Bilder von kämpfenden, strapazierten Soldaten. Filmsequenzen von zerstörten Städten und Landschaften: Die virtuelle Jom-Haazmaut-Feier 5781 der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW) startete mit starken Emotionen. Michael Kashi, Mitglied des IRGW-Gemeindevorstands, erklärte: »Wenn man die jüdische Geschichte betrachtet, stellt man fest, dass viele frohe Feiertage mit einem Gedenktag beginnen.« In seinem Grußwort nahm Kashi auch Bezug auf die Haggada: »In jeder Generation kommen solche, die uns vernichten wollen, und Gott, gesegnet sei sein Name, rettet uns vor ihnen.«
Jom Haazmaut sei keine Ausnahme. »Bevor wir uns über die Gründung des Staates Israel freuen, gedenken wir der vielen jüdischen Menschen, die im Kampf um Israel ihr Leben gelassen haben«, so Kashi weiter. Der Kampf um Israel habe eigentlich nie aufgehört, sagt das Vorstandsmitglied, das selbst in Israel geboren wurde.
gründung Seit 150 Jahren müsse die jüdische Bevölkerung mörderische Kämpfe und Terroranschläge überstehen. Und trotzdem: Der UNO-Beschluss vom 27. November 1947, das Mandatsgebiet Palästina zu teilen – von den arabischen Nachbarn und der arabischen Bevölkerung im Mandatsgebiet nicht akzeptiert –, führte dennoch zur Gründung des Staates Israel. »Auch in der schweren Zeit, in der wir uns heute befinden, hat der Staat Israel immer bewiesen, welche Fähigkeit in seiner Nation steckt. Israel ist ein Vorbild für viele Staaten.« Damit sprach Michael Kashi auch die aktuelle Situation in Zeiten des Coronavirus an.
Für Rabbiner Yehuda Pushkin sind es zwei Schlüsselereignisse in der Geschichte Israels, die im Monat Ijar stattfanden: die Gründung des Staates und der Sechstagekrieg. »19 Jahre trennen die beiden Ereignisse, eine Tatsache, die ein Zufall zu sein scheint«, sagt der Gemeinderabbiner in seinem Grußwort. Doch das Gegenteil sei der Fall. Er glaube, dass Gott durch solche »Zufälle« auf die inneren Implikationen der von ihm geführten Geschichte hinweise. Es gebe eine Frage, so Rabbiner Pushkin, die oft diskutiert werde: Wird der Name Gottes in der Unabhängigkeitserklärung Israels erwähnt?
Mehr als 50 Zuschauer verfolgten die Stuttgarter Zoom-Feier, moderiert von Igal Shamailov, am Bildschirm.
Pushkin sagt dazu: »Am 13. Mai 1948 (dem 4. Ijar) wurde ein Komitee einberufen, um den Text der israelischen Unabhängigkeitserklärung fertigzustellen. Einer der Knackpunkte war, ob eine Erwähnung Gottes in der Erklärung enthalten sein sollte.« Säkularisten hätten darauf bestanden, dass der neue Staat Israel ein säkularer Staat sei und Gott folglich nicht erwähnt werden sollte, so der Rabbiner.
Andere, angeführt von Rabbiner Jehuda Leib Maimon, hätten auf die Nennung des Namens des Allmächtigen bestanden. »Ein Kompromiss wurde erreicht, und der Name ›Zur Israel‹ (Fels, Festung) erschien in der Erklärung«, erläutert der Rabbiner weiter. Mit Folgen für alle: Diejenigen, die an Gott glauben, wüssten, dass »Zur Israel« sich auf den Allmächtigen bezieht, und diejenigen, die es nicht täten, könnten es als die Macht des jüdischen Volkes interpretieren.
