist schön, wieder alle zu treffen.«
In dieser Atmosphäre von Einmütigkeit und Geschlossenheit ging es auch am Sonntag bei der eigentlichen Ratsversammlung weiter. Kaum Stolpersteine lagen bei der Verabschiedung des Haushalts im Wege, der gleich in zweifacher Ausführung vorlag: nämlich einer für die neue finanzielle Ausstattung des Zentralrats durch den Staatsvertrag in Höhe von 13 Millionen Euro und einer für die bisherige Unterstützung durch den Staat mit zehn Millionen Euro. Beide wurden einstimmig verabschiedet.
Warum diese Trennung nötig war, erläuterte Zentralratspräsident Josef Schuster. Die Abstimmung über die finanzielle Mehrausstattung des Staatsvertrags war nach der ersten Lesung im Bundestag praktisch hängen geblieben. Die zweite und dritte Lesung wird einer neuen Bundesregierung obliegen, der Beschluss wird also noch auf sich warten lassen.
Neues Schuster stellte auch zwei neue Projekte vor. So soll es einerseits ein neues Familienprogramm namens Mischpascha geben: eine Betreuung von der Schwangerschaft bis zum Kleinkind von drei Jahren. Auf der anderen Seite soll die erfolgreiche Arbeit der Bildungsabteilung im Zentralrat gestärkt werden, indem sie zu einer Jüdischen Akademie ausgeweitet werden könnte. Ihren Sitz soll sie in Frankfurt haben, ein geeigneter Standort ist schon ausgeguckt, verriet Schuster in seinem Rechenschaftsbericht.
Das Geld kam und kommt aber besonders Familien und der Jugend zugute: Stichworte sind hier Gemeindetag, der nächste soll im Dezember 2019 stattfinden, und die Jewrovision. Ganz bewusst wolle man im nächsten Jahr einmal in ein östliches Bundesland gehen, sagte Schuster.
Doch dies nicht nur aus eigenem Antrieb, sondern auch der Not gehorchend. Die Messe Hamburg – das Jugendzentrum Chasak aus Hamburg hatte die Jewrovision 2017 gewonnen – wird gerade zu der infrage kommenden Zeit umgebaut. So hat man sich für Dresden als Austragungsort entschieden – auch um Jugendlichen aus den östlichen Gemeinden Mut zu machen, sich zu einer Tanz- und Gesangsgruppe zusammenfinden.
Programme Weitere finanzielle Unterstützung kann auch das Kulturprogramm des Zentralrats, verantwortet von Präsidiumsmitglied Hanna Sperling aus Dortmund, gebrauchen. Die Bilanz kann sich sehen lassen: 198 Veranstaltungen in 103 Gemeinden im vergangenen Jahr. Geld fließt auch in die sogenannte Mikroförderung von Projekten für junge Leute zwischen 18 und 35 Jahren, Kesher. Mit bis zu 500 Euro werden Schabbatonim und andere Angebote unbürokratisch bezuschusst. Nach Zürich im April und Berlin im Juni findet im Dezember der dritte Teil des Next-Step-Programms des Zentralrats statt. Die Haushalte in Höhe von 15,5 beziehungsweise 17,7 Millionen Euro wurden einstimmig beschlossen.
Neben der Vorstellung der vielen Projekte zog Josef Schuster in seinem Rechenschaftsbericht auch politisch Bilanz. Antisemitismus, die BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions), NPD-Verbotsverfahren, muslimische Migranten, Mobbing eines jüdischen Jungen an einer Schule in Berlin-Friedenau, Hate Speech im Internet und die Forderung nach einem Antisemitismusbeauftragten bei der Bundesregierung waren Stichworte, die sich Schuster in seinem Manuskript notiert hatte.
Die Ratsversammlung hatte aber auch Personalentscheidungen zu treffen. Für das im März verstorbene Präsidiumsmitglied Heinz-Joachim Aris war im Juni Harry Schnabel aus Frankfurt ins Präsidium nachgerückt. Auch für das Schiedsgericht war eine Nachwahl notwendig. Für den aus Altersgründen ausscheidenden Johann Schwarz wurde Beni Graumann aus Frankfurt auf Vorschlag des Präsidiums mit einer Stimme Enthaltung gewählt.
