Stuttgart

Hausmusik

Emanuel Grigori Schulze aus Frankfurt/Oder spielt – begleitet von Christian Niculescu – Joseph Haydns Cellokonzert in C-Dur. Foto: Screenshot Brigitte Jähnigen

Die Corona-Pandemie verändert alles – auch den jährlich zu Beginn des Sommers ausgetragenen Internationalen Karl-Adler-Jugendmusikwettbewerb in Stuttgart.

Die 14. Auflage des kurzerhand in »International Online Karl Adler Youth Music Festival« umbenannten Events der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW) fand am vergangenen Sonntag einen ungewöhnlichen Abschluss. Denn ein Preisträgerkonzert wie in den vergangenen Jahren fand 2020 nicht statt.

Stattdessen beschenkten Jurymitglieder ihr Online-Publikum mit einem Zusammenschnitt von Konzerten mit Werken von Astor Piazzolla, David Popper, Guiseppe Verdi und Franz Liszt. Zum Abschluss des außergewöhnlichen Konzertes spielte das Trio Sontraud Speidel (Piano), Josef Rissin (Violine) und Martin Ostertag (Vio-loncello) Peter Tschaikowskys »Trio in a-Moll«.

Beim Wettbewerb der jugendlichen Musiker gab es ein Wiedersehen und -hören mit bekannten Gesichtern aus den vergangenen Jahren. Bisher unbekannte junge Musikerinnen und Musiker aus Russland, den USA und zum ersten Mal auch aus der Türkei nahmen ebenfalls teil.

Die digitale Vortragsweise war eine neue Herausforderung für Teilnehmer und Jury, aber auch für Zuhörer und Zuschauer.

Und doch war dieses Mal alles ganz anders: Das zweitägige Vorspielen der 63 Kinder und Jugendlichen Ende Juni vor den Augen und Ohren der internationalen Jury um Anerkennung und Preisgelder fand auf YouTube statt. Eine neue Herausforderung für Teilnehmer und Jury, aber auch für Zuhörer und Zuschauer.

Goldmedaille Unter den Vortragenden war auch wieder David Chen. Mit seinem Wettbewerbsbeitrag errang der Zwölfjährige den begehrten »Gold Prize A with Honours«. Den erhielten auch Leonid Pak und Maxim Shirobokov aus Moskau. David Chen allerdings war der Jüngste. Die Kamera zeigte David zu Hause im Musikzimmer am Klavier. Ein schmal gewachsener Junge, sein Gesicht fast unbewegt, die Körperhaltung sehr aufrecht. Im Hintergrund auf einem Regal: ein Frauenporträt. Ist es Lyda Chen, Davids Mutter, eine bekannte Bratschistin, oder ist es Martha Argerich, Davids noch berühmtere Großmutter? Die »Löwin am Klavier« wird sie genannt.

Geschmeidig fliegen die Finger des Jungen über die Tasten. David spielt die »Fantasie in d-Moll« (KV 397) von Wolfgang Amadeus Mozart, brilliert mit der »Fantasie Impromptu cis-Moll Opus 66« von Frédéric Chopin und setzt seinen Wettbewerbsbeitrag mit der zeitgenössischen Komposition »Melodie« seines Vaters Vladimir Sverdlov-Ashkenasi fort.

David Chen bekundete schon mit zehn Jahren dass er als Pianist berühmt werden wolle – jetzt ist er auf dem besten Wege dorthin.

Bereits vor zwei Jahren gab David Chen sein Stuttgarter Debüt. Ja, er wolle berühmt werden, berühmt als Pianist, gab er damals freimütig zu. Ein älteres Video zeigt ihn schon früh mit seinem ganz persönlichen Stil. Als die Zuschauer an einer für ihn unpassenden Stelle klatschen, hebt er ernst und bestimmt den Finger der rechten Hand – das Klatschen verstummt. David Chen ist auf dem besten Weg, sein Ziel zu erreichen: mit der ihm eigenen Ausstrahlung und Konzertreife ein berühmter Pianist zu werden.

Teilnehmer Einen so teilnehmerstarken Jugendmusikwettbewerb online auszutragen, erfordert enormen Gestaltungswillen. »Ich glaube, das gab es bisher weltweit nur bei uns in Stuttgart«, mutmaßt Margareta Volkova-Mendzelevskaja. Umso mehr freut sich die Pianistin und Initiatorin des Wettbewerbs über die 63 Meldungen von Nachwuchstalenten aus aller Welt. Mit 47 Teilnehmern waren die Klavierspieler am stärksten vertreten. Ihnen folgten die Violinisten mit 13 Teilnehmern und – ziemlich überraschend – sieben Popsänger.

Doch auch Blasinstrumente, Celli, Harfe, Schlagzeug, Akkordeon, Gitarre und klassischer Gesang waren vertreten. Dass die an die Jury eingesendeten Videos nicht immer die nötige Kamera- und Tonqualität hatten, dass dem Zuschauer auch unfreiwillig persönliche Einblicke in fremde Wohnungen gewährt wurden, durfte die Jury nicht stören.

Trotz verschiedener Qualität der Videoaufnahmen kann man sofort die künstlerische Begabung erkennen, sagt Margareta Volkova-Mendzelevskaja.