Mehr als 50 Zuschauer verfolgten die Zoom-Feier, moderiert von Igal Shamailov, am Bildschirm. Ein wenig Freude kam beim Auftritt der singenden Gemeindekinder auf, der als Aufzeichnung eingeblendet wurde. Dass zu Jom Haazmaut traditionell viel erzählt und gesungen wird, zeigte vor allem der berührende Beitrag von Kantor Nathan Goldman aus der Synagoge und der Auftritt der israelischen Sängerin Shai Terry. Die gemeinsam gesungene israelische Nationalhymne »Hatikwa« (Hoffnung) war schließlich der Höhepunkt der würdevollen Zoom-Feier.
Anekdoten Auch in den anderen Gemeinden standen die Feierlichkeiten zu Jom Haazmaut unter den Vorzeichen der Corona-Pandemie. Und so begingen sie den 73. Geburtstag des Staates Israel vorwiegend mit Online-Veranstaltungen. Die Jüdische Gemeinde Darmstadt lud ab 19 Uhr zu einem Jom-Haazmaut-Online-Special auf ihrer Facebook-Seite ein. Der in Israel lebende Reiseführer Schmuel Kahn rückte die Entstehungsgeschichte Israels in den Fokus und bot in seinen selbst gedrehten Videos »historische Fakten und Anekdoten zur Unabhängigkeitserklärung«.
Vor dem Rathaus Saarbrücken wehten Staatsflaggen als Zeichen der Freundschaft.
Auch die Jüdische Gemeinde Frankfurt trat am Jom Haazmaut eine virtuelle Reise nach Israel an. »Ganz bequem von zu Hause reisen Sie mit unserem privaten Stadtführer virtuell durch Tel Aviv und Jerusalem«, hatte sie angekündigt. Und Gemeindemitglieder, die sich eingewählt hatten, entdeckten Orte, neu oder altbekannt, sahen Personen und Plätze, die mit Frankfurt verbunden sind. Die virtuelle Israelreise auf jg-ffm.de ließ die Teilnehmer – ausgestattet mit einem Flugticket FRA–TLV – kostenfrei zu Israels Mittelmeermetropole abheben.
EhrbeZEUGUNG Erstmalig wurde im Saarland der israelische Unabhängigkeitstag mit einer ganz besonderen Ehrung seitens der Landeshauptstadt und der saarländischen Landesregierung begangen.
In Kooperation mit der Synagogengemeinde Saar wurde an diesem Tag als Zeichen der uneingeschränkten Solidarität, Freundschaft und Anerkennung für den jüdischen Staat die israelische Fahne, gemeinsam mit der europäischen und der deutschen, vor dem saarländischen Landtag sowie vor dem Saarbrücker Rathaus St. Johann gehisst.
In einer Zoom-Runde von KKL sprachen Arye Sharuz Shalicar und Melody Sucharewicz über die aktuelle gesellschaftliche, ökologische und politische Lage in Israel.
Sowohl der Saarbrücker Oberbürgermeister Uwe Conradt (CDU) als auch der Landtagspräsident Stephan Toscani bekräftigten mit dieser Aktion ihre deutliche Verbundenheit mit Israel und auch den saarländischen Juden, die parallel dazu an einem Infostand ausgelassen und dennoch coronakonform über Land und Kultur Israels informierten.
Uwe Conradt betonte: »Wir sind froh und dankbar, in Saarbrücken eine so aktive jüdische Gemeinde zu haben, die auch zu den deutsch-israelischen Beziehungen durch ihre Verbindungen, Freundschaften und Kooperationen maßgeblich beiträgt.«
Der Jüdische Nationalfonds – Keren Kayemeth LeIsrael würdigte den Tag mit einem Expertentalk. Arye Sharuz Shalicar und Melody Sucharewicz sprachen über die aktuelle gesellschaftliche, ökologische und politische Lage in Israel. Dabei gaben sie natürlich einen Einblick in die Konsequenzen der aktuellen Wahlen, die Folgen der Umweltkatastrophe sowie die Perspektiven der aktuellen außenpolitischen Entwicklungen.