Mit prallen Bäckchen bläst das kleine Mädchen in den bunten Luftballon, der fast größer ist als ihr Kopf. Eine junge Frau steht lächelnd in einem Raum, in dem rundum zahlreiche Pakete bis unter die Decke gestapelt sind. Eng aneinander stehen Menschen aller Generationen auf einem Dorfplatz, während die kräftigen Sonnenstrahlen einfallen und die »Hand in Hand« betitelte Menschenkette in ein warmes Licht tauchen.
Diese Impressionen geben etwas von dem Optimismus wieder, der die von der Hochwasserkatastrophe im Jahr 2021 betroffenen Menschen und die zahlreichen Helfer verbindet. Ihnen allen gemeinsam ist die Überzeugung, die auf dem plakatgroßen Kunstwerk steht, das Kinder und Jugendliche unter der Überschrift gestaltet haben: »Wir sind stAHRk!«
FLUTGESCHICHTEN Seit einigen Tagen befindet sich dieses Objekt zusammen mit den eingangs beschriebenen Fotos sowie vielen anderen Exponaten in der Ausstellung Flutgeschichten im Bürgerzentrum von Bad Neuenahr-Ahrweiler im Ahrtal. Es ist gerade einmal etwas mehr als sieben Monate her, dass das Gebäude wie nahezu das gesamte Stadtgebiet mit dem mittelalterlichen Stadtkern von der meterhohen Flutwelle überrollt worden ist, die sich durch das Ahrtal wälzte. Auch um die ehemalige, 1894 erbaute kleine Synagoge, einen Steinwurf vom Bürgerzentrum entfernt, standen die Wassermassen.
»Es ist ein sehr langer Weg, aber es geht jeden Tag etwas voran, weil so viele Menschen beteiligt sind und zusammenstehen«, sagt Carlo Schenk, Projektleiter für die Flutgeschichten. »Das Ausstellungsprojekt soll von diesen vielen positiven Zeichen und Aufbrüchen erzählen.« Ausgangspunkt waren Fotos, die die Projektmitarbeiterin Beyza Corapcigil seit Beginn ihrer Arbeit im Katastrophengebiet zur Dokumentation gemacht hat.
Die Hilfsorganisation IsraAID hat die Schau in Kooperation mit der ZWST organisiert.
Daraus ist eine Ausstellung entstanden, die Betroffene und Helfer der Naturkatastrophe einlädt, ihre persönlichen Geschichten durch Fotos, Kunst oder in anderen aussagekräftigen Zeitzeugnissen und Objekten zu erzählen. »Wir wollen nicht wieder die Flut erzählen«, sagt Corapcigil, die die Ausstellung kuratiert hat. »Wir wollen von Solidarität, vom Wiederaufbau, vom gegenseitigen Mutmachen erzählen und diesen Geist weitergeben.«
PROJEKT Für Schenk und Corapcigil ist es das zweite Projekt, das sie im Ahrtal betreuen. Sie sind Mitarbeiter der in Berlin ansässigen deutschen Sektion von IsraAID. Ursprünglich ist diese international tätige humanitäre Hilfsorganisation 2001 in Israel entstanden. Im Zusammenhang mit dem Flüchtlingszuzug ist 2016 eine deutsche Sektion gegründet worden, um psychosoziale Unterstützung bei Traumabewältigung sowie bei der Integration von Geflüchteten zu leisten.
Im vergangenen Jahr dehnte IsraAID Deutschland sein Engagement aus. Die Organisation bringt sich in den sozialen Wiederaufbau sowie die Unterstützung für ein nachhaltiges Leben in den Hochwassergebieten in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ein.
Die Besucher können sich ins Gästebuch eintragen oder ihre Wünsche und Gedanken auf Leinwänden gestalten.
»Wenige Tage nach der Flut waren wir hier und haben zunächst mit ganz einfachen Maßnahmen wie beispielsweise dem Einkaufen und Verteilen von Schaufeln und Gummistiefeln angefangen«, berichtet Schenk. IsraAID rekrutierte Freiwillige, in der Spitze über 100 Personen. Nach und nach wurden dann Strukturen aufgebaut und spezifische Hilfsangebote – etwa Workshops für Kinder und deren Eltern, Aktionen für Jugendliche, kunsttherapeutische Projekte, Resilienz-Training. So konnten beispielsweise in bestimmten Kursen mit Materialien wie Holz, Ton und Farbe kleine Häuser modelliert werden.
KOOPERATION Solche Angebote sind auch feste Elemente der in Kooperation mit der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) organisierten Schau, die sich dezidiert als »interaktive Kunstausstellung« versteht. Neben den Workshops können sich Besucher und Teilnehmer des Projekts auch ins Gästebuch eintragen oder ihre Wünsche und Gedanken auf großen Leinwänden malerisch und schriftlich gestalten.
»Die Ausstellung ist kein abgeschlossenes, sondern ein wachsendes Projekt zur Unterstützung und Rehabilitation von Betroffenen«, betont Beyza Corapcigil. Durch die interaktiven Elemente können die Menschen in Kommunikation treten und auf diese Weise eigene Ereignisse und Erlebnisse verarbeiten. Seit der Eröffnung sind bereits über 1000 weitere Fotos und andere Objekte eingegangen, die auf individuelle Weise von (Wieder-)Aufbau und Solidarität berichten.
»Flutgeschichten« ist bis zum 12. März in Bad Neuenahr-Ahrweiler zu sehen. Weitere Infos unter www.israaid-germany.de und www.zwst.org