»Trotz verschiedener Qualität der Videoaufnahmen kann man sofort die künstlerische Begabung, den Vorbereitungsgrad, kurzum, das Niveau der jungen Künstler erkennen«, sagt Volkovo-Mendzelevskaja. »Wir als Jury verstehen, dass es in Zeiten der Corona-Pandemie ein großes Problem ist, zum Beispiel einen Saal mit Flügel zu finden oder gar ein richtiges Studio.«

Für die jungen Pianisten aus der Stuttgarter Region öffnete die IRGW – unter strenger Einhaltung der Hygieneregeln – ihren Gemeindesaal. Dort, wo sich in all den Jahren junge Künstler, Jury und Zuschauer trafen, herrschte jetzt gähnende Leere. Und es gab weitere Alternativen zum häuslichen Wohnzimmer. Musikschulen, Vereinsheime und sogar ein Theatersaal wurden für die Nachwuchstalente geöffnet.

Sponsoren Barbara Traub war überrascht von den vielen Anmeldungen in diesem Jahr. »Wir haben nicht mit einem solchen Zuspruch gerechnet«, sagt die Vorstandssprecherin der IRGW. Die Gemeinde tritt seit Jahren als wichtigster Sponsor des Festivals auf. »Wir hoffen trotzdem, dass wir im nächsten Jahr die jungen Leute wieder physisch bei uns in der Gemeinde willkommen heißen können und so auch der Beitrag zu Begegnung und Völkerverständigung wieder stärker zum Tragen kommt«, sagte Traub.

Die freischaffenden Künstler haben es während der Pandemie sehr schwer. Auch die Musikschulen schlossen in diesem Jahr für Monate. Umso beeindruckender ist das Engagement junger Musiker wie das der Teilnehmer des »International Online Karl Adler Youth Music Festivals«.
Vielleicht werden es die Popsänger, die in diesem Jahr vor allem aus Moskau ihre Videobeiträge einreichten, auf ihrem Weg ein wenig leichter haben als etwa ein Violinist oder Oboist. Mark Samborskij etwa, der als Popsänger eine profilierte Stimme, aber auch eine besondere Ausstrahlung hat und damit nicht nur Zuschauer daheim, sondern auch die Jury überzeugte. Dem Moskauer wurde eine der »Gold Prize A«-Auszeichnungen verliehen.

Kompositionen Nachwuchskünstler, die beim Wettbewerb eigene Kompositionen vorstellten, waren in Stuttgart bislang noch wenig zu sehen. Maor Sivan aus Israel hat es versucht.

Ihre »Barock-Improvisation in einer beliebigen Tonart« stellte die Zwölfjährige zunächst mit einer Spielkartenpräsentation vor, ehe sie den strengen Gesetzen des musikalischen Barock folgte. Die Jury honorierte ihren Vortrag mit einem »Gold Prize C«.

Üblicherweise verbeugen sich Künstler nach einem Konzert vor ihrem Publikum. Das ersetzte Carmen Dilara mit einem Strahlen vor der häuslichen Videokamera. Die zehnjährige Pianistin aus Istanbul verblüffte mit einer enormen Fingerfertigkeit und erhielt für ihren Festivalbeitrag einen »Gold Prize A«.

Mit Talenten wie Luka Schuk (Cello), Taisia Schuck (Violine), Maya Joffe (Violine), Valentin David Niederer (Trompete), den Geschwistern Endler (Schlagzeug und Posaune) und vielen anderen jungen Musikern ist der Karl-Adler-Jugendmusikwettbewerb zu einer festen Größe im jüdischen Kulturleben der IRGW geworden.

Karl Adler, der wohl bekannteste und bedeutendste jüdische Musikwissenschaftler der Weimarer Zeit, dessen Namen das Nachwuchsfestival trägt, wäre stolz auf den Ehrgeiz und die Haltung der jungen Künstler gewesen, der Einschränkung durch die Pandemie zu trotzen.

Interview

»Wir reden mehr als früher«

Rabbiner Yechiel Brukner lebt in Köln, seine Frau Sarah ist im Herbst nach Israel gezogen. Ein Gespräch über ihre Fernbeziehung

von Christine Schmitt  13.03.2025

Bundeswehr

»Jede Soldatin oder jeder Soldat kann zu mir kommen«

Nils Ederberg wurde als Militärrabbiner für Norddeutschland in sein Amt eingeführt

von Heike Linde-Lembke  13.03.2025

Hamburg

Hauptsache kontrovers?

Mit der Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille wurde die »Christlich-Jüdische Zusammenarbeit 2025 – 5785/5786« eröffnet. Die Preisträger sind in der jüdischen Gemeinschaft umstritten

von Heike Linde-Lembke  13.03.2025

Purim

Schrank auf, Kostüm an

Und was tragen Sie zum fröhlichsten Fest im jüdischen Kalender? Wir haben uns in der Community umgehört, was in diesem Jahr im Trend liegt: gekauft, selbst gemacht oder beides?

von Katrin Richter  13.03.2025

Feiertag

»Das Festessen hilft gegen den Kater«

Eine jüdische Ärztin über Alkoholkonsum an Purim und die Frage, wann zu viel wirklich zu viel ist

von Mascha Malburg  13.03.2025

Berlin

Persien als Projekt

Eigens zu Purim hat das Kunstatelier Omanut ein Wandbild für die Synagoge Pestalozzistraße angefertigt

von Christine Schmitt  13.03.2025

Wilmersdorf

Chabad Berlin lädt zu Purim-Feier ein

Freude sei die beste Antwort auf die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen, sagt Rabbiner Yehuda Teichtal

 12.03.2025

Meinung

An Purim wird »We will dance again« wahr

Das Fest zeigt, dass der jüdische Lebenswille ungebrochen ist – trotz der Massaker vom 7. Oktober

von Ruben Gerczikow  12.03.2025

In eigener Sache

Zachor!

Warum es uns besonders wichtig ist, mit einer Sonderausgabe an Kfir, Ariel und Shiri Bibas zu erinnern

von Philipp Peyman Engel  11.03.2025 Aktualisiert