Gedenken Schuster rief die Delegierten zum gemeinsamen Gedenken an die Toten des Jahres auf. Unter ihnen sind Heinz-Joachim Aris, Vorsitzender in Dresden, Marcus Schroll, Religionslehrer in München, Sylke Tempel, Journalistin und Israel-Expertin in Berlin, Marie Sofer, Mitarbeiterin im Landesverband Niedersachsen, Roger Bordage, Vorsitzender im Sachsenhausen-Komitee sowie Rabbiner Chaim Levit, Mitbegründer der ORD.
Nachträglich zum Geburtstag gratulierte Schuster Küf Kaufmann, Michael Wolffsohn, Michael Fürst und Wolfgang Seibert zum 70. Geburtstag, den Rabbinern Joel Berger zum 80. sowie William Wolff und Henry G. Brandt zum 90. Besonders hob Schuster seine Vorvorgängerin im Amt, Charlotte Knobloch aus München, hervor, die am 29. Oktober ihren 85. Geburtstag feiern konnte.
Auszeichnungen, so verkündete Schuster, gab es im vergangenen jüdischen Jahr für Judith Neuwald-Tasbach (Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland), Frank-Walter Steinmeier (Ignatz-Bubis-Preis der Stadt Frankfurt), Angela Merkel (Elie-Wiesel-Preis), Jan-Robert von Renesse (Josef-Neuberger-Medaille der Gemeinde Düsseldorf), Rabbiner Tovia Ben-Chorin und den Psychologen Ahmad Mansour (Joseph-Ben-Issachar-Süßkind-Oppenheimer-Medaille Stuttgart), Wolfgang Seibert, (Pro-Asyl-Menschenrechtspreis) und Nora Goldenbogen (Ehrenmedaille der Landeshauptstadt Dresden).
Rabbinerkonferenzen Dafür, dass die Ratsversammlung nicht nur optisch unter einem guten Stern stand, sorgten auch die Worte der Rabbiner. Jonah Sievers aus Berlin überbrachte Grüße und Wünsche zum guten Gelingen der Versammlung im Namen der Allgemeinen Rabbinerkonferenz, und Jehuda Puschkin erhoffte sich in seinem Gruß der Orthodoxen Rabbinerkonferenz die Weisheit der Tora für die kommenden Entscheidungen. Israels Botschafter Jeremy Issacharoff wandte sich per Videobotschaft an die Delegierten und wünschte ihnen Erfolg bei der Bewältigung der vielen komplexen Themen und Aufgaben des Zentralrats.
Unter der Leitung des schon bewährten Tagespräsidiums aus Judith Neuwald-Tasbach aus Gelsenkirchen, Alexander Chraga aus Bochum und Daniel Neumann aus Frankfurt handelte die Ratsversammlung in diesem Jahr zügig ihre Themen ab.
Highlight war die Gastrede des Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer SE, Mathias Döpfner. Immer wieder unterbrachen die Anwesenden seine Rede durch Beifall, etwa wenn er betonte, dass das Boykottieren israelischer Waren nichts anderes als Antisemitismus ist, oder Vielfalt nur auf dem Boden einer Wertekultur und Demokratie gedeihen kann, die es mit aller Kraft zu verteidigen gilt.
Doch der Medienmanager zeigte sich nachdenklich und erinnerte an die pessimistischen Worte von Rabbiner Leo Baeck, der 1945 meinte, dass es in Deutschland kein jüdisches Leben mehr geben könne. Stets sei der Wunsch groß gewesen, so Döpfner, Leo Baeck zu widerlegen, und das wiederaufkeimende jüdische Leben in Deutschland habe es doch auch gezeigt. Doch zweifele er heute auch selbst: »Ich sage ganz ehrlich, die Frage ist noch offen.« Döpfner erhielt dafür stehenden Applaus.