Die Angst nach den jüngsten Terrorattentaten in Paris macht nicht Halt an der deutsch-französischen Grenze. In den benachbarten deutschen Gemeinden pflegt man gute Beziehungen zu den französischen, entsprechend groß ist die Anteilnahme, zumal es nicht die ersten antisemitischen Terrorakte waren.
Und so hat Richard Bermann an diesem späten Montagnachmittag eigentlich gar keine Zeit, groß über Solidarität zu reden. Gleich soll in Saarbrücken die große Gegendemonstration »Bunt statt braun« stattfinden, mit dem sich ein breites Bündnis dem saarländischen Pegida-Ableger Saargida entgegenstellen will. »Wir werden ein deutliches Zeichen setzen«, ist sich der Vorsitzende der Saarbrücker Gemeinde sicher, er rechne mit deutlich mehr als den avisierten 3000 Teilnehmern (am Ende werden es 9000 sein).
Ausnahmezustand Schon seit geraumer Zeit habe er ein beklemmendes Gefühl gehabt, sagt er. »Bei allen Ressentiments und allen Terroranschlägen, die in den vergangenen Jahren gegen jüdische Franzosen gerichtet waren, hätte man sich aber doch nicht träumen lassen, dass eine derartige Eskalation möglich ist.« Und fragt: »Wie hasserfüllt muss man sein, um auf einen verletzten, wehrlos am Boden liegenden Menschen zu schießen?« Die jüngsten Anschläge seien »eine Katastrophe für die jüdischen Menschen in Frankreich. Sie sind in einem Ausnahmezustand, sie fürchten nicht nur um ihr eigenes Leben, sondern auch um das ihrer Kinder, Freunde, Bekannten«.
Die eigene Sicherheit müsse deswegen jedoch nicht erhöht werden, die Saarbrücker Gemeinde verfüge ohnehin über einen sehr hohen Standard. »Wir sind außerdem im ständigen Dialog mit den zuständigen Behörden und dazu gut vernetzt, von daher mache ich mir nicht so große Sorgen – aber was die Situation außerhalb der Synagoge betrifft, muss man wohl abwarten.«
Im grenznahen Bereich in Frankreich leben 28.000 Muslime in einem Viertel mit extrem hoher Arbeitslosigkeit, schildert Bermann. »Wenn Jugendliche keine Perspektive haben – und dies ist ein Fehler der französischen Regierung –, entwickelt sich zwangsläufig nicht nur Kriminalität, auch Hassprediger haben leichtes Spiel.« Deren Botschaft werde von jungen Menschen, die kaum Aussicht auf Arbeit haben, natürlich aufgesogen wie von einem Schwamm.
Gleichzeitig ist Bermann enttäuscht von den bisherigen Reaktionen muslimischer Verbände und Imame. Eine klare Distanzierung von terroristischen Gruppen sei notwendig. »Ich befürchte, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis auch in Deutschland ein Terroranschlag verübt wird, ob nun gezielt auf Juden oder Nichtjuden. Und dann wird eine unglaubliche Hysterie ausbrechen, unter der die vielen friedlichen Muslime leiden werden.«
Terror hautnah Frankreich sei nicht nur räumlich nah, sagt auch Jeanne Bakal, Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde Trier. »Alle unsere Kantoren und Rabbiner kommen von dort.« Und so seien die Anschläge von Paris natürlich ein besonderer Schock gewesen. Die Sicherheitsvorkehrungen in Trier wurden nun noch einmal verschärft. »Man kann zwar nicht dauernd in Angst leben, aber eine gewisse Unsicherheit ist schon da. Und das bereits seit dem Sommer, als islamistischer Terror immer mehr Schlagzeilen machte.« Und so habe man auch schon lange vor den Terroranschlägen hautnah mitbekommen, wie unsicher sich Juden im Nachbarland fühlten. »Unser ehemaliger Vorbeter und der Kantor, beide Franzosen, haben schon vor längerer Zeit Alija gemacht, sind also nach Israel ausgewandert.«
Eigentlich sei Trier ein guter Ort für Juden. »Wir haben auch gute Beziehungen zur muslimischen Gemeinde und schon viele gemeinsame Aktionen gemacht. Aber es kann ja immer ein Terrorist aus einer anderen Stadt oder eben aus dem benachbarten Frankreich kommen«, gibt Bakal zu bedenken. Mit der muslimischen Gemeinde der Stadt habe sie seit den Anschlägen von Paris noch keinen Kontakt gehabt. »Ich nehme einfach an, die sind genauso im Schock und ratlos. Wir hatten gerade erst im Herbst noch darüber gesprochen, dass wir den Weg des Zusammenlebens aller Religionen einschlagen wollen.«
Insgesamt gebe es in Trier große Anteilnahme, sagt Bakal und berichtet nicht nur von vielen Trauerplakaten, sondern auch von einem Modegeschäft, das sein Schaufenster zum Protest gegen den Anschlag auf den koscheren Laden in Paris genutzt hat. »In der Auslage liegen nur zerrissene Plastiktüten und sonst nichts, keine Waren. Das ist ein schönes Zeichen der Solidarität mit den jüdischen Opfern«, sagt Bakal.
