Frankfurt

Harmonische Hilfe

»Uschi, mach kein Quatsch«: Stephan Sulke sang auch in der Schönstädt Loge seinen größten Hit. Foto: Rafael Herlich

Kommst du singen?», hatte Mati Kranz seinen Freund, den Liedermacher Stephan Sulke, gefragt. «Ich zahl’ dir nichts!», fügte Kranz, Mitglied der «B’nai B’rith Frankfurt Schönstädt Loge», allerdings hinzu. Sulke kam trotzdem, und er kam hörbar gerne, um seine teils melancholischen, teils amüsanten Lieder zu singen. Anderthalb Stunden lang unterhielt er sein Publikum im restlos ausverkauften Saal der Loge – auch ohne Gage.

Und natürlich musste er es singen, jenes Lied, das für ihn nur ein Pausenfüller auf einer Platte war und das ihn dennoch wie kein anderes berühmt machen sollte: «Uschi, mach kein Quatsch». Die Fans unter den Zuhörern ließen es sich nicht nehmen, lauthals mitzusingen, wobei sie die Gäste ringsum mit ihrer Textsicherheit verblüfften. So ausgelassen wird wahrscheinlich nur selten im dunkel getäfelten Vortragssaal des Frankfurter Logenheims herumgealbert. Am Ende wollte man den Künstler gar nicht gehen lassen, sondern forderte mit lang anhaltendem Applaus auch noch zwei Zugaben ein.

Ukraine Für die B’nai B’rith Frankfurt Schönstadt Loge war dieser Samstagabend im Westend ein voller Erfolg. Aber wie immer bei dieser Institution ging es um mehr als das reine Vergnügen. So lud der Präsident der Loge, Ralph Hofmann, alle Anwesenden im Anschluss an das Konzert nicht nur zu einem Empfang mit Buffet ein, sondern bat sie auch um eine Spende für bedürftige jüdische Menschen in der Ukraine. Unter ihnen, so erläuterte Hofmann, befänden sich auch Überlebende der Schoa, für die es keinerlei soziale Unterstützung durch den Staat gebe. Man kümmere sich außerdem auch um jene Ukrainer, die nachweislich Juden während des Krieges geholfen hatten, sich vor den Nazis zu verstecken, und die heute ebenfalls in bitterster Armut leben.

«Wohltätigkeit» gehört neben der «Bruder- und Schwesterliebe» und der «Eintracht» zu den drei Säulen, auf denen das Engagement der B’nai-B’rith-Loge seit ihrer Gründung beruht. Im Grunde ist diese Bewegung in Deutschland so etwas wie ein Re-Import, denn es waren zwölf aus Deutschland ausgewanderte Juden, die 1843 in New York den ersten unabhängigen Orden «B’ne Briss» ins Leben riefen. Und aus Amerika kehrte diese Idee dann zunächst nach Berlin zurück, wo 1882 die erste jüdische «Reichs-Loge» gegründet wurde. Sechs Jahre später, 1888, war es dann auch in Frankfurt so weit.

Grundsätze «Israeliten zu vereinigen zur Förderung der höchsten und idealsten Güter der Menschheit (...) und zu stärken, die reinsten Grundsätze der Nächstenliebe, der Ehre und des Patriotismus ihnen einzuprägen, Wissenschaft und Kunst zu unterstützen, die Not der Armen und Bedürftigen zu lindern, die Kranken zu pflegen, den Opfern der Verfolgung zu Hilfe zu kommen, Witwen und Waisen zu beschützen und ihnen in allen Lagen hilfreich beizustehen» – mit diesen hochgesteckten Zielen nahm die Frankfurt Loge 1888 ihre Arbeit auf.

«Im Grunde war das eine elitäre Angelegenheit», meint Hofmann. «Alle Mitglieder entstammten dem gehobenen jüdisch-bürgerlichen Milieu. Man wollte den ärmeren Menschen, deren Arbeitsleistung man ja auch zum Teil den eigenen Reichtum verdankte, etwas zurückgeben», glaubt er. Gleichzeitig sollten die Zusammenkünfte in der Loge «assimilierten Juden Gelegenheit geben, ihr Judentum zu leben».

Dabei zeigte sich die Loge überkonfessionell: Man konnte und kann dort stets fromme, konservative und liberale Juden in harmonischem Miteinander antreffen. Berühmt war damals der sogenannte Fragekasten, in den die Logenmitglieder Zettel mit Fragen zu geistesgeschichtlichen oder religiösen Themen einwerfen konnten, in der Hoffnung, dass ein kundiger «Bruder» ihr Problem aufgreifen und in Form eines Vortrags beantworten würde.

Neuaufbau 1937 musste die Loge Frankfurt ihre Arbeit einstellen, ihr Vermögen wurde beschlagnahmt. 20 Jahre später gab es erste Versuche einer Neugründung, doch die Dachorganisation B’nai B’rith International in Washington stellte unmissverständlich klar, dass man an einem deutschen Ableger kein Interesse habe. Drei Jahre später waren diese Vorbehalte überwunden: Wieder gab es eine jüdische Loge in Frankfurt. Heute zählt die Vereinigung knapp 150 Mitglieder; weltweit gehören etwa eine halbe Million Menschen in 60 Ländern den B’nai B’rith an.

Die drei Säulen «Wohltätigkeit», «Bruder- und Schwesterliebe» und «Eintracht» bilden auch heute noch das Fundament der Arbeit. «Wir versuchen, Einzelnen schnell und unbürokratisch zu helfen», sagt Hofmann, er gehört seit 1993 der Loge an. Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, ist der Ehrenvorsitzende der Frankfurter Loge.

Besonders wichtig ist Hofmann die Integration der jüdischen Zuwanderer aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion – Menschen wie Lali Leviashivili, die vor allem das «interessante Veranstaltungsprogramm» der Loge loben. Frauen werden übrigens seit 1973 als «Schwestern» aufgenommen.

Logen-Schwestern «Ich wollte der Community angehören», sagt Lali, «man trifft hier jede Menge toller Leute, unter denen sich auch viele junge Menschen befinden.» Um auch den Nachwuchs für die Tradition der Loge zu gewinnen, finden eigene Kabbalat-Schabbat-Feiern für Jüngere im Logenheim statt. «Die jüdische Gemeinschaft muss zusammenhalten», betont Lali Leviashivili. «Wenn wir uns nicht gegenseitig helfen, wer hilft uns dann?» Doch weist die Bankerin den Gedanken, es gehe hierbei vor allem um berufliche Netzwerke, entschieden zurück: «Geld und Geschäft sind mir nicht wichtig. Ich habe hier Seelenverwandtschaft gesucht – und auch gefunden!»

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