Ende November 2020 hatte der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags beschlossen, den Wiederaufbau der Hamburger Bornplatzsynagoge in die Maßnahmenliste zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Antisemitismus aufzunehmen und stellte dafür rund 65 Millionen Euro zur Verfügung. Inzwischen gab es eine Unterschriftensammlung zum Wiederaufbau, bei der sich 107.000 Menschen dafür aussprachen. Die Jüdische Allgemeine hat jüdische Hamburger befragt, was sie von der Idee des Wiederaufbaus halten und wie die Synagoge gestaltet werden sollte.
Michael Heimann (66), Rechtsanwalt/Steuerberater
Rekonstruktion braucht nicht eine Wiederherstellung in allen Aspekten zu bedeuten. Der Einschnitt, den die Schoa bedeutet, kann auch durch architektonische Mittel in dem wiederhergestellten Bau dargestellt werden. Die Gemeinde heute ist nicht mehr die Gemeinde der historischen Bornplatzsynagoge. Als Folge der Schoa sind wir nun eine Einheitsgemeinde, in der die verschiedenen Richtungen des Judentums ihren Platz finden. Diese neue Gemeinde muss ihren Ausdruck auch in der Nutzung der neuen Bornplatzsynagoge finden. Als ausschließlich orthodoxe Synagoge würde sie nicht die Realität unserer Gemeinde widerspiegeln und ein falsches Signal in die Stadt aussenden.
Michael K. Nathan (82), Journalist, Autor und Übersetzer
Die große Bornplatzsynagoge neu aufbauen oder nicht? Ich meine: Auf keinen Fall! Es gibt so viele Gründe dagegen, dass dieser Rahmen dafür nicht ausreicht. Ich will mich daher auf die wesentlichen Argumente konzentrieren: Die große Synagoge hatte Platz für etwa 4000 Betende. Die heutige Gemeinde hat rund 3500 Mitglieder, von denen nur wenige Dutzend gelegentlich in die bestehende Synagoge gehen. Da würde der geplante Neubau unsinnig und protzig, wie aus der Zeit gefallen wirken.Ein Neubau im alten Stil könnte die Geschichte der Vernichtung der alten Synagoge vergessen machen. Das kann nicht im Sinne der Stadt Hamburg und der Jüdischen Gemeinde sein.
Viola Roggenkamp (72), Schriftstellerin
Was war, ist gewesen, und wir sollten nichts wieder hinstellen, als sei es nicht zerstört worden.
Ruben Herzberg (69), Gemeindevorsitzender bis 2011, Redaktionsleiter »Hamburg macht Schule«
Keine Kopie der alten Synagoge – als hätte es die Schoa nicht gegeben – stelle ich mir vor, sondern eine neue Synagoge mit Gemeindezentrum, Räumen für Veranstaltungen und einem Ort der Erinnerung an unserem alten Platz. Vor der Schoa gab es in Hamburg eine Vielzahl von Synagogen der unterschiedlichen Glaubensrichtungen. Sie alle sind verschwunden. Ein Neubau auf dem ehemaligen Bornplatz sollte für alle jüdischen Glaubensrichtungen ein Zuhause werden, das in die Stadtgesellschaft ausstrahlt.
Peter Zamory (68), Arzt, Sprecher der Grünen-Fraktion für Erinnerungskultur in der Hamburger Bürgerschaft
Ich befürworte den Wiederaufbau in der äußerlich historischen Form – so wie die Hamburger Gemeinde es wünscht. Den Kritikern sage ich, bitte respektiert, dass die Gemeinde die Definitionsmacht über die Art und Weise der Wiedererrichtung hat. Es war unsere Synagoge, die zerstört wurde, wir sind glücklich über das Zeichen, dass es den Nazis nicht vollständig gelungen ist, jüdisches Leben und jüdische Orte auszulöschen. Ein persönlicher Wunsch: Als Mitglied des Reformgottesdienstes wäre es großartig, innerhalb der Synagoge einen eigenen Betraum zu erhalten – vielleicht mit separatem Ein- oder Aufgang – im Sinne einer lebendigen Einheitsgemeinde!