Sicherheit »Ich bin am 7. Mai 1993 aus der Ukraine nach Freiburg gekommen, und ich habe mich hier immer sicher gefühlt«, erzählt die Freiburger Gemeindevorsitzende Irina Katz. Nach den Terroranschlägen in Paris werden die Sicherheitsvorkehrungen allerdings verschärft. »Es gibt hier in der Stadt nur zwei jüdische Einrichtungen, unsere Synagoge und die Kita, koschere Läden oder Restaurants haben wir nicht«, erklärt die Gemeindevorsitzende.
In der Freiburger Gemeinde war gerade am Tag vor dem Anschlag auf die Satirezeitung »Charlie Hebdo« unter anderem die Schriftstellerin Alissa Ganijewa zu Gast gewesen, in deren Buch Die russische Mauer unter anderem die Islamisierung ihres Heimatlandes Dagestan im Mittelpunkt steht. »Wir hatten uns also schon mit dem Thema beschäftigt, denn an dem Abend wurde intensiv diskutiert«, berichtet Katz. Trotzdem seien die Attacken natürlich »plötzlich und unerwartet gekommen. Aber das ist ja immer so, man rechnet nie mit solchen schrecklichen Taten«.
Überwachung Andererseits, betont sie, »ist es nun doch vielleicht nicht so plötzlich und unerwartet geschehen, wenn man sich die Geschichten der Terroristen ansieht«. Sie wundere sich schon, warum die Behörden bei dem Kenntnisstand, der jetzt offenbar wurde, nichts unternommen hätten, und man die späteren Täter nicht besser überwacht hat.
Irina Katz ist gerade vom Trauermarsch in Paris zurückgekehrt, bei dem anderthalb Millionen Menschen der Opfer der Anschläge gedachten. Am Abend war sie zudem in der Großen Synagoge, wo unter anderem Benjamin Netanjahu gesprochen hatte. »Es ist durchaus ein seltsames Gefühl, so viel Polizei auf den Straßen zu sehen. Irgendwie widerspricht diese offenkundige Überwachung dem Prinzip der Offenheit einer Gesellschaft und den Grundsätzen der Demokratie.« Aber es werde ja der goldene Mittelweg beschritten, Sicherheit werde vermittelt, ohne von demokratischen Prinzipien abzuweichen.
»Wir haben sehr gute Beziehungen zu einigen französischen jüdischen Gemeinden wie Colmar, Strasbourg und Mühlhausen«, erzählt Katz, die in der Ukraine als Französischlehrerin tätig war. Und jetzt auch nach Paris: Aron Hayoun, der Kantor der Synagoge La Victoire, ist der Bruder von Joseph Hayoun sel. A., des verstorbenen Kantors der Freiburger Gemeinde.
»Von meinen Bekannten hat niemand vor, Frankreich zu verlassen, aber alle haben Familie in Israel, die Beziehungen sind natürlich sehr intensiv.« Sie selbst fühle sich in Deutschland durchaus noch sicher. »Selbst jetzt nach den Anschlägen ist das so. Und auf jeden Fall fühle ich mich sicherer, als ich mich nun in der Stadt fühlen würde, aus der ich ursprünglich komme. Denn ich stamme aus Donezk, und da herrscht Krieg.«