Blumen, Kerzen und ein Smartphone hält Daniel Peretz in den Torhüter-Händen, während er an Charlotte Knoblochs Bürotür klopft und dabei noch gleichzeitig ein Selfie-Video dreht. Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG) empfängt den israelischen FC-Bayern-Star mit einem herzlichen Lächeln: »Es ist so schön, dich wieder in der Gemeinde zu empfangen, Daniel.« Nur wenige Wochen zuvor war er mit dem Vorstand des Vereins hier zu Gast gewesen.
Peretz, eben erst wieder in München gelandet, ist von dem Empfang sichtlich berührt. Denn: Er will mit Charlotte Knobloch über die Vergangenheit sprechen, will ihre Geschichte hören. Begleitet wird er von einem dreiköpfigen Team aus Israel: Asaf Kupferstein von Meta Israel, Regisseur Roi Wander und dessen Sohn halten das Gespräch mit ihren Smartphones fest. Denn Peretzʼ und Knoblochs Austausch erfolgt nicht rein privat: Aus den Aufnahmen wird in den kommenden Wochen ein Video zusammengeschnitten, das als Reel auf den Social-Media-Plattformen von Meta zum Jom Haschoa veröffentlicht werden wird.
Meta und »Shem veNer« wollen sich für die Erinnerung an Holocaust-Überlebende einsetzen
Bei dem Projekt handelt es sich um eine Kooperation von Meta Israel und dem Verein »Shem veNer« (Name und Kerze), der sich für die Erinnerung an Holocaust-Überlebende einsetzt. Bereits zum fünften Mal wird die Initiative mit dem Titel »Maalim Zikaron« (Sharing Memories) in diesem Jahr mit verschiedenen Kooperationspartnern durchgeführt. Prominente, Künstlerinnen und Künstler sowie Influencer aus Israel und dem Ausland nutzen dabei ihre Reichweite in den sozialen Medien, um der jüngeren Generation die Geschichten der Überlebenden näherzubringen.
Etwa 20 Prominente nehmen jedes Jahr teil, und neben Millionen von Aufrufen werden dabei auch beachtliche Spenden generiert, die bedürftigen Überlebenden zugutekommen. Beteiligt hat sich in diesem Jahr auch die israelische Sängerin Eden Golan, die beim Eurovision Song Contest 2024 mit ihrem emotionalen Song »Hurricane« trotz der heftigen anti-israelischen Proteste einen beachtlichen fünften Platz erreichte.
Auch der olympische Bronzemedaillengewinner Peter Paltchik und der Schauspieler und Comedian Michael Rapaport waren bereits dabei. Die Resonanz ist jedes Mal aufs Neue groß. »Wir sehen die Kommentare, die Postings und die vielen Medienbeiträge«, erzählt Asaf Kupferstein, »es sind immer sehr emotionale Reaktionen.«
Der Fokus ändert sich immer wieder. Im vergangenen Jahr standen die Gespräche völlig unter dem Eindruck des 7. Oktober 2023. So etwa bei der bewegenden Geschichte von Haim Ra’anan: Er überlebte das Ghetto in Budapest und war später Mitgründer des Kibbuz Be’eri. Als Überlebender berichtete er daher auch über das Massaker dort.
In diesem Jahr lautet das Thema »Tkuma«, was man mit »Wiedergeburt«, aber auch »Widerstandskraft« und »Überlebensfähigkeit« übersetzen könnte. Gerade für Charlotte Knobloch ist dieser Schwerpunkt bedeutsam. Aus der fast völlig zerstörten jüdischen Gemeinschaft Münchens ist nach dem Krieg und der Neugründung unter anderem durch ihren Vater Fritz Neuland die heute größte jüdische Gemeinde in Deutschland erwachsen, wie sie dem aufmerksam zuhörenden Peretz erklärt.
»Ich wusste damals noch nicht einmal, was das Wort ›Jude‹ bedeutet«
Den größten Raum im Gespräch nehmen jedoch die Erlebnisse Knoblochs während ihrer Kindheit in den 30er-Jahren ein. »Eines Tages war im Hof das Tor zu den spielenden Kindern für mich zu«, erinnert sich Knobloch an die einsetzenden Repressionen. Ob sie als kleines Mädchen überhaupt verstehen konnte, was damals in Deutschland geschah, fragt Peretz. »Ganz zu Anfang noch nicht«, gibt Knobloch zur Antwort, »ich wusste damals noch nicht einmal, was das Wort ›Jude‹ bedeutet. Ich wusste nicht, ob ich etwas falsch gemacht hatte.«
Es werden beachtliche Spenden generiert, die bedürftigen Überlebenden zugutekommen.
Mit der Zeit sei ihr das Ausmaß der Situation immer deutlicher geworden, nicht zuletzt, als verzweifelte Freunde in der Anwaltskanzlei ihres Vaters Unterstützung suchten und als sie im November 1938 die Pogromnacht miterleben musste. Schließlich brachte ihr Vater sie 1942 auf dem Bauernhof der Familie Hummel im mittelfränkischen Arberg unter. Kreszentia Hummel, eine ehemalige Hausangestellte des Onkels von Charlotte Knobloch, gab das Mädchen als ihr uneheliches Kind aus und rettete ihr so das Leben.
Daniel Peretz fühlt sich in München sicher - auch dank Charlotte Knobloch
Besonders aber erinnert sich Charlotte Knobloch an ihre Großmutter Albertine Neuland, die im Juli 1942 nach Theresienstadt verschleppt und dort ermordet wurde. Für ihr Andenken hat Daniel Peretz eine Kerze mit ihrem Namen mitgebracht. In einem gemeinsamen Augenblick der Stille gedachten beide ihrer Hand in Hand. Auch das Social-Media-Team hielt für einen Moment inne.
Der Wiederaufbau der Gemeinde nach dem Krieg sei alles andere als selbstverständlich gewesen. Lange Zeit war nicht einmal klar, ob Knobloch überhaupt in Deutschland bleiben oder in die USA auswandern würde. Es war vor allem ihr Vater, der sich für das Bleiben einsetzte.
Auch wenn seit dem 7. Oktober die antisemitischen Vorfälle weltweit drastisch zugenommen haben, ist der israelische Torhüter gern in München. »Ich fühle den Support der Fans, und ich fühle mich in München sicher. Und das auch dank der Arbeit von Charlotte Knobloch«, sagt Peretz.
Das Kompliment kann die IKG-Präsidentin so nicht stehen lassen: »Die Situation ist leider insgesamt unsicherer geworden.« Dann nimmt sie den Sportler bei der Hand und führt ihn durch den »Gang der Erinnerung« in die Hauptsynagoge »Ohel Jakob«. Bei strahlendem Sonnenschein verabschieden sich die beiden schließlich vor dem Gebäude. Es war ein herzliches und freundschaftliches Treffen: In wenigen Tagen wird es auch viele Menschen online erreichen.