Jetzt schaut sie wieder die Listen durch, sucht, vergleicht, freut sich, wenn sie bekannte Namen liest. Wie jedes Jahr hat sich Anne Meidenbauer die Ausstellerliste der Nürnberger Spielwarenmesse besorgt und schaut, wer von »ihren« Ausstellern da ist. Aus Tel Aviv, aus Sderot oder Ramat Gan.
Die 72-Jährige packt am letzten Dienstag im Januar wie jedes Jahr ihr kleines Auto bis zum Dach voll mit kleinen Snacks und Kaffee. Dann wird sie hinausfahren zur Messe, um die israelischen Aussteller damit zu versorgen, ihnen ein herzliches Willkommen zu sagen, und sich freuen, wenn sie Bekannte und neue Gesichter sieht. »In mein Auto kommt ein Klapptisch rein, dann treffe ich mich mit zwei Kolleginnen, die ich mit raus nehme zum Helfen.«
Denn allein schafft sie es längst nicht mehr, was sich inzwischen als nette Geste bei den Israelis herumgesprochen hat. »Die Tage davor geht es bei mir drunter und drüber, bis alles vorbereitet ist«, erzählt sie und lacht.
Stadt der Menschenrechte Zart und zerbrechlich wirkt Anne Meidenbauer auf den ersten Blick, wache Augen unter einer schicken Kurzhaarfrisur. Doch schon als Mädchen hat sie ihren eisernen Willen bewiesen, als sie gegen elterlichen Wunsch nicht die Firma im Allgäu übernahm, sondern den Traumberuf Krankenschwester fern von zu Hause in Nürnberg erlernte. Und vielleicht ist es kein Zufall, dass sie sich in der ehemaligen Stadt der Reichsparteitage und jetzigen Stadt der Menschenrechte mit einem kleinen Beitrag an diesem Wandel beteiligen will. Der Nürnberger Oberbürgermeister hat ihr offiziell für ihr Engagement gedankt.
»Schon am Aufbautag der Messe fahren wir in der Früh raus, dann parken wir am Hintereingang, wo die Lkws reinkommen und laden aus.« Vorher organisiert sie sich den Ausstellerausweis, damit sie freie Zufahrt zum streng abgeschirmten Messegelände erhält. Die Spielwarenmesse erlaubt längst ganz offiziell, dass die drahtige Frau durch die Halle 12 wirbelt und die Aussteller beglückt. Auch die strengen Kontrolleure an den Eingängen der nur für Fachpublikum zugänglichen Ausstellung wissen, dass hier niemand einen kostenlosen Zugang schnorren will.
Die gepflegte Dame hinter dem Steuer hat kein Interesse an Messeneuheiten, sie hat den Kofferraum voller Sandwiches. »Laugenstangen, Käse, Eier, Lachsbrötchen – und viele Thermoskannen voll Kaffee.« Kein Fleisch, das ist der Kompromiss, wenn es schon nicht koscher geht. Sie kauft alles auf eigene Rechnung ein, in ihrer Küche wird dann gewerkelt. »Wir legen die Sachen auf der Messe dann auf kleine Tabletts in Tüten, dann kann sich jeder aussuchen, was ihm gut schmeckt.«
Vor allem am Aufbautag sind die Aussteller und ihre Helfer dankbar für die Bewirtung, denn kaum einer hat Zeit, über das weitläufige Messegelände zum Imbissstand zu laufen. »Die Aussteller freuen sich schon, wenn wir kommen und finden es einen wunderbaren Service.« Und wenn sie mal einen Namen nicht auf der Liste findet, dann ruft sie eben in Jaffa oder Haifa an und fragt, ob alles in Ordnung ist.
Kindergarten An den fünf Messetagen brummt es auf dem riesigen Gelände. Da stehen für die Händler die Geschäfte im Vordergrund bei der größten Leitmesse in Europa, keine Zeit zum Essen gehen. Anne Meidenbauers Bauchladen ist am Nachmittag leer geräumt. »Einige Aussteller geben mir dann auch ihre überzähligen Spielsachen mit, die nicht mehr auf den Stand passen, damit ich sie vorübergehend bei mir im Vorraum lagere.« Oft wollen sie die brandneuen Spielsachen nach der Messe gar nicht mehr zurück. Dann bringt sie die auf Hebräisch und Englisch bedruckten Kartons zum Kindergarten der Israelitischen Kultusgemeinde in Nürnberg.
Während Anne Meidenbauer erzählt, schenkt sie in ihrem Wohnzimmer im Nürnberger Stadtteil Erlenstegen Kaffee nach. Edles englisches Kaffeeservice und feine Plätzchen stehen auf dem Tisch. Schnell ist klar, dass die israelischen Aussteller von ihr nur ausgesuchte Köstlichkeiten bekommen. »Ich wollte nach dem Tod meines Mannes etwas Sinnvolles tun«, erinnert sie sich an die Anfänge ihres Catering-Services vor mehr als zehn Jahren.
Bei einem Gebetskreis hatte die praktizierende Katholikin eine Frau kennengelernt, deren Lebensziel die Versöhnung zwischen Israelis und Deutschen war. Die beiden verstanden sich auf Anhieb. Miriam Schmidt war in den 60er-Jahren nach Israel gegangen und hatte dort ein Jugendprojekt aufgebaut. »Ein kleiner Versuch der Wiedergutmachung«, sagt Anne Meidenbauer leise. Miriam Schmidt habe sie dann später wie eine Tochter angesehen und zu allen Freunden und Kontakten mitgenommen – auch zu den Besuchen auf der Messe, die sie in den 70er-Jahren nach ihrer Rückkehr aus Israel begonnen hatte. Schnell fanden die beiden Frauen die gemeinsame Aufgabe, Solidarität mit Israel.
Freundschaften Anne Meidenbauers Mann hatte als junger Lungenfacharzt Überlebende der Konzentrationslager wegen Tuberkulose behandelt. Viele von ihnen waren später von Bayern aus nach Israel ausgewandert. »Wir sind dann gemeinsam nach Israel gefahren, mein Mann wollte unbedingt hin.« Längst hat sie Freunde gefunden, reist zu Konferenzen und Treffen mit Holocaust-Überlebenden mindestens einmal im Jahr nach Tel Aviv oder Jerusalem. Aus Messebekannschaften haben sich enge Bindungen entwickelt.
»Viele Bekannte hier wollten schon mal mitmachen bei meinen Fahrten zur Spielwarenmesse. Aber wenn sie merken, dass da viel mehr dahintersteht, dass es um Solidarität mit Israel geht und auch, dass es eine Menge Arbeit ist – dann lassen sie es lieber!« Und so schaut sie jetzt wie jedes Jahr ihre Listen durch und überlegt, mit welchen Köstlichkeiten sie ihren speziellen Gästen eine Freude machen kann.