Peggy Parnass (93), Journalistin und Schriftstellerin
Das Gebäude ist mir zu groß, zu üppig und zu kalt. Aber der Platz ist nicht schlecht. Ich wünsche mir eine kleine, kuschelige Synagoge, in der man sich zu Hause fühlen kann.
Barbara Guggenheim (63), Mitbegründerin des Jüdischen Salons am Grindel
Ich lebe in Hamburg im Grindel-Quartier, und meine fußläufigen Wege führen oft an oder über den Ort der ehemaligen Bornplatzsynagoge. Die Lücke der Erinnerung, die die Zerstörung der größten Synagoge Norddeutschlands 1938 hier gerissen hat, berührt mich jedes Mal. Sie könnte für mich als solche bestehen bleiben. Sollte doch ein Synagogenneubau entstehen, so würde ich mir dafür eine neuzeitliche Architektur wünschen, für die es weltweit, aber auch in Deutschland, bereits sehr gelungene Beispiele gibt. Was mich aber besonders stört, ist die Aussage der Kampagne der Befürworter, die besagt, dass, wer nicht für den Wiederaufbau der alten Bornplatzsynagoge sei, sich einer antisemitischen Gesinnung schuldig macht. Kann ich, als bekennende Jüdin, Antisemitin sein, nur weil ich dem Projekt nicht 1:1 zustimme?
Philipp Stricharz (42), 1. Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Hamburg
Die Bornplatzsynagoge wiederaufzubauen, ist genau der richtige Weg. Die Jüdische Gemeinde hat 1906 dieses Gebäude direkt neben unserer 2007 wiedereröffneten jüdischen Schule errichtet, um zu zeigen, dass sie jeden Tag, mitten in der Stadt, ihren Platz als stolzer Teil der Hamburger Stadtgesellschaft beansprucht. Dies wollten die Nazis nicht zulassen. Ein früherer Wiederaufbau scheiterte auch an den Hamburger Nachkriegsbehörden. Ich bin froh, dass sich heute so viele Bürger und Institutionen wie Bürgerschaft, Senat, Bundestag, Zentralrat, WJC, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung und viele andere bei diesem Projekt hinter uns stellen. Auch heute wollen Antisemiten, dass Judentum unsichtbar ist und Juden sich verstecken müssen. Leere Plätze und Erinnerungstafeln ändern daran nichts. Das macht den Wiederaufbau umso wichtiger.
Shlomo Bistritzky (43), Landesrabbiner der Freien und Hansestadt Hamburg
Der Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge ist das größte jüdische Bauprojekt seit dem Holocaust in Deutschland. Es wird die Bedürfnisse der Gemeinde in der aktivsten Entwicklungsphase seit dem Holocaust erfüllen. Die einstimmige Unterstützung des Hamburger Parlaments und die Unterzeichnung von über Hunderttausend Hamburgerinnen und Hamburgern für den Wiederaufbau sind eine klare Aussage der Stadt: »Wir sind gegen Antisemitismus und für sichtbares jüdisches Leben in Hamburg!« Die Zukunft der Jüdischen Gemeinde in Hamburg scheint heute die beste Zukunft seit dem Holocaust zu sein.
Stefanie Szczupak (54), Dezernentin des Joseph-Carlebach-Bildungshauses, Mitglied im Gemeindevorstand
Der Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge ist uns eine Herzensangelegenheit. Bisher schauen unsere Schüler und Schülerinnen auf einen leeren Platz, dessen Geschichte ihnen, je nach Alter, durchaus bewusst ist. Thematisch haben wir in einem Projekt der Schüler und Schülerinnen schon 2017 die Leere des Platzes und die Geschichte der Bornplatzsynagoge aufgearbeitet, wofür sie mit dem Margot-Friedländer-Preis ausgezeichnet wurden. Schon damals lautete das Fazit und die Hoffnung der Schüler und Schülerinnen, dass der Gebäudekomplex der ehemaligen Talmud-Tora-Schule und der Bornplatzsynagoge wiederhergestellt werden sollte. Umso mehr schließen wir uns heute diesem Wunsch der nachfolgenden Generation an und hoffen, dass wir in absehbarer Zukunft eine wiedererrichtete Bornplatzsynagoge auch mit unseren Schülern und Schülerinnen nutzen können.
Zusammengestellt von Eugen El